Tichys Einblick
Fernwärme

Nach Brand in Kraftwerk ruft Nürnberg Katastrophenfall aus

Keine Heizung und kein warmes Wasser in rund 15 000 Wohnungen im Raum Nürnberg – und das bei winterlicher Kälte. Der Grund: Das Großkraftwerk Franken fiel nach einem Brand gestern Nachmittag aus und musste abgeschaltet werden.

Rauchwolken stehen über dem Großkraftwerk des Versorgers Uniper im Nürnberger Stadtteil Gerbersdorf

picture alliance/dpa/NEWS5 | Bauernfeind

Über dem 80 Meter hohen Kesselhaus des Großkraftwerks Franken im Nürnberger Stadtteil Gebersdorf stand lange eine dichte Rauchwolke. 120 Feuerwehrmänner hatten den Brand schnell unter Kontrolle, verletzt wurde niemand. Die Brandursache ist noch nicht bekannt.

Mit der Löschung des Brandes ist die eigentliche Katastrophe aber längst nicht vorbei. Für die Stromversorgung gab es, wie der der Bayrische Rundfunk berichtet, zwar „keine Auswirkungen“. Aber das Kraftwerk von Uniper hat eine weitere wichtige Aufgabe: Die Stadtteile Gebersdorf und Röthenbach mit Heizung und warmem Wasser zu versorgen. Und die fällt nun aus. Die Stadt Nürnberg hat deswegen den Katastrophenfall ausgerufen und gemeinsam mit dem Energieversorger N-Ergie Krisenstäbe eingerichtet.

Etwa zwei Drittel der Energie eines Kraftwerkes fällt als Wärme an. Die muss im Sommer über Kühltürme oder Flüsse abgeleitet werden, wird bei sogenannten Heizkraftwerken über Wärmetauscher ausgekoppelt und dient über Fernwärmenetze als Quelle für Heizung und Warmwasser. Das Verfahren nutzt den Brennstoff besser aus und erhöht den Wirkungsgrad des Kraftwerks. Das Kraftwerk Franken, das als Spitzen- und Reservekraftwerk sowohl mit teurem Erdgas- als auch mit Heizöl befeuert werden kann, wurde von der Bundesnetzagentur übrigens als systemrelevant eingestuft und darf daher nicht stillgelegt werden.

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Der regionale Versorger N-Ergie, der die Fernwärme vermarktet, rief seine Kunden auf, ihre Heizungen abzuschalten. Darunter befinden sich auch eine Klinik, Alten- und Pflegeeinrichtungen, Schulen sowie eine Reihe von Betrieben. Die Fachleute des Versorgers wollen mit mobilen Wärmequellen Notheizungen aufbauen, das dauert allerdings ein paar Tage, und bis das Kraftwerk wieder einsatzfähig ist, vergeht noch mehr Zeit.

Die Nürnberger Katastrophe dürfte viele ältere Menschen in den neuen Ländern an den Horrorwinter von 1978 erinnern, als in der ehemaligen DDR wegen der Kälte keine Braunkohle mehr gefördert werden konnte. Bagger und Transportbänder waren eingefroren. Kraftwerke fielen aus, Strom und Wärme gab es nicht mehr. Manfred Haferburg erzählt in seinen lesenswerten Erinnerungen aus jener Horrorzeit.

Auch heute heizt das Braunkohlekraftwerk Lippendorf viele Leipziger Wohnungen – billig und preiswert. Das soll sich ändern. Teuer und volatil dürfte es für die Leipziger werden, die neben der Energie- auch eine »Wärmewende« über sich ergehen lassen müssen. 2023 soll der Liefervertrag zwischen der Stadt und dem Braunkohlekraftwerk Lippendorf über Fernwärme auslaufen. Der Bundestag hatte am 13. Januar 2021 dem Vertrag zwischen Bund und Braunkohle-Unternehmen über eine vorzeitige Beendigung der Braunkohle-Verstromung zugestimmt. Das bedeutet auch das Aus für Kraftwerke und Fernwärmelieferungen.

Stattdessen schwebt der Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft, die Solarthermie auch jetzt in der Jahreszeit für eine gute Idee hält, ein »Technologiemix« aus solarthermischen und Biomasseanlagen ebenso wie gasbasierten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen vor. Die Leipziger wollen einen riesigen Wärmespeicher nach Tauchsiederart und zeigen, was möglich ist, wenn das Geld für maximale Ineffizienz weg muss.

Der Leipziger OB Jung (SPD) will eine 600 000 Einwohner Stadt ohne Braunkohle versorgen und gesteht: »Dieses Modell hat noch viele Unbekannte – sicher ist aber, dass es Investitionen erfordert. Vor allem aber erfordert es die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sich dem Thema saubere Wärme zu stellen und sich mit ihm auseinanderzusetzen.« Bedeutet: Im Zweifel also Frieren für den Klimawandel. Vorsichtshalber lässt er für 200 Millionen ein neues Gaskraftwerk bauen, das ab Herbst 2022 Strom und Fernwärme liefern soll.

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Beispiel Hamburg. Dort wurde das gerade erst fünf Jahre in Betrieb befindliche Steinkohle-Kraftwerk Hamburg-Moorburg abgeschaltet; bis Mitte des Jahres muss die Bundesnetzagentur prüfen, ob das Kraftwerk systemrelevant ist und erhalten bleiben muss. Das wurde ebenfalls als Kraftwerk mit Fernwärmeauskopplung gebaut und sollte das alte Heizkraftwerk Wedel ersetzen. Doch Bürgerinitiativen und NGOs wie NABU und BUND verhinderten den Bau einer Leitung für die Fernwärme, die unter der Elbe verlegt werden sollte.

Das alte Heizkraftwerk Wedel soll indessen seine Strom- und Wärmeproduktion um 20 Prozent verringern, ab 2023 sogar um 30 Prozent. Diesen »Meilenstein für den Umweltschutz« feierten im vergangenen Jahr Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) und Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne). 150 000 Tonnen Kohle sollen weniger verfeuert werden. Das bedeutet weniger Strom – und Fernwärme.

Der Ausstieg Deutschlands aus einer sicheren Energieversorgung lässt auch die Lage auf dem Fernwärmemarkt prekärer werden.

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