Tichys Einblick
Branchenverbände schlagen Alarm

Report: Arbeitsplatzverluste im Einzelhandel und Unternehmen

Noch im März versprach Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, dass wegen Corona kein Arbeitsplatz verloren gehen muss. Das war schon damals nicht haltbar, doch jetzt rollt die Entlassungswelle.

imago images / photothek

In der öffentlichen Wahrnehmung scheint die Corona-Krise überwunden: Die Zahl der aktuellen Infektionen sinkt, die Zahl der Genesenen steigt entsprechend. Die Geschäfte dürfen (unter Auflagen) wieder öffnen, ebenso Gastronomie und Tourismus (unter Auflagen). Das öffentliche Leben findet wieder Statt (unter Auflagen) – nur der Wirtschaft geht es schlecht (unter Auflagen). Denn obwohl der Einzelhandel wieder Konsumgüter verkauft, und obwohl sich vor manchem Laden Schlangen bilden, verkauft wird wenig. Die Folgen sind verheerend.

Ein Bericht der Bundesagentur für Arbeit offenbart im April: 2.644.000 Arbeitslose, oder 5,8 Prozent der Erwerbstätigen. Im Vergleich zum April des Vorjahres 2019 sind das 415.000, beziehungsweise zusätzliche 0,9 Prozentpunkte als Anteil der gesamten erwerbsfähigen Bevölkerung.

Verglichen mit anderen Ländern, vor allem den USA, sieht das gar nicht so dramatisch aus, doch der Schein trügt. So wurden bis April über 10 Millionen Anträge auf Kurzarbeitergeld eingereicht, laut ifo gingen mehr als sieben Millionen davon tatsächlich Kurzarbeit. Diese Kurzarbeiter fließen nicht in die Arbeitslosenstatistik mit ein. Doch wie viele dieser Kurzarbeiter werden auch wieder Langarbeiter? Arbeitnehmer, die dieser Tage arbeitslos werden, werden auch einige Probleme haben, eine neue Arbeit zu finden, denn die Bundesagentur für Arbeit bilanziert nüchtern: „Die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften ist infolge der Corona-Krise regelrecht eingebrochen.“

Diese Zahlen dürften in den nächsten Monaten noch steigen. Brechen die Umsätze unvermittelt ein, so können viele Firmen noch einige Zeit Wasser treten, aber nach Monaten des Fast-Null-Umsatzes gehen vielen Unternehmen die Reserven aus: ein Problem, das Kredite der Förderbanken, Finanzhilfen und Kurzarbeitergeld nur in die Zukunft verschieben, aber nicht lösen können.

Welche Veränderungen auf die Wirtschaft nach Corona zukommen
 Der Einzelhandel verzeichnete zum Beispiel massive Umsatzeinbußen: Der Textilhandel verlor im April 50 Prozent seines Umsatzes – sogar unter Einbeziehung des gestiegenen Umsatzes im Internethandel. Nun kommt es zu ersten Entlassungswellen und Pleiten. Der Handelsverband Deutschland, die Interessenvertretung des deutschen Einzelhandels, berichtet, dass ein Drittel aller Nicht-Lebensmittelhändler in „akuter Existenznot“ seien. Die Hälfte aller Einzelhändler melden schwere Umsatzeinbrüche; dazu kommen jedoch noch Kosten von durchschnittlich 4.000 Euro für die Umsetzung von Corona-Schutzmaßnahmen in den Ladengeschäften – eine Petitesse vielleicht, aber nur ein weiterer Kostenfaktor in einer Zeit, in der den steigenden Kosten kaum Umsatz entgegen steht.

Die Tourismusbranche ist auch schwer betroffen und sieht sich mit Erstattungsforderungen für Stornierungen von 6 Milliarden Euro konfrontiert. Der Bundesverband der Deutschen Toursimuswirtwschaft (BTW) spricht davon, dass 1,2 Millionen Arbeitsplätze gefährdet sind.

Mehr als sieben Millionen Menschen in Kurzarbeit
Natürlich sind Interessengruppen auch immer interessengeleitete  Quellen: Da werden Zahlen möglichst großzügig geschätzt, um staatliche Subventionen und Hilfen abgreifen zu können – aber sofern allein die Größenordnungen stimmen, geht es hier um einen beträchtlichen Teil der Wirtschaftsleistung. Der Tourismus stellt (laut BTW) mit gut 3,1 Millionen angestellten 6,8% aller Arbeitsplätze in Deutschland, der Einzelhandel beschäftigt ähnlich viele Personen. Das Lebnitz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung berichtet, dass jeder vierte Soloselbstständige damit rechnet, sein Unternehmen aufgeben zu müssen. Knapp 60 Prozent der 16.000 ausgewerteten Befragten gaben an, dass ihre Umsätze um mehr als 75 Prozent Eingebrochen sind. Wer in Deutschland selbstständig sein will, der muss leidensfähig sein: aber solche Einbußen auszuhalten, das grenzt an marktwirtschaftliches Martyrium.

Aber auch konkrete Meldungen von Stellenabbau häufen sich:

Es ist nur ein Ausschnitt der Stellenverluste, die nun fast täglich verkündet werden. Noch sind es einzelne Meldungen, von Firmen die Insolvenz anmelden, Stellen abbauen oder „sich neu ausrichten“. Es sind wohl die ersten Anzeichen einer Krise, die sich nicht unendlich aufschieben, nur begrenzt mit frisch gedrucktem Geld und neuen Staatsschulden verbergen lässt.

Und nicht nur für die Betroffenen hinter den Zahlen bedeutet das oft eine Katastrophe, sondern für den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt. Besonders Arbeitsplätze in der Industrie werden, sind sie einmal verloren, nach der Krise womöglich nicht wieder neu entstehen. Extrem hohe Stromkosten, hohe Arbeitskosten (Rang 7 in der EU), hohe Abgabenlast, immer steigende Bürokratie-Kosten und eine Politik, die eine vorsätzliche Deindustralisierungspolitik betreibt: Es gibt viele Gründe für Unternehmen, hierzulande keine Produktionsstätte zu betreiben.

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