Tichys Einblick
Ausgewummster Haushalt

Christian Lindner braucht die Hilfe von Olaf Scholz gegen Robert Habeck

Kanzler Olaf Scholz (SPD) mischt sich in den Haushalt ein. Finanzminister Christian Lindner (FDP) konnte sich gegen Robert Habeck und die anderen Grünen alleine nicht durchsetzen. Denen ist zwar die Temperatur im Jahr 2100 wichtig - aber nicht die deutsche Zahlungsfähigkeit im Jahr 2030.

IMAGO
Es geht um 20 Milliarden Euro, wie Welt und Süddeutsche Zeitung berichteten. Peanuts. Eigentlich. Zumindest angesichts der Wummspolitik von Olaf Scholz (SPD) in seinem ersten Jahr als Kanzler: Hier mal 100 Milliarden Euro für „Entlastungspakete“, dort mal 50 Milliarden Euro für ein „Klimaschutzpaket“, dann 100 Milliarden Euro „Sondervermögen“ für die Rüstung und letztlich 200 Milliarden Euro, um die dramatischen Folgen der eigenen Energiepolitik abzumindern. Fachleuten und Wissenschaftlern besser bekannt als der „Doppelwumms“.

Nun streitet die Ampel also über 20 Milliarden Euro. Wie kleinlich. Das finden auch Vizekanzler Robert Habeck und seine grüne Klimafamilie. Wenn es nach ihnen geht, muss es im Haushalt den Endloswumms geben und darf Deutschland Ausgaben nicht unterlassen, bloß weil ihm das Geld dazu fehlt. So benötigt Habeck laut Experten zwischen 20 und 30 Milliarden Euro alleine, um den Strompreis für die Industrie zu deckeln, wie er es vorhat. Nun könnte die Bunderegierung stattdessen ihre Energiepolitik so anlegen, dass der Strompreis insgesamt runtergeht. Doch den Grünen sind die Temperaturen von 2100 und ihre eigene Ideologie in Sachen Atomstrom wichtiger, als die deutsche Zahlungsfähigkeit von 2030.

Diese Zahlungsfähigkeit ist gar nicht so sicher, wie es zumindest die Westdeutschen nach guten 75 Jahren gewöhnt sind. So hat der Bundesrechnungshof schon im vergangenen Jahr gewarnt. Und so sagen es auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Demnach steht die Verschuldung in Deutschland bei 4,25 Prozent im Vergleich zum Bruttoinlandprodukt. Die Stabilitätskriterien der EU erlauben eigentlich nur 3 Prozent. Das viele Wummsen von Olaf Scholz zeigt seine Wirkung.

Nun will der Kanzler die Geister, die er selbst beschworen hat, wieder einfangen. Der nächste Haushalt soll die „Schuldenbremse“ einhalten. Das ist auch deshalb wichtig, weil es das zentrale Projekt des Koalitionspartners FDP ist. Die hat in der Ampel so viele Kröten schlucken müssen, dass jedes Feinschmeckerlokal über Jahre damit seine Küche füllen könnte. Deswegen hängt Finanzminister Christian Lindner von der Schuldenbremse ab. Doch alleine ist er an diesem Ziel gescheitert. Eigentlich hätte er längst einen Entwurf für den Haushalt vorlegen sollen. Jetzt kommt ihm Kanzler Scholz zu Hilfe.

In Dreiergesprächen wollen Scholz und Lindner jeweils die störrischen Minister vom Sparen überzeugen. Das sind alle grünen Minister, zudem die Minister fürs Innere und die Verteidigung, Nancy Faeser und Boris Pistorius (beide SPD) sowie Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Die Namensliste zeigt, dass 20 Milliarden Euro einzusparen, für den Wummskanzler und seinen Kämmerer keine einfache Aufgabe ist. Denn mit der „Zeitenwende“ hat sich Olaf Scholz zum Schöpfer des Worts des Jahres gemacht – nun muss er aber Verteidigungsminister Pistorius die Erhöhung des Verteidigungsetats um 10 Milliarden Euro verweigern, wie Welt und Süddeutsche Zeitung berichteten. Die Haltwertzeit von Wörtern des Jahres wird auch immer kürzer.

Sparen soll der Bund an den Ländern. Während deren Haushalte gut dastehen, laufe der Bund mit seinem Etat in eine schwierige Situation, warnt der Bundesrechnungshof. Zudem können Investitionen verzögert werden – oder offiziell in folgende Haushalte verschoben werden. In der Hoffnung, dass sich die Situation bis dahin bessert. Nur: Das ist nicht in Sicht. Eher wird es schlimmer.

Zwar zahlen die Deutschen momentan nicht nur Rekordpreise für Strom und Lebensmittel – sondern auch so viele Steuern wie noch nie. Trotzdem kommt der Staat mit dem Geld nicht aus. Laut den Statistiken der OECD führt das dazu, dass die Deutschen privat weniger Rücklagen haben als ihre Nachbarn in der EU. Kommen dann zum Beispiel die Grünen und die EU mit dem Zwang daher, die Heizung abrupt wechseln zu müssen, können das viele Bürger nicht mehr stemmen. Also muss – so der Wunsch Habecks – wieder der Haushalt ran, um einzuspringen. Ein Teufelskreis. Eine Interventionsspirale. Eine staatliche Ausgabe bedingt die nächste.

Zudem schwächelt die deutsche Wirtschaft. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer ist in den vergangenen Jahren real zurückgegangen. Das Bruttoinlandprodukt ist zuletzt zweimal in Folge zurückgegangen. Während für andere europäische Länder Wachstum erwartet wird, schrumpft die deutsche Wirtschaft. Wegen ihrer strukturellen Probleme: die hohe Steuer- und Abgabenlast, die dysfunktionale Verwaltung, der Arbeitskräftemangel, die unsichere Stromversorgung im Winter und die weltweit höchsten Energiepreise. Eine stetig steigende Steuerkraft wäre vor dem Hintergrund ein hübsches Ende für ein Kinderbuch – aber, ob es diese real gibt, ist fraglich.

Die „Schuldenbremse“ ist mehr oder weniger eine freiwillige Auflage. Zwar steht sie in der Verfassung – aber unter Präsident Stephan Harbarth (CDU) wird das Verfassungsgericht zur Not einer Begründung zustimmen, warum sie nicht eingehalten werden könne. Irgendein Notstand ist schließlich immer. Und zur Not gibt es halt noch ein „Sondervermögen“, Lindner rechnet die Schulden aus dem Haushalt raus und die Bremse ist eingehalten. Formell.

Die Maastricht-Kriterien würde Deutschland dann auf Dauer nicht einhalten. Die hat die EU aber nur bis 2026 ausgesetzt – wegen Corona. Andererseits ist Deutschland der größte Nettozahler der EU. Die anderen Staaten würden den größten Geldgeber nicht rauswerfen, bloß weil dessen Wohltaten an sie auf Schulden basieren. Steigt die Relation zwischen Schulden und Bruttoinlandprodukt dann weiter, könnte Finanzminister Lindner (FDP) wenigstens diese Fünf-Prozent-Hürde überspringen.

Also sind die Schulden gar nicht so sehr das deutsche Problem. Aber die Zinsen sind es sehr wohl. Angesichts der galoppierenden Inflation war die Nullzinspolitik nach einem Jahrzehnt nicht mehr zu halten. Wenn sich Scholz, Lindner und Habeck einfach weiter durchwummsen, dann könnte die deutsche Schuldenlast angesichts schrumpfender Wirtschaftskraft bald zu einem bedeutenden Faktor im deutschen Haushalt werden. Die 20 Milliarden Euro, über die wir heute diskutieren, kämen einem dann vor wie Peanuts. Wie ein Relikt aus einer guten alten Zeit.

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