Tichys Einblick
Noch ein Merkel-Gipfel

Lebensmittelgipfel: Keine Mindestpreise, aber Werbung für höhere Preise

Eine "Kommunikationsallianz", die für die "Wertigkeit" von Lebensmitteln wirbt. Dieses Ergebnis des Lebensmittelgipfels ist ganz nach Merkels Geschmack. Den Konsumenten soll also klargemacht werden, dass höhere Preise gut für sie sind.

© Matt Hardy/Getty Images

Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ’nen Arbeitskreis. Die Bundeskanzlerin hat sich den alten Beamtenwitz ganz und gar zu eigen gemacht. Der „Arbeitskreis“ heißt für sie nur nicht so, sondern „Gipfel“. Nach dem KI-, dem Integrations-, dem Auto- und nicht zu vergessen dem Libyen-Gipfel waren nun die Lebensmittel dran. Für Merkel gehts dabei stets um denselben Zweck: Signalisieren, nicht zuletzt durch die schönen Bilder mit ihr in der Mitte, dass sie selbst die Weltläufte moderiert. So gab es nun also auch einen Lebensmittelgipfel im Kanzleramt – mit Vertretern der großen Supermarktketten. 

In ihren Gipfeln offenbart sich Merkels Regierungsmethode, bei der nicht das Handeln und dessen langfristige Wirkung im Zentrum stehen, sondern das Vermitteln von Gefühlen. Sie will, dass die Deutschen sich bei ihr „ethisch zu Hause fühlen“, wie es nach ihrer Davos-Rede ein deutscher Unternehmenschef ausdrückte. 

Was hinten raus kommt, ist im Zweifelsfalle zweitrangig. Ganz so für die Katz wie der Libyen-Gipfel (Die dort getroffenen Vereinbarungen interessierten schon am Tag darauf weder in Libyen noch in Ankara oder sonst wo außerhalb Berlins irgendjemanden) war der Lebensmittelgipfel nun aber nicht. Im Gegensatz zu General Haftar, Putin oder Erdogan, haben Lebensmittelhersteller und -handel von der deutschen Politik schließlich auch folgenreiche Einflüsse auf ihre Geschäfte zu gegenwärtigen. 

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Merkel zeigte sich hier als Meisterin des Verfahrens – im Gegensatz zu ihrem am selben Tag stattgefunden Treffen mit Sebastian Kurz, der ihr weitestgehend die Show stahl, indem er den Finger in die Wunden ihrer Zuwanderungspolitik legte. Da Merkel auf dem Gebiet der Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik im Gegensatz zur Zuwanderungspolitik noch keine kapitalen Fehlentscheidungen zu verantworten hat, die sie auf irgendeine Linie festlegen (Fehlentscheidungen zu korrigieren, passt nicht zu Merkels Machtmethodik), konnte sie sich auf eine Mittelposition zurückziehen. Die Rufer nach staatlich festgelegten Mindestpreisen für Lebensmittel setzen sich also nicht ganz bei ihr durch. Aber sie blitzen auch nicht völlig ab.

Auf Merkels Vorschlag hin installiert Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner nun also eine „Kommunikationsallianz“. Was heißt das? Ein staatlich-privates Werbungs-Joint-Venture. Letztlich sollen also Landwirte und Handelsketten, unter der wohlwollenden Ägide der Bundesregierung, die Konsumenten dazu bringen, freiwillig höherpreisige Lebensmittel zu kaufen (wovon natürlich bei den Handelsketten das Gros landet, nicht bei den Bauern). Die großen Nutznießer des gestrigen Gipfels sind also nicht zuletzt die Kommunikationsstäbe in Ministerien und Verbänden und Werbeagenturen, die auf Aufträge zählen dürfen. Die Verbraucher dürfen damit rechnen, demnächst auf Plakaten zu „mehr Wertschätzung für Lebensmittel“ oder ähnlichem aufgefordert zu werden – Plakaten mit mehreren Logos von Verbänden und Bundesministerien in der Ecke, die sie selbst, sofern sie Steuerzahler sind, also wohl zum Großteil finanziert haben werden. Ebenso wie sie die beschlossene neue Analyse über die Marktmacht der „big Four“ – Edeka, Rewe, Lidl/Kaufland, Aldi – und das „Kummertelefon“ finanziert haben werden, über welches sich künftig Landwirte beschweren können werden, wenn sie sich von den Einkäufern der Lebensmittelwirtschaft unfair behandelt fühlen.

Selbstverständlich kann niemand ernsthaft die fundamentale Bedeutung von Nahrungsmitteln leugnen – und damit auch ihren „Wert“. Aber günstige Lebensmittel sind auch, das gerät derzeit etwas in Vergessenheit, ein Fundament von Wohlstand, vermutlich gar das erste. Ein geringer durchschnittlicher Anteil an den Gesamtausgaben der Haushalte für Nahrung ist einer der sichersten Indikatoren von „Wohlstand für alle“. Wirkliche, existentielle Armut erkennt man daran, dass Bürger den Großteil ihres Einkommens für Nahrung, also zur unmittelbaren Aufrechterhaltung des Lebens, aufwenden müssen. Wohlstand, geschweige denn Reichtum, ist alles was über diese unmittelbare Subsistenz hinausgeht.

Deswegen waren nicht Mindest-, sondern Höchstpreise für Grundnahrungsmittel seit dem alten Rom stets ein Thema der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dass man sich um zu niedrige Preise für Lebensmittel sorgt, wird für die meisten Menschen im Rest der Welt ebenso absurd erscheinen, wie es auch einem Nachkriegsdeutschen unbegreiflich wäre. 

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Festzuhalten bleibt: Wenn Lebensmittelpreise tatsächlich in der Breite deutlich steigen sollten, so vernichtet dies zunächst einmal Wohlstand – banal, aber offenbar nicht allen klar. Das kann, wenn nicht andere unverzichtbare Güter wie Wohnen und Energie günstiger werden (was bekanntlich nicht der Fall ist) die sozialen Gegensätze hierzulande mehr steigern, als es jedem lieb sein kann, dem der innere Friede am Herzen liegt. Denn die Leidtragenden sind vor allem Bürger mit geringen Einkommen.

Für die Wohlhabenderen dagegen können teurere Lebensmittel eine durchaus reizvolle Perspektive sein. Für sie geht es nicht ums Existenzielle allmonatliche Durchkommen, sondern um anderes: Zum Beispiel ein reineres ökologisches und Tierwohl-Gewissen, aber vermutlich auch um ein Signal an ihre Mitmenschen. Essen ist eben nicht nur Nahrung, sondern auch ein Genussmittel, und je teurer es ist, desto mehr auch ein Statussymbol. Insofern hat für viele Besserverdiener die Aussicht auf höhere Preise für Fleisch und andere Nahrungsmittel vermutlich keine besonders abschreckende Wirkung, sondern ist vielleicht sogar durchaus willkommen. In der in besseren Kreisen verbreiteten Verachtung für Käufer von „Billig-Schnitzeln“ schimmert dies deutlich durch.

Sozial jedenfalls ist eine Preissteigerungspolitik, wie sie die Bundesregierung nun forciert, nicht. Und marktwirtschaftlich ohnehin nicht.