Tichys Einblick
Robert Habecks "Osterpaket"

Wenn Europa der deutschen Energiewende im Weg steht

Um seinen Windrad- und Solarplan bis 2035 durchzusetzen, will Robert Habeck den Naturschutz planieren. Allerdings: Das geht gar nicht so einfach. Über den Umweltschutz kann Berlin nämlich nicht allein bestimmen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stellt das sogenannte Osterpaket vor, Berlin, 06.04.2022

IMAGO / Jürgen Heinrich

Sechshundert Seiten, doppelt bedruckt mit kleinteiligen Ankündigungen und Gesetzesänderungsvorschlägen zur Energiepolitik: Mit dem sogenannten „Osterpaket“ legt Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Art Masterplan vor, mit dem er die „Klimaneutralität“ Deutschlands bis zum Jahr 2035 erreichen will. Schon die Jahreszahl stellt ein Politikum dar: In den Koalitionsverhandlungen war das ursprünglich die Zielvorstellung der Grünen, die sie allerdings gegen Olaf Scholz nicht durchsetzen konnten. Der SPD-Politiker sorgte damals dafür, dass stattdessen der Endpunkt für den Energiewirtschafts-Umbau im Koalitionsvertrag deutlich weiter hinausgeschoben wurde – in das Jahr 2045.

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Jetzt kehrt die pure grüne Vorstellung über das „Osterpaket“ wieder zurück, dieses Mal eingekleidet als Strategie gegen die Energie-Abhängigkeit von Russland. Sein Vorhaben, so Habeck, sei „als Antwort zu lesen. Wir machen uns unabhängig von russischen Energieimporten und dann von fossilen Energieimporten insgesamt.“ Schon 2030, so sein Plan, soll die installierte Windkraft-Kapazität an Land auf 115 Gigawatt wachsen, auf See auf mindestens auf 30. Die installierte Leistung von Solarenergie würde nach den Kennziffern des Wirtschaftsministeriums von derzeit gut 59 auf 215 Gigawatt steigen.

An sonnigen und windigen Tagen läge die Stromproduktion in Deutschland dann weit über dem Verbrauch, selbst für den Fall, dass es bis dahin wesentlich mehr Wärmepumpen und Batterieautos gibt. Wo der Überschuss gespeichert werden soll, darüber gibt das Paket keine Auskunft – genauso wenig wie zu der Frage, aus welchen Quellen Deutschland seinen Strom bei Dunkelflaute im Winter bezieht.

Der entscheidende Punkt in Robert Habecks Osterpaket liegt in einigen wenigen Sätzen: In Zukunft soll vor allem der Windkraftausbau immer Vorrang vor dem Naturschutz genießen. „Die Nutzung erneuerbarer Energien“, heißt es dort, liege künftig „im überragenden öffentlichen Interesse“ und diene „der öffentlichen Sicherheit“. Bei der Vorstellung seines Plans griff der Wirtschaftsminister sogar zu einem für ihn ungewöhnlichen Wort: „Gemeinsam schaffen wir es, gemeinsam stoppen wir den Krieg, gemeinsam schaden wir Putin und gemeinsam werden wir unabhängig von fossilen Energien – das ist dann ökologischer Patriotismus.“ Bei der sogenannten „Schutzgüterabwägung“ – also etwa bei dem Konflikt eines Windpark-Baus mit dem Vogelschutz – habe deshalb der Ausbau der erneuerbaren Energien unter dem Zeichen dieses „ökologischen Patriotismus“ immer Vorrang.

Warum eine wetterabhängige Energieversorgung ausgerechnet im Interesse der öffentlichen Sicherheit liegen sollte, und inwiefern ein Ausbauziel bis 2035 Putin und seinen Krieg stoppen kann, verriet Habeck nicht. Aber seine Rahmenerzählung wurde von etlichen Medien begeistert aufgenommen. „Grün hat jetzt immer Vorrang“, jubelte etwa die ZEIT über das „Osterpaket“.

Schon vorher hatte sich Habeck mit Umweltministerin Steffi Lemke auf „Eckpunkte“ eines neuen Gesetzes geeinigt, mit dem beide den Vorrang des Windkraftausbaus vor Natur- und insbesondere Artenschutz sicherstellen soll. Laut Eckpunktepapier von Habeck und Lemke gilt in Zukunft etwa um Horste des Rotmilans nur noch ein „innerer Schutzbereich“ von 500 Metern. Der „Prüfbereich“, der für die Windrad-Genehmigung entscheidend ist, halbiert sich demnach von 4000 auf 2000 Meter.

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Es gibt nur einen Faktor, der das Vorhaben der beiden Spitzengrünen empfindlich stören dürfte: die Europäische Union. Bei Umwelt- und vor allem Artenschutz handelt es sich nämlich um EU-Recht, das Deutschland auf nationaler Ebene gar nicht umgehen oder herabstufen kann. Der Vogelschutz beispielsweise leitet sich unmittelbar aus EU-Vorschriften ab, auf deren Gültigkeit der Europäische Gerichtshof immer wieder gepocht hatte. Auch bei der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) handelt es sich um EU-Recht, das die Bundesrepublik nicht einseitig relativieren oder sogar aussetzen kann. Vor dem EU-Gerichtshof hätten Initiativen deshalb gute Chancen, gegen die Zurückdrängung des Naturschutzes zu klagen.

Dass ihre nationalen Vorstellungen mit der EU kollidieren, hatten die deutschen Grünen schon bei dem Taxonomie-Streit um die steuerliche Behandlung der Kernkraft erfahren: Mit ihrer Anti-Atompolitik standen sie gegen fast alle anderen Mitgliedsländer. Bei Habecks Windkraft-Vorrangplan könnte sich der Konflikt auf einer ähnlichen Ebene wiederholen. Der Verein „Vernunftkraft“, die Dachorganisation der deutschen Anti-Windkraft-Initiativen, kündigte an, alle rechtlichen Mittel gegen eine Planierung des Naturschutzes auszuschöpfen.

„Mit diesen Eckpunkten blasen die beiden grünen Minister zum finalen Angriff auf den Artenschutz und die letzten verbliebenen naturnahen Landschaften. Dem werden wir uns mit aller Kraft entgegenstellen“, so „Vernunftkraft“-Sprecherin Waltraud Plarre zu Habecks und Lemkes Vorrang-Regelegung. Die Dachorganisation weist in ihrer Kritik an Habeck ausdrücklich auf das EU-Naturschutzrecht hin.

In der Vereinbarung mit Lemke und seinem Osterpaket kassiert der grüne Vizekanzler übrigens klammheimlich auch eine andere Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag. Dort heißt es auf Seite 37 noch: „Die Energiewende werden wir ohne den Abbau von ökologischen Schutzstandards forcieren.“

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