Tichys Einblick
Fragwürdige Statistiken

Verbände und Behörden werben für das Neun-Euro-Ticket

Das Statistische Bundesamt pusht nochmal das Neun-Euro-Ticket. Allerdings sorgt die Auswertung an mehreren Stellen für Unsicherheiten. Doch die alles entscheidende Zahl ist ohnehin überfällig.

IMAGO / A. Friedrichs

Den Freitagnachmittag wählen Pressestellen gerne, um unangenehme Nachrichten zu verstecken. Die Zeitungen sind dann schon geschrieben und die Funkmedien erhalten weniger Aufmerksamkeit, da die Hörer und Zuschauer schon mit dem Kopf im Wochenende sind. Dieser Freitagnachmittag könnte ein günstiger Termin für den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sein. Der muss noch die Verkaufszahlen des Neun-Euro-Tickets im Juli loswerden.

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21 Millionen Tickets waren es im Juni. Mit dieser Meldung sorgte der VDV für Schlagzeilen. Aus dieser Zahl speiste sich die Euphorie, die Grüne und Medien rund um das Sparangebot zelebriert haben. Die anstehende Vergleichszahl könnte ungemütlicher werden: Geht die Zahl im Juli deutlich zurück, wäre das ein recht deutliches Zeichen dafür, dass viele das Schnäppchen probiert haben – aber ein nennenswerter Teil es nicht gut genug für eine Wiederholung hielt.

Zwischendrin sorgt das Statistische Bundesamt nochmal für positive Schlagzeilen zum Neun-Euro-Ticket: „Seit Einführung des 9-Euro-Tickets weiterhin deutlich mehr Reisen im Eisenbahnverkehr ab 30 Kilometern im Vergleich zu 2019“, textet das Amt in seiner eigenen Überschrift. Der Dreh wird von einigen Zeitungen bereits dankbar aufgenommen. Dabei lässt die Auswertung einige Fragen offen, wie das Amt selbst einräumt.

Die Telefongesellschaft Telefónica hat dem Statistischen Bundesamt die Mobilitätsdaten seiner Kunden zur Auswertung bereitgestellt. Anonymisiert, wie das Amt versichert. Aus den Daten des Anbieters der Telefongesellschaft hat das Amt entsprechende Bewegungsprofile entwickeln lassen. Telefónica hat laut eigenem Geschäftsbericht im Jahr 2020 rund 43 Millionen Menschen in Deutschland mit Anschlüssen versorgt.

Neun-Euro-Ticket
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Die Auswertung ergab, dass die Zahl der Bahnreisen in die ländlichen Gebiete stark gestiegen sei, die als touristische Ziele gelten. Der Vergleichszeitraum ist der Juli 2019. Wobei das Amt keine totalen Zahlen bekannt gibt, sondern nur prozentuale Vergleiche. Demnach sei die Zahl der Bahnfahrten im Schnitt um 42 Prozent im Vergleich zum Juli 2019 gestiegen. In den ländlichen und touristischen Regionen sei ein Zuwachs von 80 Prozent zu verzeichnen gewesen. Wenn dort das Ziel weiter als 30 Kilometer vom Wohnort des Reisenden entfernt lag, waren es sogar 104 Prozent. Nur: Längere Fahrten mit dem Neun-Euro-Ticket zwingen die Fahrgäste zum häufigen Umsteigen. So könnten Fahrten eines Gastes auch mehrfach gewertet worden sein, räumt das Statistische Bundesamt ein. Auf der Straße sei der Verkehr im Vergleich zwischen Juli 2019 und 2022 gleichgeblieben. Allerdings kann das Statistische Bundesamt nach eigenen Angaben hier nicht zwischen Fahrten im Bus oder im Auto unterscheiden.

Überschrift und Ergebnis des Statistischen Bundesamtes lassen den Schluss zu, dass Nutzer das Neun-Euro-Ticket eher für touristische Fahrten einsetzen. Dies klingt plausibel. Was allerdings auffällt: Im Juli 2019 begannen die Sommerferien im Schnitt deutlich früher als 2022. Das habe dazu geführt, dass Anfang Juli die Reisezahlen auf Strecken über 100 Kilometern leicht zurückgegangen seien, sagt das Amt. Bei einer touristischen Nutzung des Neun-Euro-Tickets hätte der Ferienbeginn aber eher zu einem Anstieg der Fahrten führen müssen. Erklärungen gibt das Bundesamt dazu keine. Möglich, dass Bahn-Nutzer in dieser Zeit auf das Flugzeug als öffentliches Verkehrsmittel setzten und ihre Zeit am Strand statt auf Bahnschienen verbrachten.

Aber das ist Spekulation. Die offenen Punkte in der Auswertung des Statistischen Bundesamtes lassen Raum für diese. Wichtiger wird ohnehin die Frage sein, wie viele von denen, die sich im Juni ein Neun-Euro-Ticket gekauft haben, das im Juli wieder tun wollen. Vielleicht gibt es die Pressemitteilung dazu ja an diesem Freitag.