Tichys Einblick
Strafantritt oder Kuhhandel der Diplomatie

Giuseppe Conte: In der Form verbindlich, hart in der Sache

Was er tun will, wenn ihn „La Merkel“ auf Rackete anspricht? Der italienische Premierminister: „Nun, ich werde mir wie immer alles anhören, aber auch die Chance ergreifen, um mich nach dem Stand des Gerichtsverfahren und der Strafen der beiden deutschen Thyssen-Manager zu erkundigen …“.

Pier Marco Tacca/Getty Images

Die Gemüter sind erhitzt, es wäre stets gut, besonders in der Politik sowie in der hohen Kunst der Diplomatie (wer sie denn beherrscht), einen Gang herunterzufahren. In Italien wundert man sich schon ein wenig über Deutschland, die Stimmen aus Politik und Kirche kommen hier ziemlich unreflektiert und arg schrill rüber.

Natürlich ist es normal, dass sich eine Nation für seine im Ausland in Schwierigkeiten geratenen Staatsbürger einsetzt. Meistens geschah dies in der Vergangenheit sehr leise, und die Botschafter und Konsulate wurden vorausgeschickt. Gut geschulte Männer des Diplomatencorps. Tempi passati. Eine deutsche „Kapitänin” riskiert alles, auch das Leben anderer, und erzwingt die Einfahrt in einen fremden nationalen Hafen. Über 14 Tage lang hatte sie Zeit, entweder die erpresserisch auftretenden „Flüchtlingsmänner“ in einen anderen Hafen Nordafrikas z.B. Tunesien zu bringen oder aber die Sea-Watch gleich nach Deutschland zu steuern, wo anscheinend mehrere Gemeinden geradezu sehnsüchtig auf neue Migranten warten. Die Frage ist nur, ob die jeweiligen Bürgermeister und der Gemeinderat tatsächlich alle Meinungen der Bewohner ihrer Städte, die sich dem „Sicheren Hafen“ angeschlossen haben, auch tatsächlich abdecken.

Stattdessen ereifern sich ausgerechnet deutsche Politiker über Italiens Regierung, stimmen im Chor der Gutmeinenden und Identitätslinken schrill mit ein, wohl auch in der Hoffnung, ihre massiv gesunkenen Umfragewerte irgendwie aufzupäppeln. Über eine Million Euro wurden bereits auf Petitions- und Spendenkanäle gesammelt, für eine, wie sie selbst sagt, privilegierte deutsche Kapitänin weißer Hautfarbe (als wäre es wichtig, darauf hinzuweisen), nur damit sie sich so wie das politische Deutschland besser fühlt und zeigt, seht her, wir sind nicht das Deutschland der 30er Jahre.

„Kapitänin“ gegen „Capitano“
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Nur, so hat die Welt die Bundesrepublik bisher nicht gesehen, und schon gar nicht die „Geflüchteten” sehen in Deutschland ein rassistisches Land. Oder warum stellt Deutschland auf der Migrationsroute das begehrteste Ziel dar? Im Gegenteil, die halbe Welt will zu uns. Als Faschisten und Rassisten bezichtigen wir uns nur untereinander, die Migranten schmunzeln sich eins über dieses Gebaren und stimmen hier und da mit in den Gesang ein. Kein anderes Land, wenn noch dazu aufgeklärt, würde so tief sinken. Wir machen uns weltweit zum Horst. Es ist diese typisch deutsche, ja, leider Kleingeistigkeit, unter der Maske der Modernität und Liberalität.

Doch der aufgeklärte und ideologiefreie Bürger merkt die Veränderungen in Deutschland, wenn plötzlich Errungenschaften von echter Freiheit und Emanzipation ausgerechnet von Identitätslinken über Bord geworfen werden. Über Bord, das eigentliche Thema, wenn wir über die Sea Watch, Carola Rackete und Lampedusa berichten, sowie über das hysterische Berlin. Die Sommerhitze scheint nicht jedem zu bekommen. Wo sind die ausgewogen ausgetauschten Argumente statt der Vielzahl schriller Töne?

Möchten uns Heiko Maas, Frank-Walter Steinmeier und Bischof Bedford-Strohm weismachen, wir würden Regelverstöße und Gesetzesbrüche zu Gunsten einer illegalen Einwanderung auch noch unterstützen? Wollen uns all diejenigen weismachen, dass sich Deutschland mit dem Zuzug muslimischer Männer aus dem Nahen Osten sowie aus Afrika überhaupt nicht verändert habe und weiterhin verändert? Nicht wenige Bürger meinen zu glauben, dass Politiker wie der Außenminister und etliche Grüne in anderen Sphären leben. Nicht nur das Klima, welches Greta meint, hat sich verändert, sondern das Meinungsklima.

Matteo Salvini ist in der Tat ein populistischer Politiker, wenn man darunter versteht, dass er zwar recht einfach gestrickt sein mag, aber er ist ein guter Beobachter, kann Stimmungen und Strömungen schnell erfassen. Salvini ist ein stolzer Italiener, der in der Vergangenheit schon mal die Bewohner südlich von Rom beleidigt hatte, aber sich nicht zu schade war, sich auch bei ihnen zu entschuldigen. Etwas, was unseren momentanen Politikern nie über die Lippen kommen würde. Nicht nach Chemnitz, mit den üblen Unterstellungen, und auch nicht nach den schlimmsten Ereignissen von Berlin, Freiburg oder Kandel. Möglichkeiten gäbe es zuhauf.

Matteo Salvini bevorzugt auch jetzt nicht die diplomatische Sprache, besonders nicht nach den Giftpfeilen aus Deutschland, die ihn und seine Koalition ganz bewusst treffen wollen. Ein intakter Staat hätte sich mit der Sea-Watch in Verbindung gesetzt, und Lösungswege aufgezeigt, auch gern die eigenen Militärschiffe geschickt, nein, stattdessen melden sie sich danach – als hätten sie alle bewusst mit diesem Crash gerechnet. Salvini also gibt den Hardliner, aber die italienische Regierung hat auch einen starken Mann der leisen Töne, nämlich Juraprofessor Giuseppe Conte, nun als Premierminister und Vermittler der Regierung. Übrigens wurde auch er von der halben europäischen Presse, sowie von den etablierten EU-Parteien, als Marionette und Puppe Salvinis diffamiert. In der Europäischen Union hört man ihm nun zu, und Italien, sowie die Visegrad-Staaten, können derzeit so einiges blockieren.

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Angela Merkel und Giuseppe Conte, immerhin haben sie einen Draht zueinander, werden sich sicher auch der Themen Sea-Watch und Carola Rackete annehmen. Alles habe seinen Preis, so gab sich der Premier vor der italienischen Presse wie immer gelassen. Mit ruhiger Stimme und ziemlich wach, beantwortete Conte die Frage, was er denn zu gedenken täte, wenn ihn „La Merkel“ auf Carola Rackete ansprechen werde? Der Premierminister dazu: „Nun, ich werde mir wie immer alles anhören, aber auch die Chance ergreifen, um mich nach dem Stand des Gerichtsverfahren und der Strafen der beiden deutschen Thyssen-Manager zu erkundigen …“.

Und da bleibt einer in Deutschland eigentlich beschämt zurück, wenn man erst losbrüllt und hysterisch die Freilassung der „Kapitänin” verlangt, während in Deutschland selbst ein Gerichtsverfahren in die Länge gezogen wird.

Wer nicht mehr im Bilde ist, hier die Problematik, die zwar schon ein paar Jahre alt ist, aber die Italiener immer noch bewegt, die Conte jetzt nochmals offen ansprach:

Vor zehn Jahren ereignete sich in einem Turiner Stahlwerk ein richtiger Großbrand. Im Anschluss nach dieser Katastrophe, bei der sieben Menschen ums Leben kamen, wurden sechs Thyssenkrupp-Manager zu Haftstrafen verurteilt. Die italienischen Ingenieure und verantwortlichen Angestellten traten die Haftstrafen an, die zwei Deutschen jedoch nicht.

Die Empörung war und ist in Italien immer noch sehr groß. Doch wurde irgendwann so hysterisch reagiert, wie es derzeit die deutschen Politiker ziemlich bigott tun? Wie gesagt, zwei der rechtmäßig Verurteilten haben ihre Strafe noch immer nicht angetreten: Bei den beiden Managern handelt es sich um die deutschen Harald Espenhahn, den ehemaligen Leiter und Werkschef, und Gerald Priegnitz, damals für die Finanzen verantwortlich.

Espenhahn wurde in erster Instanz zu 16 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die anderen fünf Angeklagten zu Haftstrafen zwischen zehn und 13 Jahren. Ein hartes Strafmaß, aber es wurde auf die Sicherheitsvorkehrungen und Verbesserungen der Arbeitsplätze gepocht.

Es wurde wiederum Berufung eingelegt und sage und schreibe neun Jahre mussten die Angehörigen auf ein definitives Urteil warten (Salvinis Regierungserklärung lautete zudem, Gerichtsverfahren und Urteile müssen beschleunigt werden). Vor drei Jahren im Mai bestätigte und entschied das Kassationsgericht die Verurteilungen wegen fahrlässiger Tötung.

Die deutschen Ingenieure von Thyssen wurden zu neun Jahren und 8 Monaten Freiheitsstrafe sowie zu sechs Jahren und 3 Monaten (Priegnitz) verurteilt.

Das Ergebnis? Wer verurteilt wird, sollte ergo auch büßen und die Haftstrafe antreten. Die italienischen Verurteilten traten die Strafen gleich am Tag danach an, die beiden Deutschen dagegen bis heute nicht. Nein, sie sind daheim bei ihren Lieben und ausgeliefert nach Italien werden sie nicht.

Die Diplomatie hat ihre Abmachungen und Kooperationen, einem bilateralen Abkommen nach müssten die beiden Manager ihre Haftstrafe eigentlich in Deutschland verbüßen – und zwar in dem Umfang, der in der Bundesrepublik für die entsprechenden Straftaten vorgesehen ist. Für fahrlässige Tötung sind das in der Bundesrepublik höchstens fünf Jahre. Dass die Regierung um Angela Merkel im Bilde ist, aber keine Regung zeige, ist mehr als beschämend. Und selbst Heiko Maas hat als damals amtierender Justizminister Post von seinem Kollegen aus Italien erhalten. Resonanz? Gleich null. Deshalb verwundert es einen umso mehr, wenn Maas und andere GroKo-Politiker rein populistische Politik betreiben, exakt so, wie sie es ihren konservativen Gegnern vorwerfen, aber gleichzeitig wahre politische Moral tagtäglich vermissen lassen. Kurz: etliche Minister und Politiker messen mit zweierlei Maß. Aber auch das ist längst nichts neues mehr.

Ob es ein diplomatischer Kuhhandel wird oder nicht, wird man sehen. Giuseppe Conte schlägt im Gegensatz zu Salvini zwar die leiseren Töne an, doch für Italien wird er herausholen, was möglich ist.

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