Tichys Einblick
Welle des Unmuts

Spontaner Protest in Greifswald: Anwohner demonstrieren gegen Containerdorf neben Schule

Nach Upahl steigt nun in Greifswald der Unmut angesichts einer unveränderten Migrationspolitik. Anwohner wehren sich gegen die Errichtung eines Containerdorfs für Asylbewerber direkt neben einer Schule und einem Kindergarten. Der grüne Oberbürgermeister muss durch eine Beamtenkette geschützt werden. Er hätte sich mehr Zeit zum Diskutieren gewünscht.

Symbolbild

IMAGO / Alexander Pohl

Im Greifswalder Ostseeviertel sollen 500 Asylbewerber in einem zu errichtenden Containerdorf auf einer Brachfläche untergebracht werden. Unmittelbar an die derzeit noch Wiese grenzt ein Schulgebäude. Doch gegen diese Maßnahme, die vom Kreistag Vorpommern-Greifswald mit nur knapper Mehrheit beschlossen wurde, regt sich der Widerstand der Greifswalder, die die Folgen der Ansiedlung unmittelbar zu gewärtigen haben würden.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Es ist eine veritable Volksansammlung, die sich am Montag im Greifswalder Ostseeviertel vor der Caspar-David-Friedrich-Schule eingefunden hat, um gegen das neue Containerdorf in unmittelbarer Nähe der Schule zu protestieren. Gut 500 Menschen laut Polizeiangaben, vielleicht auch etwas mehr dem bloßen Augenschein nach sind gekommen, ein ausgedehnter Platz ist voll mit Menschen – keineswegs alle mit kurzen Haaren oder strammem Scheitel. Alles sieht sehr normal aus. Aber die Stimmung ist, wie das vernehmbare Stimmengesäusel verrät, angespannt.

Die Kosten der Unterkunft liegen bei neun Millionen Euro. Zu den erstaunlichen Tatsachen zählt weiterhin, dass der durchführende CDU-Landrat Michael Sack laut Presseberichten vor allem von Linken- und SPD-Abgeordneten für die Entscheidung kritisiert wurde. Nun sollte ein Grüner die Entscheidung umsetzen, womit das Parteienkarussell schon wieder fast komplett wäre.

In Videos, die die Ostseezeitung veröffentlicht hat, hört man auch derbe Gedankenausdrücke wie „Was will der denn hier?“, als der Oberbürgermeister der Universitätsstadt, der Grüne Stefan Fassbinder, die Menge anscheinend unbegleitet durchläuft und durch ein Eisentor auf den leeren Schulhof gelangt. Türöffner sorgen dafür, dass niemand mit hineinschlüpft. Von Transparenz ist auch diese Ortsdemokratie weit entfernt. Aber die Ortsvertreter werden gegen den Vorschlag stimmen, ohne dass klar ist, ob sie überhaupt ein Mitspracherecht haben. Der grüne OB hätte sich, seinen eigenen Worten nach, „mehr Zeit für die Diskussion über die Unterkunft“ gewünscht. Vermutlich um besser zu überzeugen.

Ernste Bedenken führen zu hochkochender Galle

In der Caspar-David-Friedrich-Schule tagen nun die Ortsteilvertreter. Der OB hatte seine Teilnahme kurzfristig angesagt. Die große Demonstration der Containerdorfgegner war zwar nicht angemeldet worden, aber wohl früher geplant gewesen als der OB-Besuch. Dass sie nicht angemeldet war, daraus folgen nun Ermittlungen der Polizei gegen den unbekannten Organisator der Versammlung, die im Vorfeld beworben worden war. Das betrifft Feinheiten des Versammlungsrechts. Auch die Verwendung von Pyrotechnik wird vermerkt.

Das Zusammentreffen zwischen Demonstranten und Bürgermeister war also durchaus unvorhergesehen. Die Polizeiinspektion Anklam schreibt in ihrem offiziellen Bericht von einer „Konfrontation“, die einige Demonstranten mit dem OB gesucht hätten. Das geschah offenbar, als der Stadtvorstand das Schulgebäude wieder verließ. „Mit körperlicher Gewalt sowie durch den Einsatz des Schlagstocks gegen eine einzelne Person“ sei es gelungen, die „Konfrontation“ zu unterbinden, so die Polizei in ihrem Bericht. Daneben berichtete ein Polizeisprecher, dass eine Kette von Beamten den OB schützen musste. Es sei „gefährlich“ für Fassbinder geworden.

Berliner Kirchenstift
110 Senioren müssen ihr Heim verlassen, damit Flüchtlinge einziehen können
Auch die Teilnehmer an der Gegendemonstration wurden von einigen Demonstranten verbal attackiert. In einem Fall folgte auch ein körperlicher Angriff von zwei Demonstranten gegen einen ehemaligen Gegendemonstranten, der sich offenbar noch am Ort der angemeldeten, aber abgelaufenen Gegendemonstration oder in der Nähe aufhielt. Auch sei es zu „einer gefährlichen Körperverletzung“ zwischen den beiden Gruppen gekommen.

Die Galle kocht offenbar über im Ostseeviertel, so wie zuvor Upahl und an anderen Orten. Und immer finden sich in einer Demonstration von 500 Menschen auch „mindestens 20 Menschen“ aus der rechtsextremen Szene. Das hat aber mit dem Gros der Demonstranten wenig zu tun.

In einem anderen Video, das die Ostseezeitung veröffentlicht hat, erzählt eine Frau, dass ihr elfjähriger Sohn auf die Schule geht: „Ich möchte, dass er auch bis zur zehnten Klasse ohne Angst auf dieser Schule unterrichtet werden kann – ohne dass da nebenan Menschen sind, die meinem Kind zur Gefahr werden.“ Eine andere Greifswalderin pflichtet ihr bei: „Weil ich einfach nicht möchte, dass unsere Kinder in Gefahr geraten durch Flüchtlinge, die hier aus Syrien, Türkei oder sonst woher kommen.“

Es gebe „gute Bürger oder gute Ausländer, die mit ihren Müttern, ihren Kindern herkommen … und auch Hilfe brauchen, natürlich“. Türken, Syrer und Afghanen seien aber zu häufig durch „Messerstechereien“ aufgefallen. Neben der Schule gebe es auch einen Kindergarten: „Das funktioniert hier nicht.“ Eine dritte Frau berichtet von Schlägereien, Drogen, schlechtem Benehmen von anderen „Ausländerkindern“, da komme einfach zu viel zusammen. Ein weiterer Demonstrant erklärt, man höre zu viel über Verbrechen, bei denen die Täter Asylbewerber gewesen seien. Er ist der Meinung, dass die jungen Männer besser ihre Heimatländer aufbauen sollten.

Die mediale Hetzjagd auf Greifswalder hat bereits begonnen

Auf weiteren Aufnahmen ist es dunkel geworden. Die versammelten Bürger laufen langsam an einem Zaun entlang. Die Polizisten versuchen ihren Gang zu verlangsamen, indem sie vor ihnen rückwärts laufen. Dann kommt alles zum Stillstand. Ein rauchender Mann an der Spitze, mittleren Alters, verbittet sich das Schubsen durch den Polizisten neben ihm. Er habe dasselbe Recht, an dieser Stelle zu stehen, wie der Beamte. Ein Kraftausdruck fällt. Es kehrt verhaltene Ruhe ein. Immer noch wird aber auf vielen Trillerpfeifen geblasen. Später bewegen sich die Bürger an den Polizisten vorbei, haben wohl eine seitliche Richtung gewählt. Einer ruft in die Atmosphäre zwischen Protestmarsch und eingefrorenen Fronten hinein: „Warum schützt ihr so ’ne Idioten?“

Die 50 Gegendemonstranten setzen sich laut einem Teilnehmer dafür ein, dass Greifswald auch weiterhin ein „sicherer Hafen“ bleiben soll. Man sei bereit, „sozusagen alle, die Hilfe brauchen, aufzunehmen“. Die Sorgen der primären Demonstranten kann aber sogar dieser Gegendemonstrant verstehen: Eine so große „konzentrierte“ Anlage sei möglicherweise nicht der richtige Weg. Am Ende entspinnt sich im Scheine von Laternen beinahe Volksfeststimmung. Vielleicht war doch alles halb so schlimm.

Aber die mediale Hatz auf die Greifswalder ist bereits in Gang gesetzt. Vom Focus (erster Titel: „Meute geht auf OB los“, später geändert) bis zum Spiegel („aggressive Demonstranten“) darf man sie nun als Ausländerfeinde anklagen und ihnen in der Gesamtheit zugleich – generalisierend – versuchte oder reale Ausfälle gegen einen Oberbürgermeister und Gegendemonstranten zur Last legen, auch wenn die offenbar von einer verschwindenden Minderheit in der Hitze des Gefechts begangen wurden. Denn hitzig war die Stimmung zuvor gewesen und das nicht minder als in anderen Städten und Gemeinden, die nun die Last der unendlichen Migrationskarawane nach Deutschland zu schultern haben.

Anzeige