Tichys Einblick
Habeck-Files

Die Atomlüge oder wieder ein Skandal, der ohne Folgen bleibt

Die CDU bemüht sich, den Skandal um die Habeck-Files über den parlamentarischen Weg zu verlängern. Doch angesichts des Gleichmuts wichtiger Akteure hat das wenig Aussicht auf Erfolg. Zu den Vertuschern gehört die FDP. Die Koalition schließt die Reihen und lässt Kritiker abtropfen.

picture alliance/dpa | Jessica Lichetzki

Die „parlamentarische Eskalation“ ist ein Fachbegriff aus den Tiefen der Parlamente. Damit sind die Instrumente gemeint, mit denen eine Partei ein Thema in Landtag oder Bundestag spielen kann. Das Spektrum dieser Instrumente reicht von Anfragen, über Behandlung in Fachausschüssen, bis hin zu Anhörungen, Anträgen oder eigenen Untersuchungsausschüssen. Sie gelten als das schärfste Schwert unter diesen Instrumenten. Untersuchungsausschüsse garantieren, dass ein Thema möglichst lange in der öffentlichen Debatte bleibt.

Dieses Schwert hat die Union bereits ins Gespräch gebracht. Vorerst belässt sie es aber bei einer Beratung im Fachausschuss. Zudem droht der parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei dem Wirtschaftsminister in der Presse mit einem „Nachspiel“, sollte der nicht die Fakten zu den „Habeck-Files“ offenlegen. Jenem Skandal, dass Robert Habeck (Grüne) oder sein Führungskreis im Ministerium systematisch die Stimmen von Experten im eigenen Haus unterdrückt haben, die vor den Folgen eines Abschaltens der letzten Atomkraftwerke gewarnt haben. Zum Beispiel dem dadurch erwartbaren weiteren Anstieg der Strompreise. Den Skandal aufgedeckt hat das Magazin Cicero.

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Die CDU schickt ihren parlamentarischen Geschäftsführer für diese Aufgabe vor. Eine Position, die im Betrieb die Aufgabe hat, Organisatorisches zu managen und dem Fraktionsvorsitzenden Verliererthema vom Hals zu halten. Der hält sich entsprechend zurück. Auf Twitter zum Beispiel äußerte sich Friedrich Merz bis zum Freitagmorgen gar nicht zu den Habeck-Files, stattdessen beschäftigte er sich mit Themen wie dem Wahlrecht oder dem Girls’ Day.

Die wenigen Angriffe der CDU auf Habeck sind kein Problem für den Wirtschaftsminister. Selbst wenn sie stärker würden, müsste ihn das nicht schrecken. Entscheidend für ihn ist der Blick auf seine Freunde. Seine Partei steht in dieser Frage geschlossen hinter dem Mann, dem sie die besten Wahlergebnisse ihrer Geschichte verdankt. Zwar befindet er sich im Duell mit Annalena Baerbock um die nächste Kanzlerkandidatur. Doch die Außenministerin wird das Thema kaum nutzen, so lange es derart wenig Empörungsskandal in den eigenen Reihen aufweist.

Auch die Koalitionspartner halten sich zurück. Die SPD ist bemüht, des Kanzlers Worte zu verstärken, nach denen die deutsche Wirtschaft den „Turnaround“ geschafft habe und es ihr jetzt täglich besser gehe. Davon waren die Debattenbeiträge zu den Wirtschaftsthemen im Bundestag geprägt. Das Atom-Aus wieder aufzumachen, würde den Sozialdemokraten nur schaden.

Selbst die FDP verkämpft sich nicht gerade an der Front. Zum einen fällt es auf sie zurück, dass Habeck das Atom-Aus gegen alle Warnungen von Experten durchgesetzt hat. Folglich hat sie kein Interesse an dem Thema. Zum anderen ist auch die FDP darauf angewiesen, einen auf Wirtschafts-Optimismus zu machen. Da passen die Fehler der Vergangenheit nicht ins Konzept. FDP-Chef Christian Lindner meidet das Thema auf X genauso wie Merz. Er schreibt stattdessen von der „Wirtschaftswende“ und teilt einen Beitrag des Justizministers Marco Buschmann zum Bürokratie-Abbau. Der fachpolitische Sprecher Olaf in der Beek sagt nach dem Fachausschuss: „So wie der Minister es heute dargestellt hat, ist es völlig logisch, wie er entschieden hat.“ Zwar kündigt Michael Kruse an, die FDP wolle die Unterlagen nun kritisch prüfen. Doch der energiepolitische Sprecher hat schon bei Habecks Heizhammer die Lippen gespitzt, aber nicht gepfiffen, als es darauf ankam. Außer den üblichen Dissidenten wie Wolfgang Kubicki und Linda Teuteberg kommt sonst nichts von der FDP.

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Entsprechend gelassen gibt sich Habeck. Er sagt, nicht die Papiere zu lesen, sei für ihn entscheidend gewesen, sondern das Gespräch mit den Betreibern. Die hätten ihm gesagt, es sei nicht mehr möglich gewesen, neue Brennstäbe zu besorgen. Das sei für ihn entscheidend gewesen. Außerdem sei vielleicht auch manche Mail nicht bei ihm angekommen. Seine Strategie besteht also zur Hälfte aus dem Satz, es war alles okay. Und zur anderen Hälfte aus dem Satz: Falls es nicht okay war, habe ich davon nichts gewusst.

Nun werden sich einige an Habeck abarbeiten: die Opposition auf dem Weg der parlamentarischen Eskalation. Journalisten, die nach Widersprüchen in Aussagen von Habeck und seinem engeren Team suchen. Doch es fehlt die breite Öffentlichkeit, die das Thema verstärken wird. Wirtschaftsverbände wie die Industrie- und Handelskammer oder die Familienunternehmer haben bis zum Freitagmorgen sich in ihren Mitteilungen mit anderen Themen beschäftigt. Die Handelskammer etwa mit der Verlängerung der Bewerbungsfrist für einen Journalistenpreis. Das Schweigen der üblich verdächtigen Medien ist bereits dokumentiert.

Vor allem fehlt es den Habeck-Files aber an öffentlichem Empörungspotenzial: Ein Minister hat gelogen und betrogen, um seinen politischen Willen durchzubekommen? Das löst keinen Sturzbach aus. Das ist ein weiterer Tropfen in ein Fass, das schon lange vollläuft – aber von dem keiner weiß, ob und wann es überläuft. Die fragwürdigen Vorgänge um den Ausstieg bestärken zwar das Bild von einem ideologisch motivierten und fachlich unfähigen Wirtschaftsminister. Aber sie treiben die Menschen nicht auf die Straße. Hält das Bündnis aus eigener Partei, Koalitionspartnern, Medien und Verbänden, dann hat Habeck von den nach ihm benannten Files keine Konsequenzen zu erwarten – außer ein paar Anfragen, Ausschusssitzungen oder Anhörungen im Bundestag.

Und so strotzt Habeck vor Selbstbewusstsein. Am Donnerstag noch wurde als Verteidigungslinie aufgebaut, der Minister sei nicht informiert gewesen – ohnehin eine schwache Position, denn es gilt auch für ihn das Prinzip Ministerverantwortung und die Pflicht, sein Haus entsprechend zu organisieren und zu führen. Aber schon am Freitag sagt er, es gebe „kein Geheimwissen“. Damit trägt er die Gesamtverantwortung – ziemlich leichtes Gepäck, wenn keine Kritik sein Handeln in Zweifel zieht. So bleibt Habecks Atomlüge nur ein weiterer Skandal, der keine Folgen hat.

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