Tichys Einblick
Fake-Nuss der Woche:

Nein, der UN-Menschenrechtsausschuss hat nicht entschieden, dass Klimaflüchtlinge nicht abgeschoben werden dürfen

Mit seiner Überschrift, einem unpassenden Foto und einer ungenauen und sehr selektiven Wiedergabe der UN-Entscheidung liefert der Deutschlandfunk seinem Publikum ein hochgradig verzerrtes Bild. Die Überschrift hätte stattdessen heißen müssen: „UN-Menschenrechtskomitee weist Beschwerde eines Einwohners von Kiribati ab – und sieht ihn nicht als Klimaflüchtling“.

Getty Images | Screenprint DLF

Unter der Überschrift „Klimaflüchtlinge dürfen nicht abgeschoben werden“ meldete der Deutschlandfunk am 20. Januar 2020: „Der UNO-Menschenrechtsausschuss hat entschieden, dass Regierungen keine Flüchtlinge in ihre Heimatländer abschieben sollten, wenn diese aufgrund des Klimawandels lebensbedrohlichen Risiken ausgesetzt sind.“

Das UN-Gremium, so der Sender, habe damit auf eine Beschwerde eines Bürgers des Inselstaats Kiribati reagiert:
„Verhandelt wurde der Fall von Ioane Teitiota aus Kiribati, einem kleinem Inselstaat im Pazifik. Wie der „Guardian“ berichtet, floh Teitiota nach Neuseeland, nachdem der Meeresspiegel in seinem Heimatland angestiegen war.“

An dem Beitrag des Deutschlandfunks ist vieles falsch und irreführend. Das beginnt mit seiner Illustration auf der DF-Webseite, die das Foto von afrikanischen Migranten auf einem Schlauchbot im Mittelmeer zeigt. Zusammen mit dem Wort „floh“ suggeriert der Sender, Teitiota sei unter höchster Gefahr für Leben und Gesundheit von der kiribatischen Insel Tarawa nach Neuseeland gekommen. Tatsächlich reiste Teitiota 2013 nach Neuseeland ein und beantragte dort Asyl mit der Begründung, der steigende Meeresspiegel – und damit verbunden Süßwassermangel und Landknappheit – machten ihm das Leben in seiner Heimat unmöglich.

Das Gericht in Neuseeland lehnte allerdings seinen Asylantrag ab – weil es nach gründlicher Prüfung keine konkrete Bedrohung für Teitiota ausmachen könne. Weder sei er konkret Opfer von Landmangel oder Wassermangel gewesen, noch fehle ihm in Kiribati, einer Inselgruppe, die eine Fläche von insgesamt 811 Quadratkilometern umfasst, tatsächlich Platz zum Leben. Auch falle er grundsätzlich nicht unter die Flüchtlingskonvention:

“There was no evidence that he had no access to potable water, or that the environmental conditions that he faced or would face on return were so perilous that his life would be jeopardized. For these reasons, he was not a “refugee” as defined by the Refugee Convention.”

Der Menschenrechtsausschuss hatte nicht grundsätzlich zu entscheiden, was mit denjenigen geschehen soll, die sich selbst als Klimaflüchtlinge bezeichnen. Zu entscheiden war die konkrete Frage, ob das Gericht in Neuseeland, das Teitiota zurückgewiesen hatte, damit dessen Menschenrechte verletzte. Der UN-Menschenrechtsausschuss kam zu dem Schluss, das sei nicht der Fall gewesen. Das Urteil in Neuseeland sei aus guten Gründen so ergangen.

Im Deutschlandfunk heißt es an einer Stelle im Text, und so weit richtig:

„In Neuseeland wurde sein Asylantrag abgelehnt und Teitiota abgeschoben – nach Ansicht des UNO-Menschenrechtskomitees zu Recht, weil Teitiota noch keinen lebensbedrohlichen Risiken ausgesetzt gewesen sei.“

Von „noch“ hatte das Gericht allerdings nicht gesprochen. Es hatte keine lebensbedrohlichen Risiken sehen können.
Der UN-Menschenrechtsausschuss akzeptierte in seiner Entscheidung nicht nur das Urteil des neuseeländischen Gerichts. Es sah ausdrücklich keine Verletzung der Menschenrechte Teitiotas:

“Without prejudice to the continuing responsibility of the State party to take into account in future deportation cases the situation at the time in the Republic of Kiribati and new and updated data on the effects of climate change and rising sea-levels thereupon, the Committee is not in a position to hold that the author’s rights under article 6 of the Covenant were violated upon his deportation to the Republic of Kiribati in 2015.”

Trotzdem heißt es beim Deutschlandfunk weiter, um die Überschrift zu rechtfertigen:

„Dennoch könnte die Einschätzung des Komitees Signalwirkung haben. Denn es verwies darauf, dass künftig in jedem Einzelfall geprüft werden solle, ob ein Anspruch auf Schutz besteht. Und das Komitee wagte auch eine Prognose: Wenn die internationale Gemeinschaft keine umfassenden Maßnahmen für den Klimaschutz ergreife, hätten in Zukunft viele Flüchtlinge Anspruch auf Asyl und dürften nicht mehr abgeschoben werden.“

Die erste Aussage ist eine Binse: In einem Asylverfahren muss immer im Einzelfall geprüft werden, ob Anspruch auf Schutz besteht. Darin besteht das Verfahren ja gerade. Bei der zweiten Aussage handelt es sich nicht um eine „Prognose“, sondern um eine Wenn-dann-Formulierung.

Der UN-Menschenrechtsausschuss stellt – wenig überraschend – fest, dass, wenn es nicht zu dem kommt, was er als Klimaschutzmaßnahmen für nötig hält, sich die Situation von Menschen in bestimmten Ländern verschlechtern könnte, und dass dann ein Abschiebeverbot (non-refoulment obligation) von Zielländern greifen könnte. Das wäre insbesondere der Fall, wenn ganze Inseln (oder Länder) im Wasser versinken würden:

„The Committee is of the view that without robust national and international efforts, the effects of climate change in receiving states may expose individuals to a violation of their rights under articles 6 or 7 of the Covenant, thereby triggering the non-refoulement obligations of sending states. Furthermore, given that the risk of an entire country becoming submerged under water is such an extreme risk, the conditions of life in such a country may become incompatible with the right to life with dignity before the risk is realized.“

An keiner Stelle schätzt die UN-Organisation allerdings ein, für wie wahrscheinlich sie das hält, und wie viele Menschen davon betroffen wären. Kurzum: Eine Prognose wagt sie gerade nicht. An anderer Stelle vermerkt der Ausschuss, dass die Regierung von Kiribati schon seit Jahren Schutzmaßnahmen ergreife.

Zu der Flächenentwicklung von Kiribati gibt es interessante Untersuchungen, die allerdings in dem Bericht des Deutschlandfunks nicht vorkommen. Die Wissenschaftler Naomi Biribo und Colin Woodroffe von der Universität Wollongong in Australien kamen 2013 durch die Auswertung von Luftbildern zu dem Ergebnis, dass vor allem die Fläche der Hauptinsel zugenommen habe:

„Low-lying reef islands on atolls appear to be threatened by impacts of observed and anticipated sea-level rise. This study examines changes in shoreline position on the majority of reef islands on Tarawa Atoll, the capital of Kiribati. It investigates short-term reef-island area and shoreline change over 30 years determined by comparing 1968 and 1998 aerial photography using geographical information systems. Reef islands have substantially increased in size, gaining about 450 ha, driven largely by reclamations on urban South Tarawa, accounting for 360 ha (~80 % of the net change).“

An anderen Stellen gebe es Erosionen der Küstenlinie – allerdings nicht durch den Klimawandel, sondern vorwiegend durch menschliche Aktivitäten vor Ort.

Fazit: Mit seiner Überschrift, einem unpassenden Foto und einer ungenauen und sehr selektiven Wiedergabe der UN-Entscheidung liefert der Sender seinem Publikum ein hochgradig verzerrtes Bild. Die Überschrift hätte stattdessen heißen müssen: „UN-Menschenrechtskomitee weist Beschwerde eines Einwohners von Kiribati ab – und sieht ihn nicht als Klimaflüchtling“.

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