Tichys Einblick
Entlastungen von über 65 Milliarden Euro

Das Maßnahmenpaket der Ampelkoalition trägt deutliche SPD-Handschrift

Die Ampelkoalition hat das dritte Entlastungspaket vorgestellt. Die Maßnahmen tragen eine deutliche SPD-Handschrift. Selbstständige sowie kleine und mittlere Unternehmen bleiben außen vor. Der Finanzminister erklärt, die Kosten könnten aus dem laufenden Haushalt finanziert werden.

Grünen-Co-Chef Omid Nouripour, Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und SPD-Vorsitzende Saskia Esken bei der Pressekonferenz am 4. September 2022

IMAGO / Metodi Popow

In der Pressekonferenz am Sonntag stellte die Ampel-Koalition eine Reihe finanzieller Entlastungen für untere Einkommen wegen steigender Energiepreise und Inflation vor. Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses tragen eine deutliche SPD-Handschrift. Selbstständige sowie Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) bleiben außen vor.

Ein Überblick
  • Wurden Rentner und Studenten bei der Energiepreispauschale, die für alle Arbeitnehmer Ende September in Höhe von 300 Euro (abzüglich Steuern und Sozialversicherungsanteile) mit dem Gehalt ausgezahlt werden, noch vergessen, so sollen Rentner nun eine Einmalzahlung von 300 Euro erhalten. Studenten bekommen einmalig 200 Euro.
  • Das Kindergeld soll zum Anfang des neuen Jahres für zwei Jahre um 18 Euro für das erste und zweite Kind aufgestockt werden. Das bedeutet für eine Familie mit zwei Kindern 432 Euro pro Jahr mehr. Der Kinderzuschlag für Bezieher niedriger Einkommen (darunter Alleinerziehende) wird von derzeit maximal 229 Euro auf 250 Euro pro Monat angehoben.
  • Arbeitnehmer mit einem Midijob zahlen ab 2023 keine Sozialabgaben mehr. Erst ab einem Gehalt von 2000 Euro müssen Sozialbeiträge abgeführt werden. Die sogenannte Midijob-Grenze steigt im Oktober von 1300 auf 1600 Euro, ab Januar 2023 wird die Grenze auf 2000 Euro festgesetzt.
  • Der Wohngeldanspruch soll ausgeweitet werden. Von bisher 700.000 Berechtigten Beziehern von Wohngeld steigen die Anspruchsberechtigten nach dem Vorhaben der Ampel-Koalition auf zwei Millionen. Berechtigte sollen demnach einen einmaligen Heizkostenzuschuss von 415 Euro erhalten. Für September bis Dezember erhalten die jetzigen Berechtigten einen zweiten Heizkostenzuschuss von 415 Euro bzw. 540 Euro für zwei Personen, für jede weitere Person zusätzlich 100 Euro.

Finanziert werden soll dies zu Teilen durch ein „Abschöpfen von Zufallsgewinnen“. Bedeutet also durchaus eine Abschöpfung von Übergewinnen. Dies soll durch eine „Erlösobergrenze für Anlagen der Stromerzeugung mit geringer Kostenbasis“ bewerkstelligt werden.

  • Einführung einer Strompreisbremse, wodurch der Anstieg der Netzentgelte eingegrenzt werden soll. Kanzler Scholz dazu: „eine große und dramatische Entlastung auf dem Strommarkt“. Im Beschlusspapier der Koalition ist zu lesen: „Zudem werden auf europäischer Ebene Möglichkeiten der Abschöpfung von Zufallsgewinnen von Energieunternehmen diskutiert, die in der aktuellen Marktlage aufgrund des europäischen Strommarktdesigns deutlich über die üblichen Renditen hinaus gehen. Dazu gehören insbesondere Erlös- bzw. Preisobergrenzen für besonders profitable Stromerzeuger.“ Wie viel Zeit vergehen wird, bis die EU nach langwährenden Diskussionen zu einer Beschlussfassung kommt, sei dahingestellt.
  • Die Erhöhung des sogenannten CO2-Preises wird um ein Jahr verschoben. Derzeit sind es 25 Euro pro Tonne. Bisher war eine weitere Erhöhung um 5 Euro/Tonne vorgesehen.
  • Für einen gewissen Basisverbrauch an Strom soll nach dem Willen der Ampel-Koalition künftig ein vergünstigter Preis gelten. Wie hoch dieser „Strompreisdeckel“ konkret aussehen soll, bleibt völlig unklar. Auch wie der Preis bei einem „zusätzlichen Verbrauch“ gestaltet wird, ist fraglich.
  • Energieintensive Unternehmen, die die Steigerung ihrer Energiekosten nicht weitergeben können, sollen durch ein neues Hilfsprogramm unterstützt werden. Schwammig wird es bei der Formulierung der Verlängerung des sogenannten Spitzenausgleichs für energieintensive Unternehmen um ein weiteres Jahr.
  • Das Kurzarbeitergeld wird bis Ende 2022 verlängert.
  • Aus dem Neun-Euro-Ticket soll entweder ein 49- oder 69-Euro-Ticket werden, genannt Deutschland-Ticket. Der Bund würde 1,5 Milliarden Euro beisteuern, die Bundesländer müssten mit dem gleichen Betrag dabei sein.
  • Statt Hartz IV soll es ab Januar 2023 das Bürgergeld geben. Der Regelsatz soll von derzeit 449 Euro auf 500 Euro steigen.
  • Sollten Unternehmen den Beschäftigten zusätzlich zum Gehalt Zahlungen leisten, so werden diese bis zu einer Höhe von 3000 Euro von Steuern und Abgaben freigestellt sein. Dies soll bei der nächsten Runde der „Konzertierten Aktion“ Teil der „Unterstützung der Tarifpolitik“ werden, um eine Lohn-Preis-Spirale zu vermeiden und die Inflation nicht weiter anzutreiben.

Zusammengefasst: Es soll einen Strompreisdeckel bzw. eine Vergünstigung des Basisverbrauchs geben, deren Ausgestaltung völlig unklar bleibt, einen Gaspreisdeckel jedoch nicht. „Positiv am Entlastungspaket ist das erkennbare Bemühen, Preissignale wirken zu lassen, auch wenn das beim Gas nicht durchgehalten wurde“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest dem Handelsblatt. Damit spielt Fuest auf die beschlossene Mehrwertsteuersenkung für den gesamten Gasverbrauch von 19 auf 7 Prozent an.

Bei allen diesen Maßnahmen resp. direkten Zahlungen an einzelne Bevölkerungsgruppen bleiben Selbstständige sowie Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) außen vor. Unternehmen, die wegen der hohen Energiepreise ächzen, helfen weder Bund-Länder-Bürgschaftsprogramme und auch kein KfW-Kredit.

Finanzminister Lindner erklärt, die Kosten für das Dritte Entlastungspaket könnten aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Für beide Jahre zusammen werde der Haushalt mit 32 Milliarden Euro belastet. Ein Nachtragshaushalt für 2022 sei nicht nötig, auch der Haushalt 2023 bleibe unverändert.

Offenbar trägt die Hoffnung, aus der nicht sogenannten Übergewinnsteuer entsprechende Milliardenbeträge abzuschöpfen, um das Programm zu finanzieren. Abgesehen davon werden durch die Inflation, insbesondere die Mehrwertsteuer, viele neue Milliarden in die Bundesfinanzkasse gespült.

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