Tichys Einblick
Lebendige Gespenster

Halloween in Berlin

Die keltischen Spukgeister gehen um in Berlin: Minister, die keine mehr sind, reden zu allem zwischen Himmel und Erde. Was darf ein "geschäftsführende Bundesregierung" die keine Mehrheit findet?

© Carsten Koall/Getty Images

Halloween ist eine gefährlich Nacht; nach altem keltischen Glauben reisst die Naht zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten und die Gräber öffnen sich. Für eine Nacht kehren die lebenden Toten zurück.

Holloween haben die irischen Auswanderer in die USA gebracht und von dort her kehrt es dank der kulturellen Hegemonie Hollywoods zurück bis nach Kontinental-Europa, wo es allenfalls in Bayern, der Bretagne und im Baskenland noch keltische Restbestände unter den Schichten der Geschichte gibt.

Oder gehört auch Berlin dazu? Jedenfalls sieht man in diesen Tagen viele politisch Tote, die nicht sterben können, auf den Bildschirmen herumtanzen wie Halloween-Figuren: Ein Außenmininister Sigmal Gabriel redet über die Katalonien-Krise, eine Familienministern namens Katarina Barley über alles mögliche, Frau Nahles über Soziales.

Alles Minister, die keine mehr sind und doch so tun, als ob sie es noch wären. Sie kann ja noch länger dauern, die Reise nach Jamaika. Und bis die große Reisegruppe der Verhandler dort ankommt, kann es noch dauern. Sie verhandeln ja noch gar nicht, sie sondieren erst. Mindestens bis Weihnachten kann sich das hinziehen. Und bis dahin also geistern die Untoten der Groko durch die Welt und die Ministerien.

So schön ist es nirgendwo!
maybrit illner: Neue Heimat Jamaika
Es ist schon erstaunlich, wie lange die GroKo personell weiterlebt. Spätestens seit dem Beschluss der SPD am Wahlabend, dass sie nicht mehr mitregieren will, hätte es doch eigentlich nahe gelegen: Die Minister der SPD legen ihre Ämter nieder. Einer Regierung, für die man keine gemeinsame Grundlage sieht, kann man nicht länger angehören. Oder andersherum: Eigentlich hätte die Bundeskanzlerin die SPD-Minister entlassen können. Mangels Geschäftsgrundlage. So würde es sich gehören. Denn Ämter ziehen Verpflichtung nach sich. Sie sind kein alter Mantel, den man aus Versehen am Gardarobehaken vergisst.

Die Absichten sind ja leicht durchschaubar: Es gibt noch Interviews, wie von Barley, in der sie gegen Sexismus zu Felde ziehen kann: „Was körperliche Übergriffe angeht, wie Hand aufs Knie legen, sollten wir juristisch schärfer werden“, sagte Barley  am Wochenende. Deshalb müsse sich das „Machtgefälle zwischen den Geschlechtern“ in Deutschland ändern. „Das hat auch etwas mit fehlender Lohngerechtigkeit zu tun, mit dem Frauenanteil in den Parlamenten, mit einem Frauenanteil in Führungspositionen in Unternehmen“, sagte sie. Ein großes Programm also für eine Ministerin, die als „scheidende Frauenministerin“ vorgestellt wird. Wie lange dauert der Abschied von der Macht? Vermutlich länger, denn jeder Monat ist Bares und somit Wahres.

Oder ist das nur ein Druckmittel, das Angela Merkel jederzeit einsetzen kann? So nach dem Motto in Jamaika-Runden: Seht her, ihr Jungs und Mädels von den Grünen und der FDP, ich habe doch noch meine ministerielle Reservearmee stehen! So viel zum Thema Machtgefälle.

Und deshalb wird um die alten Mäntel schon gestritten. FDP-Chef Lindner beispielsweise warnte Merkel schon vor Festlegungen in der EU etwa zu umstrittenen Euro-Zonen-Reformen, noch bevor eine Koalition gebildet ist. „Deutschland ist gegenwärtig nicht entscheidungsfähig“, sagte Lindner der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Unenttäuschbar
Jamaika nützt nur Merkel
Das sehen die Noch-Minister und Noch-Kanzler anders: Sie fühlen sich ziemlich lebendig. Zum EU-Gipfel in dieser Woche reise eine „normale Bundeskanzlerin“ an, sagte ein Regierungsvertreter. Nach der Konstituierung des Bundestages in der kommenden Woche werde das Kabinett zu einer „geschäftsführenden Regierung“ – allerdings mit denselben Befugnissen wie zuvor. Dann entspreche es aber den Gepflogenheiten, eine „gewisse Zurückhaltung“ zu üben.

Eine gewisse Zurückhaltung? Bislang hat die Bundesregierung keine Zurückhaltung geübt, wenn es um die Durchsetzung ihrer Ziele ging: Energiewende, Euro, Einwanderung – ging alles ganz ohne Parlament und Zurückhaltung. Schließlich kontrolliert in Deutschland die Regierung das Parlament, nicht umgekehrt. In Deutschland ist nicht das Parlament putzlebendig, sondern eine abgewählte Regierung.

Und also wird in diesem Jahr Halloween ziemlich lange dauern, länger jedenfalls als eine kurze Nacht zwischen Oktober und November. Es bleibt gruselig.