Tichys Einblick
Interview TE 10-2019

Schriftsteller Tellkamp: Ostdeutsche sind nicht gegen Veränderung

Interview mit dem Schriftsteller Uwe Tellkamp über das westdeutsche Unverständnis des Ostens und die Angepasstheit der Intellektuellen.

imago images / Andreas Weihs

Der preisgekrönte und in Dresden lebende Schriftsteller Uwe Tellkamp hat sich erstmals seit einem Jahr wieder in einem ausführlichen Interview zur Lage in Deutschland geäußert. Tellkamp verteidigt Sachsen und Ostdeutschland gegen Vorwürfe vor allem aus dem Westen. „Wer die Unzufriedenheit, die sich auch in Dresden artikuliert, immer nur auf materielle Gründe zurückführen will, der begreift einfach nicht, dass es gerade hier viele Menschen gibt, denen kulturelle Werte, denen Tradition so wichtig ist, dass sie auch bereit sind, in der Auseinandersetzung ihren sozialen Status zu riskieren“, schildert Tellkamp im Gespräch mit der neuen Ausgabe des Magazins Tichys Einblick. „Wer sich hier aufregt, ist nicht abgehängt, sondern mit konkreten politischen Entscheidungen der letzten Jahre nicht einverstanden. Eine Entgegnung, die wir vor allem aus dem Westen hören, lautet: Aber was wollt ihr denn? Euch geht es doch gut“, so Tellkamp. „Ich akzeptiere es nicht, wenn die gesellschaftlichen Konflikte, die wir in Deutschland haben, immer wieder so einfach auf das Materielle heruntergebrochen werden.“

Tellkamp sieht eine weitgehende Entfremdung zwischen Intellektuellen und einfachen Leuten. „Vor allem diesen Verrat der Intellektuellen an den sogenannten einfachen Leuten halte ich für unverzeihlich. Sie halten sich selbst für liberal, für weltoffen. Und sie meinen, dafür, dass sie diejenigen, die schon wegen ihrer materiellen Lebensumstände nicht genauso denken können, dafür verachten müssen. Und das finde ich verachtenswert.“ Auch der Vorwurf an die Menschen im Osten, sie würden Veränderungen ablehnen, sei falsch. „Meine Eltern sind 1989 auf die Straße gegangen mit dem Bewusstsein: Nichts wird so bleiben. Es wird tiefe Brüche geben, wir werden unsere Jobs verlie­ren. Aber das ist es uns wert, wir wollen die Freiheit“, erinnert Tellkamp an die friedliche Revolution in der DDR. „Es geht doch nicht darum, dass es hier eine generelle Ablehnung von Veränderung geben würde. Es kommt auf die Art der Veränderung an. Es ist doch eine sehr schlichte Einordnung: Das Progressive ist das Gute, das Bewahrende das Negative.“

Den Intellektuellen wirft Tellkamp vor, sich Denkverboten zu unterwerfen. „Angst, sich mit bestimmten Gedanken auseinander­ zusetzen, scheint mir vor allem unter Intellektuellen sehr weit verbreitet zu sein. Das ist paradox. Wenn diese Leute bunt sein wollen: Warum nageln sie sich dann die Buntheit im Denken selbst zu?“


Das ganze Interview in Ausgabe 10-2019 von Tichys Einblick >>>