Tichys Einblick
Konzertiertes Vorgehen

Der Ex-Lehrer und die Zeitung: Wer startete die Kampagne gegen Aiwanger?

Ein SPD-naher Pädagoge brachte die Beschuldigungen gegen seinen früheren Schüler ins Rollen. Wer ist der Mann, der zusammen mit der „Süddeutschen“ den Vize-Ministerpräsident stürzen will?

IMAGO / Sven Simon

Täglich melden Zeitungen eine „Verschärfung“ und „Zuspitzung“ des Falls Aiwanger – obwohl in den vergangenen Tagen über das Bekannte hinaus kaum faktisch Gesichertes dazukam. Aiwanger, textete die „Süddeutsche Zeitung“ am Donnerstag, stünde „massiv unter Druck“. Bisher besteht die Affäre in der von Aiwanger nicht bestrittenen Tatsache, dass vor 35 Jahren ein antisemitisches Hetzflugblatt in seiner Schultasche gefunden wurde – verfasst nach derzeitigem Stand von seinem Bruder Helmut Aiwanger. Außerdem erklärte ein ehemaliger Mitschüler, Aiwanger habe als Minderjähriger mehrfach den Hitlergruß vor Schulkameraden in Mallersdorf-Pfaffenberg gezeigt.

Eine anonym bleibende Frau erzählte Reportern, der heutige Wirtschaftsminister hätte damals eine Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ in der Schultasche herumgetragen. Irgendwelche Belege für diese Aussagen existieren nicht. Allerdings meldeten sich bisher auch etliche frühere Mitschüler Aiwangers bei Focus Online, die berichten, sie hätten weder etwas von dem Flugblatt am Burkhart-Gymnasium in Mallenberg noch von sonstigen nazistischen Ausfällen Aiwangers mitbekommen.

Der Spitzel-Lehrer
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Einer von ihnen gab zu Protokoll, was die Affäre in einem neuen Licht erscheinen lässt. „Mein ehemaliger Deutschlehrer“, so der heute 52-jährige Roman Serlitzky, „hat mich vor acht Wochen aufgesucht und mich gebeten, ihm einen Dreizeiler aufzuschreiben, in dem ich bestätige, dass Hubert Aiwanger der Verfasser des antisemitischen Flugblattes ist. Diese Aufforderung hat er mit folgenden Worten kommentiert: ‚Es wird Zeit, dass wir diese braune Socke jetzt stürzen‘“. So zitiert Focus Online den ehemaligen Klassenkameraden des heutigen Vize-Ministerpräsidenten.

Serlitzky steht nicht in Verdacht, irgendwelche Sympathien für Rechtsradikalismus zu hegen. Im Schuljahr 1988/89 erhielt er den zweiten Preis in einem bundesweiten Geschichtswettbewerb, ausgelobt vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker; sein Essay beschäftigte sich mit dem Todesmarsch von 67 jüdischen KZ-Häftlingen, die in den letzten Kriegstagen 1945 durch Mallersdorf-Pfaffenberg getrieben und anschließend hingerichtet wurden. Der Mitschüler lieferte den erbetenen Dreizeiler nicht – weil er nach eigenen Worten keine Kenntnis von dem Flugblatt-Vorfall an der Schule besaß und die Behauptung, Hubert Aiwanger sei der Verfasser gewesen, erst von dem früheren Lehrer gehört hatte.

Das führt zu der Frage: Wer ist dieser pensionierte Pädagoge, der offenbar nicht nur die „Süddeutsche“ mit Material über seinen früheren Schüler versorgte, sondern laut Aussage von Serlizky auch das betrieb, was in die Rubrik Zeugenbeeinflussung fällt? Der Name des früheren Deutsch- und Lateinlehrers mit dem auffälligen Belastungseifer lautet Franz Graf. Er gehört der SPD zwar nach eigenen Angaben nicht an, kandidierte aber auf kommunaler Ebene für die Partei. Auf der Webseite der SPD von Mallersdorf-Pfaffenberg tauchte Grafs Name 2018 im Zusammenhang mit einer Veranstaltungsankündigung auf.

In Focus Online ließ sich Graf 2018 kurz vor der bayerischen Landtagswahl über die Politik im Freistaat aus – und unterstellte der CSU, sich kaum von der AfD zu unterscheiden. „Franz Graf steht an diesem Donnerstagmittag in seinem Garten zwischen Avocadopflanzen und kleinen Feigenbäumen“, heißt es in dem Focus-Online-Text: „Graf ist kein Freund der CSU. Früher war er Deutsch- und Lateinlehrer am Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg und eckte regelmäßig bei CSU-nahen Rektoren an. Er engagierte sich auch gewerkschaftlich und hielt Vorträge bei der SPD. Ein Parteibuch bei den Sozialdemokraten hat er allerdings nicht. ‚Das ist lächerlich‘, sagt Graf über das Raumfahrtprojekt und zitiert einen seiner ehemaligen Schüler, Hubert Aiwanger, heute Spitzenkandidat der Freien Wähler (FW). Aiwanger stammt aus Ergoldsbach, rund fünfzehn Kilometer von Mallersdorf-Pfaffenberg.

Apollo News Recherche
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Der FW-Chef hatte am Mittwoch gespottet: ‚Bayern soll erstmal die naheliegenden technischen Probleme unseres Wirtschaftsstandortes – wie Mobilfunklöcher und fehlendes flächendeckendes Internet – lösen, bevor wir die Staatskasse ruinieren und in den Weltraum abheben.‘ Dem schließt sich Graf an. Wie viel das Projekt gleich nochmal koste? 700 Millionen Euro. ‚Das dient nur den Interessen der Rüstungs- und Raumfahrtindustrie‘, schimpft Graf. Er sieht es wie Aiwanger: ‚Für das Geld gäbe es bessere Verwendungsmöglichkeiten.‘ Söder verfolge wohl den alten Traum von Franz Josef Strauß, der die deutsche Atombombe forderte und sich noch drei Tage vor seinem Tod am 3. Oktober 1988 rühmte, dass ‚das einst rückständige Agrarland Bayern zum Zentrum der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie‘ geworden sei. Auch sonst hat Franz Graf nur Spott übrig für die CSU. Die habe sich im Wahlkampf rhetorisch ‚Arschbacke an Arschbacke‘ zur AfD begeben.“

Mittlerweile stellen sich gleich mehrere Fragen: allerdings an Graf. Wenn er das antisemitische Flugblatt vor 35 Jahren Aiwanger zurechnete und empörend fand – warum erstattete er seinerzeit keine Strafanzeige wegen Volksverhetzung? Aiwanger war damals schon strafmündig. Und merkwürdigerweise zitiert er selbst 2018 den Chef der Freien Wähler zustimmend, die Flugblatt-Angelegenheit erwähnte er gegenüber dem Focus-Online-Journalisten dagegen mit keinem Wort.
Angeblich habe sich Graf erst nach Aiwangers Rede in Erding, auf der der Wirtschaftsminister gegen das Heizgesetz der Ampel polterte, dafür entschieden, wegen des Flugblattes von 1987 die „Süddeutsche“ zu informieren. Aber der Versuch, einen ehemaligen Schüler von ihm zu einer Aussage gegen Aiwanger zu überreden, weist schon deutlich über das reine Öffentlichmachen hinaus. Außerdem: Handelte Graf tatsächlich aus eigenem Antrieb? TE versuchte, ihn telefonisch zu erreichen, um ihm dazu Fragen zu stellen – allerdings ohne Erfolg.

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Dazu kommt noch ein anderer Vorgang: Jemand spielte der „Süddeutschen“ eine alte schreibmaschinengetippte Schularbeit Aiwangers zu, damit die Zeitung die Schreibmaschinentypen mit denen des Flugblatts vergleichen konnte. Erstens verstößt es gegen Aufbewahrungsfristen, eine Schularbeit mehr als drei Jahrzehnte zu lagern. Und zweitens verletzt die Weitergabe ohne Aiwangers Einwilligung klar dessen Persönlichkeitsrecht, außerdem die Dienstpflichten eines beamteten Lehrers. Es steht zwar nicht fest, dass Graf diesen Verstoß begangen hatte. Aber das Kultusministerium müsste jetzt entweder selbst dazu ermitteln oder die Landesanwaltschaft Bayerns damit beauftragen. Denn Dienstpflichten enden nicht mit der aktiven Laufbahn eines Beamten.

Auch für die „Süddeutsche“ kann die Affäre eine unangenehme Wendung nehmen. Zitierte sie möglicherweise ehemalige Mitschüler, die von Graf schon beeinflusst wurden? Jedenfalls drängt sich der Eindruck auf, dass ein politisch linker Ex-Lehrer mit einem erstaunlich spät erwachten Belastungsbedürfnis und eine Zeitung zusammengefunden haben, die keinen Hehl daraus macht, den Chef der Freien Wähler kurz vor der Landtagswahl mit einer Kampagne erledigen zu wollen – um einer schwarz-grüne Koalition den Weg publizistisch freizuschießen.

Das konzertierte Vorgehen könnte allerdings dazu führen, dass etliche Wähler gerade jetzt ihr Kreuz bei den Freien Wählern setzen.

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