Tichys Einblick
Neuregelung der Partizipation 

Gesetzesentwurf des Berliner Senats: Migrantenquoten als mittelfristiges Ziel

Etwas verwirrend: Es soll keine feste Quote geben – aber dann doch wieder die Zielvorgabe, dass sich der Anteil der öffentlichen Bediensteten mit ausländischen Wurzeln mittelfristig auf allen Funktions- und hierarchischen Ebenen an deren Bevölkerungsanteil ausrichten soll.

Elke Breitenbach (Die Linke), Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales

picture alliance/dpa | Carsten Koall

Der rotrotgrüne Berliner Senat hat auf seiner Sitzung am 9. März den Entwurf zum „Gesetz zur Neuregelung der Partizipation im Land Berlin“ beschlossen. Die Vorlage stammt von der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach (die Linke). Der Gesetzesentwurf soll nach der Beteiligung des Rates der Bürgermeister (er besteht aus dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller/SPD, dem Bürgermeister Klaus Lederer/Linke und der Bürgermeisterin Ramona Pop/Grüne sowie den 12 Bezirksbürgermeistern) ins Abgeordnetenhaus eingebracht und dort noch vor der Abgeordnetenhauswahl am 26. September beschlossen werden.

Grundlage der Initiative ist das 2010 verabschiedete Gesetz zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin, das in § 4 bereits vorschrieb: „Der Senat strebt die Erhöhung des Anteils der Beschäftigten mit Migrationshintergrund entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung an.“ Es war 2018 von der Syspons GmbH im Auftrag des Integrationsbeauftragten von Berlin umfangreich evaluiert worden. Die Novelle, so die Senatskanzlei, liefere nun nach einem Austausch mit allen Senatsverwaltungen „konkrete Instrumente für eine größere Personalvielfalt in der Verwaltung und für mehr gesellschaftliche Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte“. Als wesentliche Punkte sind genannt: 

  • „Menschen mit Migrationshintergrund werden bei der Besetzung von Stellen in besonderem Maße berücksichtigt. 
  • Durch verbindliche Regelungen bei Stellenausschreibungen sollen mehr Menschen mit Migrationsgeschichte gezielt geworben und angesprochen werden. 
  • Förderpläne und Zielvorgaben für alle öffentlichen Stellen des Landes Berlin für Menschen mit Migrationshintergrund werden eingeführt. 
  • Die Anzahl der Beschäftigten mit Migrationshintergrund wird auf freiwilliger Basis erhoben. 
  • Eine neu geschaffene Fachstelle begleitet die fachliche Ausrichtung der Verwaltungen auf die Migrationsgesellschaft. 
  • In jedem Bezirk wird ein Migrationsbeirat gesetzlich verankert. 
  • Für die Belange der Roma und Sinti wird ein Beirat eingerichtet.“ 

Im Vorfeld zur Novelle hatte es, wie TE berichtete, zwischen den Berliner Regierungsparteien Unstimmigkeiten darüber gegeben, auf welchem juristischen Weg ein höherer Anteil von Migranten am öffentlichen Dienst durchgesetzt werden sollte. Elke Breitenbach schwebte ursprünglich eine aktuell fixierte Quote im Gesetz von 35 Prozent vor (entsprechend dem Bevölkerungsanteil der Migranten), sie konnte sich aber damit nicht durchsetzen. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte eine solche feste Quote als verfassungswidrig eingestuft. Die jetzt geplante Novelle zielt allerdings in mittelfristiger Perspektive zweifellos in die gleiche Richtung.

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Elke Breitenbach erklärte zur vom Senat auf den Weg gebrachten Novelle, es sei gelungen, „eine gute Grundlage für die Durchsetzung der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte zu erreichen. Wir haben verbindliche Regelungen beschlossen, mit denen künftig die Vielfalt der Stadtgesellschaft in der Berliner Verwaltung abgebildet wird. Wir wollen Zugangsbarrieren für Menschen mit Migrationsgeschichte abbauen und den öffentlichen Dienst auf die Migrationsgesellschaft ausrichten. Das Land Berlin wird mehr Menschen mit Migrationsgeschichte auf allen Funktionsebenen einstellen und fördern.“ 

Mit der Erarbeitung des Entwurfs betraut war die Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration, Katarina Niewiedzial, der zufolge das überarbeitete Partizipationsgesetz „für ein modernes Verständnis unserer Stadt (steht), die von Migration geprägt ist.“ In einem Eckpunktepapier der Beauftragten des Senats für Integration und Migration vom Oktober 2020 war betont worden, Berlin verfolge im Bereich Migration eine Teilhabe- und Partizipationspolitik, nicht unbedingt Integration. „Der Terminus Integration betont zu sehr das vermeintliche Bestehen einer festen Gesellschaft, in die andere dazu kommen und sich anpassen sollen. Obgleich das Kennen und Leben der hiesigen Regeln, Gesetze und Gepflogenheiten für das Berliner Zusammenleben zentral ist, wird dieses städtische Leben von allen Berlinerinnen und Berliner – egal wann, woher oder weshalb sie herkamen – gemeinsam gestaltet. Dazu sollen die öffentlichen Leistungen so ausgerichtet sein, dass alle Berlinerinnen und Berliner daran gleichberechtigt teilhaben und gesellschaftlich-politisch partizipieren können“.

Es habe ja über das Gesetzesvorhaben, so Elke Breitenbach auf der Landespressekonferenz mit dem Berliner Senat am 9. März, lange und auch öffentliche Debatten gegeben, es sei nun ein „sehr guter Kompromiss“ gefunden worden. Das Gesetz weise sehr viele verbindliche Regelungen auf. Wenn man beispielsweise eine Stelle ausschreibe, müsse sich jede Behörde und Stelle überlegen, wie man ausschreiben könne, so dass auch Menschen mit Migrationsgeschichte angesprochen würden. Alles müsse dokumentiert werden. Das gehe weiter bei der Einladung zu den jeweiligen Stellenbesetzungsverfahren. Auch da müssten die Menschen mit Migrationshintergrund mit entsprechender Qualifikation, die sich beworben haben, mit bedacht werden: Sie müssen eingeladen werden „entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung“, so Breitenbach. Hierbei sei zugleich festgelegt, dass Menschen mit Migrationshintergrund „in besonderem Maße berücksichtigt“ werden. 

Neu sei auch, dass man sich angucke, wie hoch der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund auf allen beruflichen (hierarchischen) Ebenen sei anstatt nur wie früher in einer Behörde oder einem Landesbetrieb insgesamt. Man sei sich in der Koalition immer einig gewesen, dass man den Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund erhöhen möchte, und zwar entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung. „Das sind jetzt 35 Prozent. Wir haben keine Zahl festgeschrieben.“ Schließlich könne der Anteil dieser Gruppe in ein paar Jahren auch 50 Prozent betragen. 

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Jetzt stelle sich die Frage: Wie hoch ist denn der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst? „Wir wissen es nicht, weil bislang keine Daten erhoben werden.“ Dies sei sehr misslich. Politik müsse sich auch messen lassen. Sie könne ihre Erfolge erst dadurch messen, dass sie wisse, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund in einer Behörde arbeiten, welche Maßnahmen eingeleitet seien und ob man den Anteil der Migranten erhöhen konnte. 

Deshalb freue sie sich auch, sagt Elke Breitenbach, dass völlig klar sein, dass zukünftig der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund erhoben wird, „selbstverständlich freiwillig“. Und dann liegen Zahlen vor. Auf Grundlage dieser Zahlen seien alle Führungskräfte verpflichtet, Maßnahmen zu entwickeln, um 1. die Menschen mit Migrationsgeschichte in der Behörde zu halten und 2. den Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Dies alles werde dokumentiert, und die jeweiligen Förderpläne, die verbindlich festgeschrieben sind und in allen Behörden und auf allen Ebenen vorgelegt werden müssen, können natürlich auch zusammen  mit einem Landesförderplan gemeinsam mit der Beauftragten für Integrations- und Migrationsfragen festgelegt werden. Es werde ein Austausch und ein Monitoring stattfinden.

Von einem Journalisten gefragt, wie schwer ihr „der Abschied von der [gemeint: im Gesetz explizit vorgegebenen] Quote gefallen“ sei, erklärte Breitenbach, sie hätte sich mehr Verbindlichkeit gewünscht, auch was die Stellenbesetzungsverfahren angeht, man habe aber so viele verbindliche Regelungen in dem Gesetzesvorhaben, dass sie damit leben könne. Sie persönlich hätte sich über eine Quote gefreut, halte sie auch für rechtlich möglich, weil sich darüber ein Nachteil ausgleichen lasse. Die jetzt angestrebte Quote von 35 Prozent gelte für jede Abteilung, jedes Referat und jede Ebene, stellte Breitenbach klar.  Wenn die Daten erhoben seien, hätten die Führungskräfte jeweils für ihr Referat einen entsprechenden Einblick, die Daten müssten natürlich anonym dokumentiert sein, so dass nicht auf einzelne Personen Rückschlüsse möglich seien. Als Führungskraft wisse man aber, in seinem Referat habe man so und so viele Menschen mit Migrationshintergrund und müsse sich überlegen, wie man (auf der Grundlage aktueller Bevölkerungsstatistiken) zu 35 Prozent komme. 

+++

Sollte die Novelle im Abgeordnetenhaus verabschiedet und politischer Alltag werden, darf man gespannt auf die Umsetzung sein, insbesondere darauf, mit welchen Prozessen und Verfahren genau Berlin Menschen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu solchen ohne „bei der Besetzung von Stellen in besonderem Maße berücksichtigen“ will. 

Interessant bleibt, wie aussagefähig die anonyme Mitarbeiterbefragung sein wird, ob sie sich streng nach den Vorgaben des Statistischen Bundesamts an der Kategorie „mit/ohne Migrationshintergrund“ aufhängen wird oder mit dem neuen, auch von der Berliner Regierung gern verwendeten Begriff „Migrationsgeschichte“ arbeiten wird (der dann gegebenenfalls auch „Rassismus-Erfahrung“ integrieren würde und zum Beispiel „People of Colour“ in den Blick nähme). 

Von Bedeutung ist ferner, ob beim ins Visier genommenen Anteil der öffentlichen Bediensteten fair differenziert wird nach Herkunftsländern, zumindest -regionen, oder nur der pauschale Bezug zum Ausland an sich als Gruppenmerkmal zählt, die präzise statistische Zusammensetzung des migrantischen Mitarbeiterpotenzials also sekundär wäre. 

Und die grundsätzliche Frage, inwieweit Quotierungen das klassische Leistungsprinzip überlagern könnten, steht selbstverständlich weiter im Raum. Ebenso wie die Frage, ob ein Mensch mit ausländischen Wurzeln, der vor 25 oder 40  Jahren in Deutschland geboren wurde, prinzipiell schutzbedürftiger ist als sein nicht-migrantischer Altersgenosse.

Etabliert werden soll damit letztlich ein – gewöhnungsbedürftiges – Modell, bei dem die personelle Zusammensetzung des öffentlichen Dienstes mit davon abhängig gemacht wird, 1. wie viele Zuwanderer mit und ohne deutschem Pass sich in Berlin niederlassen und 2. wie viele Kinder diese Bevölkerungsgruppe hat bzw. noch bekommen wird. Abzuwarten bleibt, ob das Modell in anderen Bundesländern Nachahmer findet.

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