Tichys Einblick
Die Aufklärung ist das Maß

Merkels Innenminister Horst Seehofer: Binsen über den Islam in Deutschland

Nachhilfe für Seehofer: Nicht das Christentum ist des Islam (und aller Religionen) Maßstab in Deutschland und Europa, sondern die Aufklärung.

© CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images)

Tja, was fehlt diesem neuen Innenminister? Was bräuchte Horst Seehofer am dringlichsten? Wie wäre es mit einem Logikseminar Fachbereich Dialektik? Denn was soll das eigentlich bedeuten, wenn Seehofer jetzt den wilden Mann spielt, wenn sein erster öffentlicher Standpunkt im Amt so geht: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt.“?

Wer sich beim Volk beliebt machen will mit einer Aussage, so direkt an der Realität vorbei, der muss seine große Mehrheit Nicht-Mohammedaner in Deutschland schon für besonders naiv halten. Denn natürlich gehört der Islam zu Deutschland. Etwas anderes zu behaupten, wäre der Blickwinkel aus der Vogel-Strauß-Perspektive.

Nehmen wir nur mal das traditionell konservativ beschauliche baden-württembergische Heilbronn. Etwas mehr als einhunderttausend Einwohner, davon über 50 Prozent Migranten. In den Kitas, Kindergärten und Schulen liegt der Anteil heute bei über 70 Prozent. Durchgehend übrigens, nicht nur irgendwo in irgendeiner ängstlich beäugten Rütli-Schule.

Das Schulamt Heilbronn arbeitet mit interkulturellen Broschüren zur Schulentwicklung, die Vielfalt auf dem Lehrplan haben, die als wertvolle Ressource zu betrachten sei. Dort heißt es verdruckst: «Zentral ist die Wendung des Blickwinkels von den Schülern und Schülerinnen als Gruppe mit einem besonderen pädagogischen Förderbedarf (wie es ausländerpädagogische Ansätze nahelegen) zu ihrer Wahrnehmung als „Normalfall“.»

Da es sich hier mehrheitlich um Kinder aus muslimischen Familien handelt, sind Muslime in Heilbronn also ein Normalfall. Zu behaupten, wie Seehofer, diese Menschen gehörten auf Grund ihrer Religion kulturell nicht zu Heilbronn, hieße zu sagen, sie stören, sie müssen weg. Anders ist ja die Forderung „gehört nicht zu“ kaum zu deuten.

Das Heilbronner Einwohnermeldeamt gibt die Zahl der Muslime mit „über zehntausend“ an. Es werden aber deutlich mehr sein.

„Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt.“ Was will uns Seehofer sagen? Dass Deutschland durch das Christentum geprägt ist: Gut, wer würde das in Zweifel ziehen, wenn doch die hier über Jahrhunderte hinweg Christen waren. Religionsunterricht light für die dritte Klasse. Aber am Beispiel Heilbronn wird deutlich: Es sind auch Muslime da. Die gehen nicht weg. Und deren Kinder sind selbstverständlicher Teil einer Mehrheitsgesellschaft von heute und morgen. Selbstredend werden sie auch kulturell Gesellschaft prägen, alles andere wäre unrealistisch.

Wenn wir also ein christlich geprägtes Heilbronn, Deutschland, Europa wollen, dann hätte Seehofer konsequenterweise sagen müssen: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt. Wir müssen verhindern, dass Muslime hier kulturellen Einfluss nehmen. Wer nicht in unserer christlich geprägten Kultur leben mag, der muss gehen.“

Hat er aber nicht gesagt. Auch weil ihm klar sein dürfte, dass hier nunmehr in der dritten, sogar vierten Generation Muslime leben, die ein Anrecht haben, ihren kulturellen Bedürfnissen entsprechend ihr Leben zu gestalten. Wenn Seehofer die christliche Religion zum kulturellen Maßstab nimmt, dann schließt er diese Menschen kategorisch aus. Wenn er allerdings gesagt hätte, dass der Islam ein politischer ist, der mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar ist, dann wäre er beweispflichtig gewesen. Mit dem Argument, Deutschland sei durch das Christentum geprägt, ist er jedenfalls auf der falschen Fährte. Schlecht bewaffnet. Alles, was es heute in westlichen Demokratien gegen einen aggressiven Islam zu verteidigen gilt, musste im Gegenteil historisch vor allem gegen christliche Institutionen erkämpft werden, wir nennen es Aufklärung. Ein Wettbewerb der Glaubensauffassungen ist Sache der Religionen. Recht und Gerechtigkeit braucht die Gewissheit des Gesetzbuches.

Da ließe sich durchaus stringenter argumentieren, beispielweise damit, dass knapp 60 Prozent der Türken bzw. Doppelpässler in Deutschland (die ihr Wahlrecht wahrnahmen) die AKP, also die Partei des muslimischen Autokraten Erdogan gewählt haben. Oder wenn die Universität Münster 2016 im Rahmen ihrer Studie „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“ feststellen musste, dass islamisch-fundamentalistische Einstellungen unter Einwanderern aus der Türkei weit verbreitet sind. 32 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, dass Muslime „die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten des Propheten Mohammeds anstreben“ sollten. «Der Aussage „Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe“ stimmen sogar 47 Prozent der Befragten zu.» Hier ist der Sprengstoff gelegt.

Diesen äußerst beunruhigenden Umfrage-Ergebnissen kann man mehr entgegensetzen als eine Diskussion darüber, inwieweit die christlichen Kirchen Anteil an der Aufklärung hatten. Horst Seehofer mag mit seinem christlichen Bezug die Pastorentochter Merkel und die Ex-Präses der Synode der Evangelischen Kirche, Katrin Göring-Eckardt, erreichen, für eine lösungsorientierte Debatte ist der Christentum-Bezug die schwächste Waffe gegen einen aggressiven Islam. Religionskriege sind fast so alt wie die Menschheit selbst. Der Krieg der Kulturen ist, wenn es einen gäbe, dann keiner zwischen Islam und Christentum, sondern einer zwischen Islam und einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft, die schon einmal erfolgreich eine Religion eingehegt und zur Privatsache erklärt hat: Das Christentum.

Der Populismus-Vorwurf ist ein inflationär genutzter: Tatsächlich ist, was Seehofer da treibt, reinster Populismus. Er nutzt keiner Seite, möchte nur eine wohlige Stimmung im Bauch derer erzeugen, die unsicher, die verängstigt und in Sorge sind über einen Islam, der in Deutschland längst zu Hause ist, der im Idealfalle nur in den Wohnungen und Moscheen der Muslime gelebt wird. In Heilbronn wird möglicherweise schon öfter nach Mekka gebetet, als Richtung Kreuz. Immer mehr Moscheebauten zeugen nicht nur in Baden-Württemberg von einem wachsenden Selbstbewusstsein dieser erstarkten Gruppe.

Oder noch einmal anders gesagt: Hier kollidieren bei Seehofer zwei Betrachtungsweisen. Weil der Innenminister nicht von Einheimischen reden bzw. gar völkisch argumentieren mag, kann, soll oder will, nutzt er den schiefen Umweg über ein weiteres Merkmal des deutschen Volkes: die historisch christlich geprägten Familiengeschichten. Damit erweist er der Debatte dann aber einen Bärendienst. Denn wer der Auffassung ist, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, der muss den Islam per se angreifen. Aber nicht mit einem anachronistischen Herrschaftsanspruch des christlichen Kreuzes, sondern mit dem humanistisch-demokratischen Wertekanon unserer Gesellschaft. Der ist im Übrigen sowieso wirkmächtiger und universeller als die Offenbarung des Johannes oder sonst was.

Und um bei Seehofer zu bleiben: Der Innenminister sollte vor allem keinen Posten in einem Kabinett Merkel besetzen wollen, wenn ihn doch so viel trennt von der Kanzlerin und ihrer Massenzuwanderungsagenda. Da er nun trotzdem weiter zur Kanzlerin steht, wird nicht nur sein neues Heimatmuseum in Berlin Alt-Moabit 140 zur Lachnummer. Nein, der Chef des Hauses ist es dann ebenfalls, wenn er glaubt, ein paar religiös-emotionale Brosamen würden genügen, die Sorgen der Deutschen wegwischen zu können, wenn er eigentlich nichts weiter sagt, wenn er sagt: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt.“