Tichys Einblick
Gesetzesänderung

Pflegekinder dürfen jetzt das Geld aus ihren Nebenjobs behalten

Der Bundestag hat das Sozialgesetzbuch geändert. Verdienen sich Pflegekinder etwas dazu, dürfen sie dieses Geld vollständig behalten. Noch bis vor einem Jahr mussten sie 75 Cent von jedem Euro abgeben.

IMAGO / Westend61

Es war ein politischer Prozess, der unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über Jahre verschleppt wurde. Nun ging es plötzlich schnell: Der Familienausschuss hat sich mit den Stimmen aller Fraktionen dazu entschieden, den Paragraphen 94 des Sozialgesetzbuchs VIII zu ändern. Demnach können Pflegekinder künftig das Geld behalten, das sie sich dazu verdienen.

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Das war bis zum Sommer 2021 anders. Bis dahin mussten Pflegekinder 75 Cent von einem Euro abgeben, den sie sich durch Nebenjobs wie Kellnern oder Zeitungenaustragen dazu verdienten. Das galt sowohl für Heimkinder als auch für Kinder in Pflegefamilien. So sollten sie ihren Anteil an ihren Lebenshaltungskosten tragen. Vergleichbar mit dem Kostgeld, das Lehrlinge ihren Eltern mit dem Beginn der Ausbildung zahlen. Das lehre sie wertzuschätzen, was der Staat an Leistungen für sie aufbringe, lautete die alte Argumentation.

Nun hat sich eine andere Sicht auf die Dinge durchgesetzt: Der Bundestag erkennt jetzt die Start-Nachteile an, die Pflege-Kinder erleiden. Nehme der Staat ihnen das erste selbstverdiente Geld ab, nehme er ihnen auch die Motivation weg, eigenständig zu werden und für sich selbst zu sorgen: „Wachsen junge Menschen außerhalb ihrer Herkunftsfamilie auf, haben sie bereits mit zusätzlichen Herausforderungen umzugehen und dadurch einen schwierigeren Start in ein eigenständiges Leben. Dieser Start wird nochmal erschwert, wenn sie einen Teil ihres Einkommens, das sie zum Beispiel im Rahmen eines Schüler- oder Ferienjobs oder ihrer Ausbildung verdienen, abgeben müssen“, heißt es dazu wörtlich im Gesetzesantrag.

Die Initiative, dieses Gesetz zu ändern, ging vor gut vier Jahren von Rheinland-Pfalz aus. Damals noch unter der Verantwortung einer Landesfamilienministerin namens Anne Spiegel (Grüne). Zuvor war eine entsprechende Gesetzesinitiative im Bund aus formalen Gründen einfach versandet. In einem ersten Schritt senkte der Bundestag dann im vergangenen Jahr die Abgabe von 75 Prozent auf höchstens 25 Prozent des Einkommens. Die Idee des Kompromisses war: Pflegekinder wären somit einerseits motiviert, dazu zu verdienen, weil sie mehr als die Hälfte des Geldes behalten können. Andererseits lernten sie die staatlichen Ausgaben zu respektieren, die für sie aufgebracht werden.

Dieser Kompromiss tat beiden Seiten nicht gut. Die Pflegekinder konnten immer noch nicht den vollen Ertrag ihrer Arbeit genießen – und der Staat hatte kaum etwas von den so gewonnenen Einnahmen. 18,3 Millionen Euro kamen den Kommunen aus dem Geld der Pflegekinder zugute. Auf der Gegenseite stand ein Verwaltungsaufwand von mindestens 560.000 Euro. Nicht eingerechnet sind da die Ausgaben für Personal, das in Bereitschaft gehalten werden muss, ohne letztlich entsprechende Anträge zu bearbeiten. Sodass es für die öffentliche Hand zu kaum mehr als einem Nullsummenspiel wurde, benachteiligten Jugendlichen ihre ersten Einnahmen wegzunehmen.

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