Tichys Einblick
Selbstentmachtung der Länder?

Söder und Kretschmann an Ministerpräsidenten: „Dürfen nicht länger diskutieren“

Ganz im Sinne von Merkels neuer Agenda schreiben Markus Söder und Winfried Kretschmann einen Brief an ihre Amtskollegen, in dem sie de facto die Selbstentmachtung der Länder einfordern. Jetzt kommt es auf Armin Laschet an.

Markus Söder und Winfried Kretschmann auf einer Pressekonferenz im Juni 2019

IMAGO / Jens Schicke

In einem Brief an ihre 14 Amtskollegen finden die Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg, Markus Söder (CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne), deutliche Worte. Jeder weitere Tag des Wartens bedeute „Tausende von neuen Ansteckungen“ – so zitieren Süddeutsche Zeitung und laut Presseberichten auch dpa übereinstimmend aus dem Schreiben. Die Notbremse und Ausgangssperren ab einer Inzidenz von 100, sowie FFP2-Maskenpflicht müssten konsequent eingeführt werden.

Die beiden Ministerpräsidenten gebrauchen Formulierungen, die im ohnehin schon dramatisierten Corona-Diskurs noch herausragen. Es sei nicht mehr nur die härteste Phase der Pandemie, die Lage sei nicht nur schlimm. Sie sei „ernster, als viele glauben“, tausende Neuansteckungen würden sich „exponentiell durch unser Land fressen“, „unerbittlich“ laufe die dritte Welle seit Wochen über das Land. Bei der 10. Woche in Folge mit sinkenden Corona-Todeszahlen eine bemerkenswerte Formulierung.

Die Linie ist klar: Es geht nicht nur um härtere Maßnahmen, wie ein roter Faden zieht sich die Idee der Vereinheitlichung durch das Schreiben. Nicht nur einen „einheitlichen Geist“ brauche es, oder „einheitliche Regelungen“ für die Schulen. Ein „ständiges Hin und Her“ könne dazu führen, dass sich die Lage bis in den Sommer hinein fortsetzt. Und schließlich der Schlüsselsatz: „Wir müssen daher unsere Verantwortung jetzt wahrnehmen und dürfen nicht länger diskutieren.“

Diese ungewöhnliche schwarz-grüne Allianz entspricht also ganz der neuen Agenda von Merkel, die Länder in der Corona-Politik zu entmachten und alle Entscheidungskompetenz beim Bundeskanzleramt zu bündeln. Der Sinn von Föderalismus ist eigentlich gerade das Finden verschiedener Antworten in verschiedenen Problemlagen, die Debatte, der Wettbewerb um die beste Lösung – und die Abwehr von Allmachtsansprüchen einer Zentralregierung. Was Söder und Kretschmann hier zumindest indirekt und mit harter Rhetorik fordern, ist die Entmachtung der Länder bei den gravierendsten politischen Entscheidungen seit Jahrzehnten. Aus den einbrechenden Umfragewerten der CSU hat Markus Söder offenbar nicht den Schluss gezogen, sich coronapolitisch zurückzunehmen.

Alle Augen sind jetzt auf Armin Laschet gerichtet – nimmt er als Ministerpräsident des größten Bundeslandes und Vorsitzender der Kanzlerpartei CDU diese geplante Entmachtung einfach hin? Wenn er noch an politischer Kontur gewinnen und Bundeskanzler werden will, ist jetzt wohl die letzte Gelegenheit gekommen, sich von der Riege der Hardliner abzusetzen und seine eigene Linie zu finden.

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