Tichys Einblick
Freie Fahrt für NGO direkt nach Deutschland

Sea-Watch: Hausarrest Rackete aufgehoben, nächste Vernehmung 9. Juli

Der Hausarrest von Rackete ist nun aufgehoben. Schnellstens solle die 31-Jährige Italien verlassen, so Matteo Salvini, vielleicht sogar mit einem Verbot der Wiedereinreise.

AFP/Getty Images

Nach der richterlichen Entlastung der Skipperin Carola Rackete, zumindest was das Durchbrechen der Hoheitsgewässer und Seegrenze Italiens betrifft, sowie das gefährliche Touchieren des Einsatzbootes des Zolls, bei dem das Leben von sechs Beamten gefährdet gewesen sei (Rackete entschuldigte sich nach ihrer Festnahme flugs), hat Innenminister Matteo Salvini einen wahrlich dicken Hals. Die Untersuchungsrichterin der Stadt Agrigent auf Sizilien, Alessandra Vella, hatte den Haftbefehl samt des Hausarrests aufgehoben. [Und wie der Kollege und Autor Marco Gallina hier bereits vermutete, würde Italien die Skipperin eher ausweisen].

Emotional wie der Innenminister nun mal reagieren kann, spuckte Salvini nach der Entscheidung erst einmal Gift und Galle. Enttäuscht sei er ganz besonders von der Richterin auch deshalb, weil für sie das Leben der Beamten anscheinend nichts zählen würde, welche die Gesetzesbrecherin Rackete bei ihrem Manöver schlichtweg gefährdet hatte.

Die Richterin stufte die Boote des Zolls (der Guardia di Finanza; auch mit Finanzwache zu übersetzen) nicht als Militärboote ein, deshalb sei Racketes Fahrt auf Lampedusa auch nicht als kriegerische Provokation oder Handlung einzustufen. Die Richterin ließ die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe, die deutsche „Kapitänin“ habe Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und ein Kriegsschiff geleistet, fallen. Richterin Vella ging sogar so weit zu behaupten, weil die Häfen in Libyen (vielleicht noch nachvollziehbar) und Tunesien (ein Land, in dem der Tourismus boomt) nicht sicher seien, habe Rackete quasi nur ihre Pflicht getan, Lampedusa anzusteuern.

Matteo Salvinis Gemütslage und Argumente pendelten zwischen sachlicher Analyse und beißender Ironie, wie teilweise auch bei anderen Kommentatoren im italienischen Blätterwald und dessen Online-Portalen. Genau über 14 Tage harrte die Crew vor Lampedusa aus, nur mit dem einen Ziel, Italien herauszufordern und die Gesetze zu brechen, so der allgemeine Tenor. Selbst der Gerichtshof der EU hatte keine Bedürftigkeit der Migranten an Bord der Sea-Watch 3 erkannt noch die Notwendigkeit gesehen, Italien zur Räson zu bringen und die freie Fahrt auf Lampedusa zu genehmigen. Zwei Wochen, in denen die Crew andere Hilfen hätte suchen und annehmen können, oder, und darauf pointen einige Experten, doch gleich direkt nach Deutschland schippern können. Oder nach Frankreich, das Italiens Vorgehen auch kritisierte.

Und da kommt die ganze Scheinheiligkeit der deutschen und der französischen Regierung zu Tage. Die deutschen Lautsprecher und Moralisten, darunter besonders Maas, Stegner und der Bundespräsident, meldeten sich erst nach der Verhaftung, statt konsequenter selbst für Abhilfe mit einem Schiff zu sorgen, um die privilegierten Flüchtlingsmänner im Namen der Bundesrepublik abzuholen und z.B. direkt nach Hamburg zu bringen.

Am besten mit dem Außenminister selbst zur Begrüßung an Bord für die schönen Bilder, die die Herzen in den Redaktionen erfreuen und die Partei weiter stramm auf Talfahrt schicken. Oder Macron hätte ein Zeichen setzen können. Salvini, einmal in Rage, meinte nur spöttisch, Deutschland und Frankreich, genau die zwei Richtigen wollen uns erzählen wie Flüchtlingsrettung zu gehen habe? Das Frankreich, das in Nacht- und Nebelaktionen im Grenzgebiet in den Bergen bis zu 20.000 Migranten wieder nach Italien schickte, oder gar nicht erst Einlass gewährte? Oder haben Sie etwas zu dem Fall hier gehört? Nein?

Andere Medien titelten bissig, „aber bitte Carola, nehmen Sie doch Platz, möchten Sie vielleicht noch andere Gesetze brechen?”, so zum Beispiel der Secolo d’Italia.

Auch Koalitionspartner Luigi di Maio zeigte sich solidarisch mit Salvini, mit dessen Kritik und vor allem mit den Beamten der Grenzsicherung und Küstenwache. Aber auch ein Innenminister sollte sich im Griff haben und wieder ein bisschen einfangen, die Entscheidungen einer unabhängigen Judikative auch zu akzeptieren, wenn sie ihm nicht schmecken. Der Richterin gab er noch den Rat, wenn sie Politik machen wolle, wenn ihr Gesetze nichts bedeuten, solle sie in die Politik gehen, und ihre Gesetze machen (fast wie die Genossen auf Ministerposten bei uns).

Der Hausarrest von Rackete ist nun aufgehoben. Schnellstens solle die 31-Jährige Italien verlassen, so Salvini, vielleicht sogar mit einem Verbot der Wiedereinreise.

Das dürfte jedoch nicht vor dem 9. Juli geschehen, heißt es aus Justizkreisen. Den Medienberichten zufolge ist an diesem Tag eine weitere Vernehmung angesetzt. Bei dieser soll sich Carola Rackete zum Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Migration erklären. Was auf der Sea-Watch 3 wirklich geschah und wer wen erpresserisch unter Druck setzte oder sogar Migranten instrumentalisierte, damit sie unbedingt und nur auf Lampedusa anlegen sollte, bleibt wohl erst einmal im Dunkeln.

Und was hinter den Kullussen in der Diplomatie tatsächlich laufe? Chissá? Wer weiß, da wäre Italiens Druckmittel mit dem Fall der deutschen Thyssenmanager, und mit Italiens Zustimmung durch Giuseppe Conte für Ursula von der Leyen kann er für Italien andere wichtige Zugeständnisse aus der EU verbinden – welche?

Die Sea-Watch jedenfalls, so ihr Sprecher Ruben Neugebauer, wolle schon bald ihre Arbeit fortsetzen, Rackete komme aber erst einmal an einen sicheren Ort. Damit konfrontiert und an alle Besserwissenden in Frankreich und Deutschland, gab Salvini nur die Antwort mit: wir werden keine NGO mehr mit illegalen Einwanderern hereinlassen, die Schiffe würden sofort nach Marseille und auch weiter in den Norden umgeleitet.

So wie einst in München, dort jedoch am Bahnhof, könnten die Flüchtlingsmänner auch freudig überschwänglich am Kieler oder Hamburger Hafen begrüßt und empfangen werden. Der deutsche Außenminister könnte auch gleich die Verteilung an Ort und Stelle vornehmen. Maas hätte seine Freude, immer weniger Wähler, aber seine Freude, Matteo seine Ruhe und die Italiener wieder eine (gefühlte) innere Sicherheit.