Tichys Einblick
Landtagswahlen

Der eingefrorene Konflikt

Die CDU in Sachsen konnte sich noch retten – auf den ersten Blick. Auf den zweiten zeigt das Wahlergebnis: der Karrenbauer-Partei fehlt eine Strategie gegen die AfD. Die großen Fragen hat sie nur verschoben.

Maja Hitij/Getty Images
„Duktus: demütig, souverän, Blick nach vorn“ – das empfahl der „Vorschlag Sprechregelung ab 18 Uhr“ der sächsischen CDU-Zentrale für alle Amtsträger, die vor die Kamera gingen. Und genau so trat Sachsens alter und höchstwahrscheinlich auch neuer Ministerpräsident Michael Kretschmer auf, sprach davon, dass er das Wahlergebnis mit Dankbarkeit und Demut aufnehme, und jetzt eine stabile Koalition bilden werde. Dafür bleibt nur eine Möglichkeit: Kenia, Schwarz-Rot-Grün. Also: eine CDU, die besser davon kam, als die Umfragen vorhersagten, eine noch weiter geschwächte, fast außerparlamentarische SPD, und Grüne, die schwächer abschnitten als prognostiziert. Die „Schuldfrage (bei schlechtem Abschneiden)“ – das Abschieben der Verantwortung auf die Bundesebene – hatte der Sprechzettel der Parteizentrale auch schon skizziert. Diesen Part konnten sich Kretschmer und andere am Sonntagabend sparen. Dass die AfD mit xx Prozent auch stärker abschnitt als vorhergesagt und zweitstärkste Kraft wurde – dieser Punkt trat durch das noch relativ gute CDU-Resultat in Sachsen in den Hintergrund. Jedenfalls vorübergehend.

Auf den zweiten Blick wirken die Wahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg – wo die SPD noch stärkste Partei bleiben konnte – längst nicht so beruhigend, wie sie von Kretschmer und seinem brandenburgischen Kollegen Dietmar Woidke (SPD) gedeutet werden. Vor allem beruhigen sie nicht den Politikwissenschaftler und CDU-Politiker Werner Patzelt, der an diesem Abend auf der Dachterrasse des sächsischen Landtags steht und die neuesten Zahlen auf dem TV-Monitor sieht. „Die CDU hat besser abgeschnitten, als es erwartet wurde“, meint Patzelt, „aber sie hat das Ergebnis erreicht, indem sie die SPD und die Linken kannibalisiert hat. Von denen haben sich offensichtlich viele angesichts der Frage, ob CDU oder AfD stärkste Partei werden, mit zusammengebissenen Zähnen für die CDU entschieden. Das heißt aber auch: unserem strategischen Ziel, AfD-Wähler zurück zur CDU zu holen, sind wir keinen Millimeter näher gekommen.“

Auch Sachsens Landtagspräsident Matthias Rößler meint: „Die Wahlbeteiligung ist gestiegen, und trotzdem hat die AfD stark zulegen können. Das ist bedenklich.“
Die relative Schwäche von SPD und Grünen macht es Kretschmer leicht, eine Koalition zu bilden, ohne allzu viele Kompromisse schlucken zu müssen. Denn die Sachsen-SPD dürfte nach ihrer Nahtod-Erfahrung kaum das Risiko von Neuwahlen eingehen.

Bleibt die Frage, wer das relativ gute Ergebnis der CDU für sich verbuchen kann. Das tut natürlich Michael Kretschmer. Aber auch die Werteunion-CDUler um Hans-Georg Maaßen. Der hatte in Sachsen und Brandenburg massiv gekämpft, und war loyal geblieben, obwohl sich die CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer, Michael Kretschmer und Brandenburgs CDU-Vorsitzender Ingo Senftleben nicht nur nicht dankbar zeigten, sondern sich am Ende sogar von Maaßen distanzierten. „Ich glaube, dass Maaßens Auftritte unter dem Strich genützt haben“, meint Patzelt. „Er hat vielen Wählern gezeigt: die gute alte CDU lebt noch.“ Kretschmer habe mit seiner Maaßen-Schelte offenbar dem Druck des Adenauer-Hauses und „vorsichtig gesagt, massenmedialen Erwartungen“ nachgegeben.

Als eigentlicher Verlierer der beiden Wahlen bleibt Brandenburgs CDU-Spitzenkandidat Senftleben übrig. Er gab sich für die Operation Links hin – das halsbrecherische Modell eines Bündnisses der Union mit der Linkspartei, um die SPD als Regierungspartei abzulösen. Nun ergibt sich diese rechnerische Variante noch nicht einmal annähernd. Die ermutigenden Vorstöße des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther, das Schweigen Kramp-Karrenbauers und Merkels dazu – der Linksflirt hat der CDU in Brandenburg trotz massiver Medienunterstützung herbe Verluste eingetragen, weit höher als die der Sachsen-CDU.

„Wenn die Theorie stimmen würde, dass eine Mitte-Rechts- Ausrichtung der CDU zu großen Verlusten führt, und eine Einheitsfront gegen Rechts mit Einschluss der CDU die AfD stoppt und der CDU nützt“, spottet Politologe Patzelt, „dann hätten die Wahlergebnisse deutlich anders ausfallen müssen.“

An dem Abend, als ein 32-Prozent-Ergebnis in Dresden von der CDU wie ein rauschender Sieg gefeiert wurde, saß auch ein kleiner 89jähriger Mann im Landtagsrestaurant: Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident von 1990 bis 2002, der in seinen besten Zeiten 58 Prozent geholt hatte. Ihm sei „ein Stein vom Herzen gefallen“, meinte der Alt-Ministerpräsident. Hauptsache nicht Unregierbarkeit.

Aber der entscheidende Punkt bleibt: in Sachsen wählten zusammengenommen gut 60 Prozent der Wähler Mitte bis Rechts. Als Resultat bekommen sie eine deutlich linkere Regierung.

„Das sind die 60 Prozent, die in Sachsen immer eher bürgerlich und rechts gewählt haben“, meint Landtagspräsident Rößler. „Aber jetzt bestimmen zwei kleine linke Parteien die Richtung stark mit.“

Der Konflikt, wohin die CDU will, wie sie Wähler von der AfD wieder zu sich herüberziehen möchte, und welche Koalitionen sie einzugehen bereit ist – alles Streitfragen bleiben nach diesem 1. September eingefroren. Vermutlich bis zur Bundestagswahl.

An diesem Wahlabend gibt es in Dresden zwei CDU-Feiern: die von Kretschmer im Landtagsrestaurant, die der Werte-Union mit Alexander Mitsch und Hans-Georg Maaßen in einem Hotel in Dresden Mitte.

Ob die beiden Teile der Partei noch einmal zusammenzukommen, und unter welchen Bedingungen: das bleibt offen. Trotz der vorläufigen Rettung der Sachsen-CDU.

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