Tichys Einblick
Dreh' dich nicht um, der Themenklau geht um

Merkel: dra di net um, der Themenklau geht um

Um mehr als den Themenklau geht es Merkel bei der "Ehe für alle" nicht, bei der es in Wahrheit um "Kinder für alle" geht. Ihre nächste Etappe ist die Bundestagswahl. Was die Fortsetzung ihrer Machtposition stört, räumt sie aus dem Weg.

© Alexander Koerner/Getty Images

„Also ich halte das Ganze für eine genial eingefädelte Zweitstimmenkampagne zu Gunsten der AfD.“ Kommentierte ein Leser den Beitrag „Bei der „Ehe für alle“ will Merkel keinen Fraktionszwang„. Wie viel da dran ist, ahnen wir vielleicht bei der nächsten Umfrage. Aber halbwegs sicher wissen können wir es erst am Wahlabend. Jedenfalls geht Merkel im üblichen Themen-anderer-Parteien-Abräumverfahren ein Risiko an der Wählerfront ein, das sie nicht kalkulieren kann und nicht kalkuliert hat.

Eine andere Leserstimme sagt. „Merkel will doch gerade, dass die CDU/CSU-Fraktion teilweise dagegen stimmt. Dann sind die ‚konservativen‘ CDU-Wähler eingeseift und mit den Stimmen SPD/GRÜNINNEN/Linke ist die Abstimmung trotzdem gewonnen.“ Dieser kluge Gedanke ist mit dem ersten durchaus kompatibel. Und auch mit diesem: „Der Wähler schluckt das mit dem Gefühl: ‚Ach, dann ist es halb so schlimm!'“ Eine Mischung der vermuteten Effekte wird stattfinden – ist aber eben eine Lotterie.

Komplizierter als auf den ersten Blick
Ehe für Alle (EfA) und der Wahlkampf – Gewissensentscheidung oder genialer Coup?
Der alte Hit von Falco, „dra di net um, der Kommissar geht um“, kam mir in den Sinn, als ich dem neusten Schwenk von Frau Merkel verfolgte. Was wir ausschließen dürfen, ist, dass Merkels Kalkül über den Themen-Klau-Effekt hinausreicht. Ihre nächste Etappe ist die Bundestagswahl. Wie die Dinge auf sie zukommen, geht sie mit ihnen um, sofern es die Fortsetzung ihrer Machtausübung betrifft. Sonst nicht. Die Vierte Gewalt bestätigt Merkel darin. Wenn sie ungestraft von den Medien, geschweige denn scharf kritisiert, den Abgeordneten die Abstimmung „freigeben“ kann, muss sie von solchen Medien nichts befürchten, kann im Gegenteil weiter mit ihrer blinden Unterstützung rechnen (nähert sich ihr Abtritt eines Tages, werden dieselben Medien gnadenlos über sie herfallen und rücksichtslos nachtreten).

Im Moment schaut es demoskopisch-propagandistisch so aus:

Schauen wir nächste Woche auf die Ziffern, die nach dem Themen-anderer-Parteien-Abräumverfahren in Sachen „Ehe für alle“ in Gestalt einer namentlichen Abstimmung im Bundestag ermittelt wurden. Entweder sie bestätigen das Forsa-Bild oder verschärfen die INSA-Sicht. Dann haben wir einen Anhaltspunkt, ob und wenn ja, wie Merkels neuester Schwenk sich ausgewirkt hat. Merkels Absicht ist nicht offensiv, sondern defensiv. Aber ihre Defensive kann sich offensiv gegen sie richten. Sie hat den großen Strategen Sunzi nicht gelesen: Begib‘ dich nie in ein Gelände, das du nicht jederzeit und ohne Verluste wieder verlassen kannst.

Fußnote: Für die uniforme Selbstverständlichkeit praktisch aller Medien, einfach nur zu melden, Merkel „gibt die Abstimmung frei“, gibt es die Note 6 minus.