Tichys Einblick
Marsch für das Leben

Mehrere Tausend demonstrieren in Berlin gegen Abtreibungen

Tausende Bürger haben sich am Wochenende am „Marsch für das Leben“ beteiligt. Sie setzen sich unter anderem für die Familie und gegen Abtreibungen ein. Es ist ein Kampf gegen einen mächtigen PR-Apparat.

IMAGO/epd

An Anfeindungen sind sie gewöhnt. Auf der Demonstration in Berlin-Mittte kam es immer wieder zu Störungen einzelner Aktivisten, die gegen Familien und für Abtreibungen streiten. „Es kommen nicht mehr viele von denen, eigentlich vermisse ich sie ein wenig“, sagt ein Sprecher von „Demo für alle“ am Abend gut gelaunt. Die Gruppe hat zu einem Bankett eingeladen, mit Fachvorträgen namhafter Autoren wie Dr. Ulrich Vosgerau und Tapio Puolimatka.

Tausend Teilnehmer hat das „RBB24 Inforadio“ von der Demonstration gemeldet. Auf die inhaltlichen Forderungen der Organisatoren ist die öffentlich-rechtliche Redaktion kaum eingegangen. Das war vor einigen Wochen anders. Da demonstrierten Klimaschützer in Berlin und der RBB ging im gleichen Format inhaltlich ausführlich auf sie ein. Die Demonstration hatte 150 Teilnehmer.

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„150 Teilnehmer laut RBB“ muss es journalistisch korrekt heißen. Denn bei Teilnehmerzahlen kommt es auf die Quelle an: Liegt einer Redaktion ein Thema, können aus der Schlange vor der Dönerbude schon mal 150 Klimaaktivisten werden. Mag die gleiche Redaktion das Anliegen nicht, sind es dann vielleicht nur tausend Teilnehmer, wenn eine Veranstalterin sagt: „Es waren mindestens 5000 Teilnehmer. Es war eine eindrucksvolle, schöne Kundgebung“, so Hedwig von Beverfoerde, Gründerin der Initiative „Familienschutz“ und eine der Organisatorinnen von „Demo für alle“.

Die öffentlich-rechtlichen Medien gehören zur Situation der Initiative: Einerseits erlebt die Gruppe eine breite Unterstützung, die auch nicht nachgelassen hat, als andere Themen die öffentliche Debatte überlagerten. Jüngst vor allem die für viele existenzbedrohende Energiekrise. Auch erreichen sie, so von Beverfoerde, in Gesprächen zum Thema eine breite Mehrheit der Gesellschaft. Etwa, wenn es ums Gendern geht. Doch, das ist das Problem: Mit dieser breiten Mehrheit muss „Demo für alle“ erst einmal ins Gespräch kommen.

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Denn auf der anderen Seite steht eine politische Konstellation, die identitätspolitischen Themen im Parlament eine Mehrheit gibt, die diese in der Bevölkerung nicht haben. Auch und gerade mit Unterstützung der FDP. Außerdem gibt es eine mit 8,5 Milliarden Euro im Jahr geölte PR-Maschine, die sich wenig Mühe gibt, zu verbergen, auf welcher Seite sie steht. Es ist nicht die Seite von „Demo für alle“ mit ihrem Einsatz für Familie und gegen Abtreibungen.

Vosgerau macht den Besuchern in seinem Vortrag deutlich, gegen welche PR-Fallen sie ankämpfen. Zwar ist Vosgerau auch ein Autor. Vor allem aber ist er Jurist. Doch beides gehört in dem Fall zusammen. Denn hinter vermeintlich gut klingenden Slogans – mit Forderungen, gegen die eigentlich keiner etwas haben kann – verbergen sich politische Ziele, die eine juristische Wucht haben, das Land massiv zu verändern.

Zum Beispiel die Rechte für Kinder als Teil des Grundgesetzes: Wer kann da etwas dagegen haben? Kinder schützen? Sollte man das nicht überall? Wenn’s sein muss, halt auch in der Verfassung. Doch das ist ein „Trojanisches Pferd“, wie Vosgerau warnt. Stehen die Rechte der Kinder im Grundgesetz, kann der Staat in Familien reinregieren. Eine mögliche Argumentationskette sehe dann so aus: Die Eltern sagten ihren Kindern, die zielführenden und überlebensnotwendigen staatlichen Schritte zum Klimaschutz seien vielleicht gar nicht überlebensnotwendig und ganz sicher nicht zielführend. In einer politisch solch oktroierenden Umgebung zu leben, widerspreche den Grundrechten der Kinder, antwortet der Staat. Er müsse die Kinder aus diesem Umfeld rausnehmen.

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Die Biologie ist derzeit der größte Feind der Identitätspolitiker. Auf natürlichen Tatsachen basiere das deutsche Familienrecht bisher, erklärt Vosgerau: Mutter kann nur sein, wer das Kind geboren hat. „Leihmütterschaften sind in Deutschland verboten.“ Als Vater gilt grundsätzlich erst einmal der Ehemann der Mutter. Im deutschen Recht ergebe sich daraus das Recht der Familie, das derzeit im Grundgesetz geschützt sei, so Vosgerau. In dieses Recht darf der Staat nicht ohne starke Begründung eingreifen.

Der identitätspolitische Ansatz hebele dieses Grundrecht aus. Ähnlich wie bei der sexuellen Identität, solle hier das Selbstbestimmungsrecht gelten, wenn sich die Aktivisten durchsetzen. Auch hier ist es ihnen wieder gelungen, einen schwer zu besiegenden PR-Begriff zu etablieren: Wer kann etwas gegen „Selbstbestimmung“ haben? Doch hinter dem positiven Begriff der Selbstbestimmung verstecken sich die negativen Begriffe der Beliebigkeit – wenn nicht sogar der Willkür. Denn wenn individuell entschieden werden kann, wer die Eltern sind, statt dass die biologischen Tatsachen dies bestimmen, dann ist letztlich der Staat der Schiedsrichter. Mindestens muss er die Entscheidung dokumentieren, grundsätzlich versetzt ihn das aber auch in die Rolle zu entscheiden.

Das hat für den Staat verschiedene Vorteile. Ganz praktische, wie Vosgerau ausführt. So spricht sich die Ampelregierung – unter Fach-Verantwortung der FDP – für die Mehrelternschaft aus. Bis zu vier Personen können dann Elternrechte auf ein Kind beantragen. Für den Staat ist das praktisch: Fallen drei als Ernährer aus, kann sich der Staat auf den Vierten bezüglich Unterhaltsforderungen wenden.

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Die Identitätspolitik ermöglicht dem Staat aber auch „Machtausübung“, wie Puolimatka sagt. Der finnische Philosoph macht es an dem Thema geschlechtliche „Selbstbestimmung“ fest. Neben den praktischen Effekten, die diese Forderung mit sich bringt, gehe es auch um eine ideologische Frage: Der Staat setze sich über die wissenschaftliche Biologie hinweg, indem er sagt, wie viele Geschlechter es gebe.

So ist es der Staat, der bestimmt. Gleichzeitig verabschiede der Gesetze, die Zweifel an dieser Behauptung als Diskriminierung der Betroffenen unter Strafe stellt. „So entsteht eine neue Staatsreligion – inklusive Blasphemieparagraphen“, sagt Puolimatka. Die Botschaft lautet: Der Bürger muss folgen, der Staat bestimmt. Der Staat muss seine Entschlüsse nicht mehr begründen, etwa wissenschaftlich oder juristisch. Dass er die Macht hat, ist die Begründung seiner Beschlüsse.

Als das Werbeverbot für Abtreibungen fiel, feierten identitätspolitische Aktivisten auf Twitter regelrecht Abtreibungen. Andere Nutzer mussten sie daran erinnern, dass der Tod eines Lebens – auch eines Ungeborenen – jetzt nichts direkt Schönes oder Fröhliches sei. Es gibt eine Mehrheit gegen identitätspolitische Forderungen. Sei es das Gendern, sei es, dass jeder jederzeit und nach Bedarf sein vermeintliches Geschlecht wechseln kann oder das Aktivisten Abtreibungen als Lifestyle feiern. Doch gegen diese Mehrheiten in der Bevölkerung stehen politische Mehrheiten, zu denen die FDP gehört und eine PR-Maschine, die unter anderem mit 8,5 Milliarden Euro im Jahr geölt wird.

Ist das nicht frustrierend, mag man da nicht mal hinwerfen? „Nein“, sagt von Beverfoerde. „Es ist weiterhin richtig, sich mit Aufklärung und Widerstand dagegen zu stellen.“ Auch oder gerade weil die Umstände widrig seien, müsse man so lange reden, bis man die Mehrheit in der Bevölkerung erreicht, die die gleichen Positionen teilten. Obwohl Medien wie „RBB24 Inforadio“ lieber auf die Inhalte einer Demonstration mit „150 Teilnehmern“ eingehen als auf die einer Demonstration mit mehreren tausend Teilnehmern.

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