Tichys Einblick
Racketes Verhalten „unzulässiger Gewaltakt“

Sea-Watch: Staatsanwalt Patronaggio kennt kein links und rechts, sondern nur das Recht

Carola Rackete, die Schiffsführerin der Sea-Watch 3, wird auf Basis des Codice di Navigazione, Artikel 1100, angeklagt. Das heißt: wegen eines Gewaltaktes gegen ein italienisches Kriegsschiff. Der andere Anklagepunkt: Widerstand gegen die Staatsgewalt bzw. Widerstand gegen Personal in öffentlicher Funktion. Weitere Anklagepunkt wie Beihilfe zur illegalen Migration will die Staatsanwaltschaft gesondert verhandeln.

Chief prosecutor of the Sicilian city of Agrigento, Luigi Patronaggio (C) addresses the media on July 1, 2019 after the German captain of humanitarian ship Sea-Watch 3 appeared before the court in Agrigento, Sicily.

GIOVANNI ISOLINO/AFP/Getty Images

Für den Staatsanwalt ist es „business as usual“. In nüchternem Tonfall erklärt er, worauf die Anwesenden warten: Carola Rackete, die Schiffsführerin der Sea-Watch 3, wird auf Basis des Codice di Navigazione, Artikel 1100, angeklagt. Das heißt: wegen eines Gewaltaktes gegen ein italienisches Kriegsschiff. Während in Deutschland erfolgreich das Narrativ gestrickt wurde, Rackete sei wegen Schlepperei oder gar „Seenotrettung“ festgenommen worden, zentriert sich die Anklage auf diesen Punkt. Der Vorfall im Hafenbecken von Lampedusa, als Rackete ein Zollschiff abdrängte und das Leben der Beamten aufs Spiel setzte, wird jenseits der Alpen immer noch kaum kommuniziert.

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Der andere Anklagepunkt: Widerstand gegen die Staatsgewalt bzw. Widerstand gegen Personal in öffentlicher Funktion. Rackete hatte nicht nur die Finanzpolizei bedrängt, sondern sich auch den Anweisungen der Behörden auf See widersetzt. Weder für die Einfahrt in die Hoheitsgewässer noch die in den Hafen in Lampedusa, noch für das Manöver gegen das Zollschiff habe ein Grund bestanden. „Wir glauben, dass es sich um keine Notsituation gehandelt hat“, erklärt der Staatsanwalt Luigi Patronaggio. „Sea-Watch hat in den Tagen zuvor medizinische Hilfe erhalten und stand in ständigem Kontakt mit den Behörden und dem Militär.“ Damit erhärtet die Staatsanwaltschaft die Position des italienischen Innenministeriums und des Gerichtshof der EU für Menschenrechte, die ähnlich argumentiert hatten. Von den ursprünglich 53 Geretteten hatte Italien bereits nach wenigen Tagen jene aufgenommen, die medizinischer Versorgung bedurften und damit seine Pflichten erfüllt.

Das Manöver schätzte die Staatsanwaltschaft als „willentlichen Akt“ ein, der einen Zusammenstoß provoziert habe. Die Skipperin habe keine Berechtigung dazu gehabt und habe die Aktion „mit vollem Bewusstsein“ herbeigeführt. Weitere Anklagepunkt wie die Beihilfe zur illegalen Migration würde die Staatsanwaltschaft gesondert verhandeln. Rackete hatte nach der Beinahe-Kollision behauptet, sich „verschätzt“ zu haben und sich bei den Behörden entschuldigt.

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Männer wie Patronaggio wird das wenig kümmern. Der italienische Staatsanwalt hat bei Giovanni Falcone und Paolo Borsellino gelernt – den Speerspitzen der Mafiajäger Anfang der Neunziger. Der heute 60-jährige Patronaggio hat die Ermordung beider im Jahr 1992 miterlebt. Als er weiter ermittelte, bedrohte die Mafia auch sein Leben. Später stürzte er Marcello Dell’Utri wegen Mafiakontakten. Dell’Utri war ein wichtiger Mitstreiter von Silvio Berlusconi und Mitbegründer seiner Partei Forza Italia. Letztes Jahr geriet Patronaggio in die Schlagzeilen, weil er es mit Innenminister Matteo Salvini aufnahm. Als Salvini das Schiff „Diciotti“ mit 200 Migranten an Bord nicht einfahren ließ, nahm der Staatsanwalt Ermittlungen gegen den Lega-Chef auf. Vorwurf: Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung in 200 Fällen.

Der Skipperin der Sea-Watch 3 steht mit Patronaggio also ein Mann gegenüber, dessen Unabhängigkeit und Integrität außer Frage steht. Das Verfahren gegen Salvini und Patronaggios Kritik an der Migrationspolitik darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er zu jener Sorte von Leuten gehört, die weder rechts noch links kennen. Bereits am Samstag, kurz nach der Festnahme Racketes, bezeichnete er das Manöver der Deutschen als „unzulässigen Gewaltakt“, der die „Sicherheit der Allgemeinheit“ gefährdet habe. Den Behörden ist wohl bewusst, dass der feindliche Akt eines ausländischen Zivilschiffes gegen ein italienisches Kriegsschiff einen Präzedenzfall schaffen könnte. Und in der italienischen Öffentlichkeit wird das Vorgehen immer mehr als Aktion einer NGO angesehen, um ihre Agenda mithilfe ausländischer Förderer durchzusetzen.


Marco F. Gallina schreibt vorwiegend auf seinem Löwenblog.

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