Tichys Einblick
Regierungserklärung

Merkel deutet Absprachen mit den Taliban, Pakistan und der Türkei an

In ihrer Regierungserklärung deutet Merkel an, dass sie mit der Türkei und Pakistan neue Flüchtlingsdeals verhandelt oder schon beschlossen hat. Und sie setzt kritische Erkenntnisse angesichts des Scheiterns in Afghanistan in einer absurden intellektuellen Volte mit Vermessenheit gleich.

Angela Merkel bei der Regierungserklärung im Bundestag am 25. August 2021

IMAGO / Metodi Popow

Eine Regierungserklärung hat dem Worte nach die Funktion, etwas „klar“ zu machen. Nämlich die Haltung und das Handeln der Regierenden. Davon konnte bei Angela Merkels Auftritt vor dem Bundestag „zur Lage in Afghanistan“ heute kaum die Rede sein. Klar wurde da wenig – wie nicht anders zu erwarten. Merkel hat in den mehr als 16 Jahren das Gegenteil des sich Erklärens zu einer Herrschaftsmethode entwickelt: das Verschleiern ihrer Politik.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das war keine Sternstunde des deutschen Parlamentarismus. Die klügsten Worte, die da gesprochen wurden, sagte zur Eröffnung der Sitzung Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Aber es waren nicht seine eigenen, sondern ein Satz des verstorbenen Kurt Biedenkopf, an den er erinnerte: „Einsicht braucht die Not als Verbündeten.“ Die Not, so kann man demnach nur folgern, ist ganz offensichtlich noch nicht groß genug.

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Merkel begann, wie fast alle, die nach ihr sprachen, mit Worten wie „furchtbar“ und „bitter“. Sie sprach von einem BKA-Beamten, der schon 2007 in Afghanistan ermordet wurde, nachdem er in ihrem Personenschutzkommando gedient hatte. Doch danach begannen schon die Un“klar“heiten in dieser vermeintlichen Erklärung. „Wir“ (das typische Merkel-Wir) hätten durchaus erwartet, „dass es Kämpfe geben könnte“. Sie sprach das so aus, als hätte es tatsächlich Kämpfe gegeben. Und dann sagte sie, man habe unterschätzt, dass die Regierung den Widerstand gar nicht erst aufnehmen würden.

Wichtig ist ihr offensichtlich dasselbe, was auch Außenminister Heiko bei jeder Gelegenheit betont: „Deutschland ist keinen Sonderweg gegangen, … für den es sich hätte kritisieren lassen müssen“. Noch mehrfach betont Merkel, man habe alles „gemeinsam“ mit den Verbündeten und „wie andere auch“ getan. Als ob dadurch irgendetwas besser würde.

Sie könne, so die Kanzlerin, die Frage „verstehen“, „warum wir die Ortskräfte nicht früher evakuiert haben“. Und dann informiert sie immerhin:

„Seit 2013 haben wir gefährdete Ortskräfte der Bundeswehr und der Polizei und ihre Familienangehörigen über das Ortskräfteverfahren kontinuierlich nach Deutschland geholt, wenn sie von den Taliban bedroht wurden. Zwischen 2013 und dem August dieses Jahres sind im regulären Verfahren über Tausend Ortskräfte und ihre Familienangehörigen eingereist, insgesamt über 4800 Menschen, nach der Abzugsentscheidung der Verbündeten Truppen haben in einem beschleunigten Verfahren 2500 Ortskräfte und Familienangehörige Visa erhalten, und mit der Zuspitzung im Land wurde ein Visum nicht mehr erforderlich. Das war die eine Seite. Auf der anderen Seite waren wir immer auch von der Überzeugung geleitet, auch nach dem Abzug der internationalen Truppen für die Menschen in Afghanistan die deutsche Entwicklungsarbeit fortsetzen zu wollen. Wir wollten ihnen auch unter schwieriger werdenden Bedingungen zur Seite stehen. Dafür sind wir auf Menschen vor Ort, also unsere Ortskräfte angewiesen.“

Dann wurde es interessant, aber auch weniger konkret: „Wir setzen uns für den Zugang unserer Staatsangehörigen, Ortskräfte und Schutzbedürftigen zum Flughafen Kabul ein.“ Da taucht also mit den „Schutzbedürftigen“ erstmals eine dritte Gruppe der zu Evakuierenden auf, die die Bundeskanzlerin nicht näher definiert. Schon jetzt war unter den Evakuierten bekanntlich auch ein Straftäter. In Frankreich herrscht Aufregung über fünf evakuierte Islamisten.

Das Ende der Luftbrücke in einigen Tagen dürfe nicht das Ende der Bemühungen sein, den Afghanen zu helfen, die durch den Vormarsch der Taliban in noch größere Not gestürzt worden sind. „Darüber sprechen wir auch mit den Taliban“, sagt die Kanzlerin.

Mit diesen Worten leitet die Kanzlerin die verklausulierte Nachricht ein, dass die Bundesregierung mit den Taliban ganz offensichtlich um eine Art Freikaufsgeschäft verhandelt. Ähnlich wie seinerzeit mit der DDR-Regierung scheint die Bundesregierung willens, die islamistischen Gewalttäter dafür – zumindest indirekt – zu bezahlen, dass diese Landsleute in die Bundesrepublik übersiedeln lässt. Nur geht es eben jetzt nicht mehr um Deutsche, sondern Afghanen. „Deshalb wird in diesen Tagen intensiv auf allen Ebenen daran gearbeitet, wie wir auch dann Wege schaffen können, mit denen wir weiter diejenigen, die uns geholfen haben, schützen können.“

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Sie spricht von einem möglichen „zivilen Betrieb des Flughafens Kabul“, der offenbar – so muss man wohl zwischen ihren Worten heraushören – Thema der Gespräche mit den Taliban ist, und sie gibt dann auch bekannt, dass die Bundesregierung zusätzlich zu den 100 Millionen Euro „Soforthilfe“ noch „weitere 500 Millionen Euro“ für „humanitäre Hilfe“ in Afghanistan und den Nachbarländern bereitstelle. Dass die ersteren 100 Millionen im Zusammenhang mit den erwähnten „Gesprächen“ mit den Taliban stehen, ist offensichtlich. Da sie im Zusammenhang mit den „weiteren“ 500 Millionen von den „Flüchtlingen in den unmittelbaren Nachbarstaaten“ und Gesprächen mit dem UNHCR, dem pakistanischen Präsidenten Khan und dem türkischen Präsidenten Erdogan spricht, kann man wohl davon ausgehen, dass es mit diesen und der Taliban-Regierung zu Verabredungen gekommen ist.

Bestätigung kam dann auch kurz darauf von ihrem Unterhändler mit den Taliban in Doha per Twitter:

Zu diesen Gesprächen und den insgesamt 600 Millionen Euro für Taliban-Afghanistan und die Nachbarn hätte man natürlich gerne mehr erfahren als die reine Erwähnung der Namen und Summen. Als Steuerzahler hat man eigentlich auch ein Recht darauf. Doch da bricht die Kanzlerin schnell ab, um zu behaupten, dass die internationale Gemeinschaft und Deutschland in den vergangenen 20 Jahren auch Gutes in Afghanistan bewirkt hätten.

„Unkonditionierte Verabredungen mit den Taliban kann und darf es nicht geben“, sagt Merkel. Was die Bedingungen sind, die man den Taliban gestellt hat oder noch stellen wird, sagt sie nicht. Dass die Taliban sich für jedes Erhalten der Errungenschaften, die der Westen dem Land brachte, und für die Erlaubnis ihre auswanderungswilligen Landsleute in Deutschland zu beherbergen, von nun an mit zusätzlichen „humanitären Hilfen“ bezahlen lassen, kann man wohl erwarten.

Ganz als Meisterin des politischen Nebels zeigte sich Merkel am Ende ihrer Rede. In einer Regierungserklärung, von der man Antworten erwarten sollte, stellte sie – sozusagen ihre eigene Opposition simulierend – „kritische Fragen“, die „fundiert“ zu beantworten sie dann als „vermessen“ bezeichnete: „Waren unsere Ziele zu ergeizig? Kamen diese Ziele bei aller Unterstützung aus der afghanischen Zivilgesellschaft tatsächlich bei der Mehrheit der Afghanen an? Hätten die großen kulturellen Unterschiede ernster genommen, historische Erfahrungen stärker gesichtet werden müssen? Haben wir das Maß der Korruption, beziehungsweise ihre Wirkung bei den Verantwortlichen in Afghanistan unterschätzt? … Wurde … die Kampfbereitschaft der afghanischen Streitkräfte überschätzt?“

Man muss wahrlich kein Afghanistan-Experte sein, um diese Fragen mit Ja oder Nein ziemlich fundiert beantworten zu können. Es ist ein raffiniertes demagogisches Manöver, naheliegende Erkenntnisse aus dem Scheitern des Afghanistan-Einsatz und damit eine vernichtende Kritik an den von Merkel (und anderen Regierenden westlicher Staaten) begangenen Fehlern als „vermessen“ zu brandmarken. Hier versucht sich eine Kanzlerin gegen Kritiker zu immunisieren, indem diese in den Geruch des Hochmuts und der Besserwisserei gebracht werden.

Die Not ist, um Biedenkopfs Bonmot aufzunehmen, also womöglich noch nicht groß genug in der Bundesregierung, um ein ausschlaggebender Verbündeter der Erkenntnis zu sein.

Alexander Gauland versäumte in seinem folgenden Redebeitrag allerdings die Chance, die Kanzlerin hier zu packen. Er verlegte sich auf Radikalopposition und gab sich die Blöße zu behaupten: „Unsere Werte sind nicht universell“. In Afghanistan sei die Idee der One World gescheitert.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch lieferte immerhin drei klare, unvernebelte Feststellungen: „Der Versuch die Demokratie zu exportieren, ist gescheitert“; „die Taliban sind stärker als vor dem 20-Jährigen Krieg“ und: „der gescheiterte Afghanistan-Einsatz ist der schwärzeste Punkt in Ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft.“ Dass die Mehrheit der Linken-Fraktion nicht für das nachträgliche Mandat für den Evakuierungseinsatz der Bundeswehr stimmte, kann man nur wie der CDU-Abgeordnete Wadephul „fassungslos“ zur Kenntnis nehmen.

Und die anderen Redner? Waren kaum beachtenswert. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich behauptete völlig wirklichkeitsfern: „Die meisten Deutschen und Afghanen teilen den Schmerz über die Machtübernahme der Taliban.“ Warum es dann so gut wie keinen Widerstand gegen diese Machtübernahme gegeben habe, fragte er sich nicht. Er redete lieber von der Partnerschaft des Kabuler und Kölner Zoos.

Der FDP-Chef Christian Lindner simulierte nicht einmal mehr Opposition. Seinen Beitrag kann man wohl als Redeübung für die von ihm ersehnten künftigen eigenen Regierungserklärungen abhaken. Von Baerbocks Beitrag bleiben nur ungezählte holprige Versprecher („Außenpolitik ist immer eine Abwägung zwischen Dilemma“), das „Kanzlerinnenamt“ und die afghanischen „Frauenrechtlerinnen und Frauenrechtler“ in Erinnerung.

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