Tichys Einblick
Reformierbar oder nicht?

Leserkommentare: Welche Politik? (2)

Die Debatte über Politik und Handwerk, politics und policy hat gerade erst begonnen, über die Frage von politischen Veränderungen innerhalb des Systems oder auf tatsächlich neuen Wegen noch nicht. Aber das kann auf TE stattfinden.

Austria's Foreign Minister Sebastian Kurz (C), Belgium's Foreign Minister Didier Reynders (R) and Netherlands' Foreign Minister Bert Koenders speak together ahead of an EU foreign affairs council at the European Council, in Brussels on November 14, 2016.

© Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images

Ein Leser kommentiert auf Facebook den Beitrag „Leserkommentare: Welche Politik? (1)“ so: Das System ist möglicherweise nicht mehr zu reformieren. Es bedarf vermutlich einer Revolution um Demokratie für die Zukunft funktional zu revitalisieren.

Damit ist er beim Kern von Tomas Spahn in „Macron, Kurz und Co. – die neuen Napoleoniden?“:

„Das Totalversagen der Alten gebiert den Wunsch nach radikaler Neuerung. Und so hat das, was wir derzeit in Frankreich erleben, durchaus den Charakter eines legalisierten Staatsstreichs. Das pluralistische, multipolare Experiment der sozialistisch geprägten, nachbürgerlichen Epoche neigt sich ihrem Ende zu. Die Vertreter des Ancien Régime – gleich ob links oder rechts gestrickt – werden vor die Tür der politischen Verantwortung gefegt mit einer Radikalität des Wunsches nach Neuerung, der selbst vor dem Pfahl im Fleische der Etablierten, Marine Le Pen, nicht halt macht. Warum auch: Wie François Hollande und François Fillon, den letzten beiden Flaggschiffen des Ancien Régime, ist auch sie ein fester Bestandteil des Systems, welches nicht mehr gewollt wird. Das Neue – was immer es auch konkret sein wird – überrollte sie alle.“

„Mit dem erst 30-jährigen Sebastian Kurz hat dort ein junger Wilder mit der ÖVP einen Restbestand des verkrusteten Régime gekapert, krempelt ihn um und schneidet ihn auf seine Person zurecht. Wie Macron reitet Kurz auf der Welle der radikalen Neuerung – will die alten Zöpfe abschneiden und nicht nur die Politik der Alpenrepublik, sondern Europas neu ausrichten.“

„Wohin auch immer der Weg der neuen, unverbrauchten Politikergeneration führen mag – als fast schon revolutionärer Aufstand gegen „das Alte“ dokumentiert er den Willen einer wachsenden Zahl von Bürgern, sich nicht mehr dem Diktat der Nachkriegsgeneration unterwerfen zu wollen.“

Leser Erik kommentiert:

„Macron und seine Bewegung wurden aus den gleichen Gründen gewählt wie Trump. Die Völker haben vom Establishment die Schnauze voll und rennen diesem davon. Die ‚Eliten‘ freuen sich und sind zu blöd zu kapieren, dass sie auf ihrer eigenen Beerdigung tanzen. Gut so. Wenn blöd – dann auch richtig.

Politics und Policy
Leserkommentare: Welche Politik? (1)
Was im Jubel ausgerechnet derer, denen das Volk – so auch in Holland und Österreich – davonrennt, übersehen wird, ist, dass auch Macon der klassische Fall eines Pyrrhussieges ist. Von Staatsmedien polemisch gepusht und unter Zusammenwirken aller etablierter Parteien, von den Linken, über rot, grün, gelb hinweg, bis zu den ehemals Konservativen, wurden keine Perspektiven geschaffen und auch keine Lösungen für die anstehenden Katastrophen gesucht, sondern einzig Hofer bzw. Le Pen verhindert. Ein Pyrrhussieg ist das ganz offensichtlich schon, weil in ihrem Bestreben Hofer, Wilders und Le Pen zu verhindern, sich die Staatsmedien in übelster Weise parteiisch, damit dauerhaft unglaubwürdig zeigten und am Ende die Altparteien selbst geradezu atomisiert wurden.“

Robert ist skeptisch:

„Die Sehnsucht nach einem ’starken Mann‘ ist die Antwort auf das völlige Versagen der Alt-Parteien. Die Entwicklung hatten wir bereits im 20. Jahrhundert mit den bekannten fatalen Folgen. Diese Personen kommen nicht an die Macht, weil sie so gut wären, sondern weil die Verzweiflung der Wähler über die etablierten Parteien so groß ist. Macron wurde von der internationalen Presse geradezu hysterisch hochgejubelt, weil … ja warum eigentlich? Wegen seines Lieber-Schwiegersohn-Aussehens und weil mit den Alt-Parteien buchstäblich kein Staat mehr zu machen war? Oder einfach weil er nicht LePen war? Ein konkretes, stichhaltiges Programm hatte er nicht vorgelegt. Vielleicht hat ja auch der alte Oswald Spengler Recht. Er sah den Cäsarismus wiederkehren, wenn die kulturelle Kraft erschöpft ist und es darum geht, wenigstens die zivilisatorischen Errungenschaften am Leben zu erhalten. Ist unsere Kultur am Ende? Ich vermag es nicht zu beurteilen. Es scheint aber so, dass zumindest die Repräsentanten unserer staatlichen, spirituellen und kulturellen Strukturen intellektuell und moralisch erschöpft sind.“

Michael Sander meint:

„Ich hatte diesen Gedanken auch schon mal – ob sich mit dem Aufstieg von Macron und Kurz etwas Neues abzeichnet, was letztendlich die alte Ordnung beiseite fegen wird. Man klammert sich ja an jeden Strohhalm.

Fest steht für mich: Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Es brodelt unter der Oberfläche gewaltig. Und irgendwann könnte dieser Vulkan ausbrechen. Die Geschichte ist noch nie linear verlaufen. Daher kann ich mich auch (noch) nicht der Untergangsstimmung anschließen, die viele hier im Forum bereits befallen hat.“

Misteredd sagt:

„Kann es nicht einfach so sein, dass die Wähler die ihnen von den Staatsparteien vorgesetzten alternativlos bestimmten Kandidaten nicht haben wollen? Wenn Spitzenkandidaten ohne Gegenkandidat, also ohne Auswahl aufgestellt werden, hat das mit Demokratie doch nur noch den Anscheinsanstand gemein – ist also eine Farce. Wie kamen denn die Kanzlerkandidaten Merkel und Schulz zu diesem Status? Und die alten Berufspolitiker tun, außer den dauernden Wahlkampf zu betreiben, nichts. Das Schielen auf Umfragewerte auch bei normalen Staatshandeln bestimmt doch deren Handeln und gerade nicht Zahlen, Daten Fakten von dem, was für das Gemeinwesen gut wäre. Der Wähler erkennt das und wird auch in Deutschland einen Kandidaten wählen, der wieder politisch handeln will.“

Die meisten Leser kommentieren nicht den grundsätzlichen, den System-Ansatz von Tomas Spahns „Napoleoniden“, sondern eher die Personen Macron und Kurz. Hier ein Beispiel.

Dozoern:

„Nun hat er also die Parlamentswahlen gewonnen, Macron, das neue politische Wunderkind, der ‚unabhängige Kandidat‘, wie ihn die Mainstreampresse nennt, der eigentlich der mit viel Geld lancierte neoliberale Kandidat der Banken (allen voran die Rothschild-Bank) und einiger Großunternehmen ist. Er soll Frankreich retten und die EU gleich mit. Dabei haben nur fünfzehn Prozent der Franzosen seine Partei gewählt, weil über fünfzig Prozent gar nicht zur Wahl gegangen sind. Darunter die Mehrzahl Arbeiter und Angestellte.

Gewählt wurde LFEM vor allem von der Bourgeoisie auf dem Lande und in kleineren Städten, die in ihm ihren letzten Retter sieht. Nachdem sowohl die Republikaner als auch die Sozialisten nicht in der Lage waren, das Land zu reformieren, weil die Franzosen sich vehement dagegen wehrten, wie in Deutschland mit Arbeitsmarktreformen a la Hartz traktiert zu werden, soll Macron das nun nachholen.
Er, der Retter, ist eigentlich eher der Konkursverwalter der bürgerlichen Parteien von Mitte Links und Mitte Rechts, die vom Wahlvolk für ihre erfolglose Wirtschafts- und Europapolitik gnadenlos abgestraft werden.

Wie Renzi in Italien, der damit gescheitert ist. Er hat dabei dasselbe Arsenal im Koffer: Arbeitsmarktreformen im Inland und Bankenunion, Sozialunion und Konjunkturprogramme auf Kosten der europäischen Steuerzahler. Noch jubeln ihm die deutsche Mainstreammedien zu. Noch lobt ihn Merkel, die ‚Kaiserin Europas‘ und Schulz, der sozialistische Europäer mit den Brüsseler Genen sowieso.

Merkel will die EU retten und ein wenig reformieren. Vor allem will sie mit Hilfe der EZB Zeit kaufen. Da kommt ihr einer wie Macron gelegen. Nur einer jubelt nicht: Schäuble. Er will zwar auch Europa retten, aber nicht auf Kosten Deutschlands. Er will keine Bankenunion, keine Haftungsunion und keine grenzenlose Vergemeinschaftung der Schulden mit Eurobonds.

Die Sozialisten, allen voran Schulz und Gabriel, wollen genau das und Macron will das auch. Bleibt die Frage, wieviel die Retter Europas bereit sind, ihm entgegenzukommen?

Ich fürchte, es wird richtig teuer werden für Deutschland, Österreich und die Niederlande, die Zahlesel Europas. Denn, sie können ihren neuen Liebling doch nicht im Regen stehen lassen, oder? Schäuble hin oder her. Im entscheidenden Moment ist der nämlich bisher immer eingeknickt.

Wir werden sehen, wie es weiter geht. Wird das Wunderkind schnell entzaubert? Scheitert er an den französischen Verhältnissen oder gar an seinen neuen europäischen Freunden? Oder kann, wie Spahn meint, eine Generation der neuen Napoleoniden, das alte Europa und sein verkrustetes politisches System retten? Eher nicht, denn am Ende geht es um Ökonomie, Geld und Kapital und junge Gesichter spielen wahrscheinlich nur eine kurze Zeit eine Rolle. Insbesondere, wenn sie nur das alte System in neuem Gewand sind.“

Wir sehen, die Debatte über Politik und Handwerk, politics und policy hat gerade erst begonnen, über die Frage von politischen Veränderungen innerhalb der bestehenden Systeme oder auf tatsächlich neuen Wegen noch nicht. Aber das kann auf TE stattfinden. Nächste Woche ein Eröffnungsbeítrag.