Tichys Einblick
Noch höhere Steuern

Sozialverträglich in die Irre

Deutschland wird umgebaut zum Billiglohnland - sozialverträglich. Jedenfalls für die, die noch die Verträge von gestern haben. Ungelernte Zuwanderer ersetzen Fachkräfte, viele hochgezahlte Arbeitsplätze wandern aus. Eigentlich sollte es anders herum gehen.

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Langsam beginnt der Boom der letzten Jahre abzuflauen: Die Industrieunternehmen haben auch im vergangenen November die Produktion erneut um 1,9 Prozent gedrosselt; die Schwäche seit Sommer war kein Ausrutscher wegen der weggedieselten Autoindustrie, sondern offensichtlich der Anfang der Flaute. Die Wirtschaftsforschungsinstitute reduzieren die erwarteten Wachstumsraten. Die EZB reagiert nervös, wir haben ja schon Negativ-Zinsen: Ihre Geldpolitik ist am Ende, was positive Effekte betrifft. Bundesfinanzminister Olaf Scholz verkündet das Ende der sprudelnder Immer-noch-mehr-Steuereinnahmen: „Die fetten Jahre sind vorbei“.

Das Regieren wird schwerer. Bisher hieß es ja nur: Wer hat noch nicht, wer will noch mal. Dieses Schlaraffenland ist abgebrannt. Vordergründig noch kein Grund zur Angst: Noch sind die Zeiten fett, noch nie wurden so viele Lohnsteuerkarten gezählt; 45 Millionen Menschen sind beschäftigt derzeit in Deutschland. Noch. Aber erst klappt die Konjunktur ein, später dann der Arbeitsmarkt. Rezepte? Keine. Wir haben ja die GroKo, die nicht regiert, sondern sich nur ständig auf die Schultern klopft, gegenseitig, wenn sie nicht gerade zankt.

Großunternehmen entlassen Spitzenverdiener

Aber spürbar ist auch: die Sorgen nehmen zu, denn viele große Unternehmen entlassen Mitarbeiter und ihnen nach folgen erfahrungsgemäß die Zulieferer. Der Chemieriese Bayer, die Autokonzerne VW, Opel und Ford, ihr Zulieferer Bosch, die Deutsche Bank, die HSH Nordbank – fast alle Branchen sind betroffen. Auch der Mittelständler Vorwerk und viele kleinere, die keine große Meldung wert sind. In keiner der vielen Pressemitteilung fehlt sinngemäß der Passus vom „sozialverträglichen Abbau“.

Aber was bedeutet „sozialverträglich“? Gemeint ist damit ein sanfter Abbau aus Sicht der Beschäftigten: Bei Kündigung durch den Arbeitnehmer wird dessen Stelle nicht mehr neu besetzt; wer in Rente geht, wird nicht durch einen Jüngern ersetzt, die Personalabteilungen werben für vorzeitigen Renteneintritt. Andere werden mit Vorruhestandsregelung und häufig mit hohen Abfindungen werden die Stellenbesitzer zur Aufgabe ihrer Jobs verführt. Das ist vorteilhaft für die Beschäftigten und es soll nicht kritisiert werden, auch wenn es dann meist doch härter zugeht: Zeit- und Leiharbeiter werden gekündigt, das ist ja aus Arbeitgebersicht auch Sinn dieser Beschäftigungsform: Soll die Leiharbeitsfirma sich um ihre Beschäftigten kümmern und sie notfalls aufs Amt schicken! Das wirkt dann nicht so spektakulär wie die Meldungen vom „Stellenabbau bei XY“, für die Betroffenen ist diese Art der Sozialverträglichkeit dann schon nicht mehr „sozial“ sondern ein harter Bruch in der Erwerbsbiographie mit gravierenden Folgen und Einkommensverlusten. Das wohlklingende Wort „sozialverträglich“ wird zur Floskel, zur Beschönigungsformel.

Die Jobs sind weg

Aber welche Form für den Einzelnen mehr oder weniger „sozialverträglich“ gefunden wird, so bleibt eine Tatsache wirklich unerträglich: Die Jobs sind weg. Und mit den Jobs, die verschwinden, verdunsten Steuerzahlungen, Beitragsleistungen, und Zukunftschancen für die Jüngeren. Die Einkommen der Arbeitsplatz-Verlierer werden nicht mehr von ihnen selbst erwirtschaftet, sondern von der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten, von Renten- und Arbeitslosenversicherung geleistet. Die mehr oder weniger erzwungene Freizeit für die „sozialverträglich Abgebauten“ wird von denen finanziert, die noch arbeiten, und das sind zukünftig leider immer weniger. Noch ist Deutschland ein Beschäftigungs-Wunderland – auf den ersten Blick, was die Zahl der Arbeitsplätze betrifft.

Aber Tatsache ist auch, dass die meisten Jobs in Billigbranchen entstehen, bei Paketdiensten, im Billig-Service bis zum Pizzadienst. Auch wenn jetzt der Mindestlohn erhöht wird – es braucht fünf solcher Billig-Jobs, um die Lohnsumme zu erwirtschaften, die in der bisherigen Hochleistungswirtschaft wie in der Auto-, Chemie- oder Maschinenbauindustrie von einem verdient wurde. Gerade die aber gehen verloren – Jobs, in den gut verdient wird und die mit ihren Beiträgen den Sozialstaat finanzieren. Deutschland wird umgebaut – hin zum Billiglohnland, das aber sozialverträglich. Jedenfalls für die, die noch die Verträge von gestern haben. Die Weichen sind dafür gestellt, dass sich das beschleunigt: Ungelernte Zuwanderer ersetzen Fachkräfte, viele hochgezahlte Arbeitsplätze wandern aus. Eigentlich sollte es anders herum gehen. Deutschland braucht wegen der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung Top-Jobs mit hohen Löhnen, damit die immer weniger werdenden Beschäftigten die Lasten der Altersversorgung noch tragen können. Und die Billig-Löhner werden spätestens im Alter zum Sozialfall. Aber so weit denkt die Politik nicht. Sie gibt noch schnell aus, was sie noch zusammenkratzen kann. Es ist nichts anderes als der Versuch, Wählerstimmen zu kaufen.

Berliner Illusionspolitik

Die Politik wirkt genau in die andere Richtung: Sie erleichtert den Übergang in die altersbedingte Arbeitslosigkeit angeblich „sozalverträglich“ und ersetzt gutbezahlte Top-Jobs durch Mindestlöhner. Der Beschäftigungsabbau und Umbau zum Niedriglohnsektor wird als „sozial“ dargestellt. Offen ist noch die Frage, wann die Arbeitslosigkeit und damit auch die Zahl der Betroffenen wieder ansteigt. Dagegen spricht dass es immer weniger Junge gibt und arbeitslose Zuwanderer in Sprachkursen oder langanhaltenden Verfahren geparkt werden, um die kostenwirksamen Folgen zu verschleiern.

Die Berliner Illusionspolitiker hoffen darauf, dass die Unternehmer weiter blind einstellen, auch in die erwartbare Absatzkrise hinein. Es ist ja in den vergangenen Jahren gut gegangen und Politik konnte sich darauf beschränken, ständig neue Haushaltsüberschüsse zu verteilen und mit immer neuen Regeln die Wirtschaft zu lähmen. Ansonsten träumt die Berliner Politik träumt von einer staatlich gelenkten Wirtschaft und von Batteriefabriken, die staatlich subventioniert werden. Und von noch höheren Steuern.

Während im Boom die Steuern stiegen, weil Boom war und viel Geld in die Staatskassen spülte, sei jetzt kein Geld für Steuersenkungen da, weil kein Boom mehr ist, erklärt Scholz zu den „schwindenden Spielräumen für Entlastungen“. Wie auch immer – die Herausnehmer werden mehr und besser versorgt, die Hineinzahler gerupft. Die Duldsamkeit der Bevölkerung ist das, worauf sich die Berliner Politik verlassen kann. Sozial ist es nicht – nur kurzsichtig. Die angebliche Sozialverträglichkeit führt nur in die Irre..

Vielleicht hilft ein Lehrsatz aus der Vergangenheit der sozialen Marktwirtschaft: „Sozial ist, was Arbeit schafft“.

Dazu ist dieser Bundesregierung noch nicht die geringste Idee gekommen. Nur ein Wust von Bürokratie und unnötigen Gesetzen wie die Datenschutzgrundverordnung. Ein ausufernder Staatsapparat, der immer mehr Bereiche behindert und blockiert wie die Automobilindustrie, verstaatlicht wie im Energiesektor, oder gleich ganz verbietet wie in den modernen Lebenswissenschaften. Man hat ja den Eindruck: Wirtschaft stört. Je zukunftsfähiger, umso gefährlicher. Heute müsste man ergänzen: „Sozial ist, was hochwertige Arbeit mit entsprechend hohen Löhnen schafft.“ Darüber entscheiden aber weder ein Ministerium noch eine Mindestlohn-Kommission, sondern die Marktteilnehmer: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Produzenten und Verbraucher. Die Politik soll sie dabei nicht behindern.