Tichys Einblick
Erste Prognosen

EU-Parlament, Bremen-Wahl und Österreich: Lauter Denkzettel

Erste Zwischenergebnisse und Prognosen zeigen erstaunliche Ergebnisse für Berlin, Wien und Bremen. Das EU-Parlament ist ohnehin nebensächlich - auf die Innenpolitik kommt es an.

imago images / Stefan Zeitz

Wenn die Zahlen stimmen, dann wird dieser Wahlabend wirklich ein fetter Denkzettel. Bei den Wahlen zum EU-Parlament fällt die CDU deutlich, sehr deutlich unter die 30-Prozent-Hürde. Nur 27-28%? Ein Einschnitt. Da stellt sich die Frage des Denkzettels: Wie lange will die CDU noch mit Merkel Wahlen verlieren und ihre Selbstzerstörung betreiben?

Mit rund 15 Prozent bei den Wahlen zum EU-Parlament hat die SPD ein Ergebnis, das sensationell schlecht ist. Nichts stimmt mehr bei dieser Partei. Sie erhält den Denkzettel für eine Politik, die sich an Zuwanderern aus Ländern aller Welt orientiert, aber nicht mehr an den Wählern aus Duisburg-Rheinhausen. Oder wo auch immer früher die SPD gewählt wurde. Eine Funktionärskaste kreist um sich selbst. Andrea Nahles wird es politisch nicht wirklich überleben. Olaf Scholz? Keine Alternative. Deutschlands große Parteien leiden unter Kopfmangel, sie sind buchstäblich kopflos.

Und in Bremen fällt sie hinter die CDU? Die hat mindestens 2 Punkte Vorsprung Ein Debakel. Kein Denkzettel. Ein Fußtritt vom Wähler.

 

Die Grünen sind die neue SPD. Sie beerben Opas Sozialisten mit grün gestrichenem Sozialismus-Versprechen. Stellt sich die Frage: Tritt die SPD bei den Grünen geschlossen bei – als Senioren-Abteilung? Deckungsgleich ist man ja längst. Dass die SPD in Bremen sich bei Grünen und Linken um eine Regierungsfortsetzung bemüht, ist ein Schritt in das endgültige Ende einer einst historisch wichtigen Partei. Und der Klimakoller wird jetzt das Land überfallen. Der Wahlsieger heißt Greta Thunberg und ihre hüpfenden Fans. Die Irrationalität in der Politik wird mit 20 Prozent belohnt. Noch in der Wahlnacht schmeisst sich SPD-Nahles noch enger an die Grünen ran und verspricht schnell noch ein teures Klimaschutzgesetz, nachdem mit wohl 100 Milliarden für den  „sozialverträglichen Braunkohleausstieg“ schon eine Vorlage auf Kosten der Bürger gemacht wurde. Da wird schnell klar: Wohlstand ist alle. Nicht mehr für Alle.

Und die CDU steht vor einer ähnlichen Frage: Anpassung an den grünen Zeitgeist fördert die grüne Partei. Klar ist aber auch: die Wähler wollen das Original, nicht die Kopie. Merkels Entbeinung der CDU ist jetzt ein Prozess, der lange läuft und lange nicht zu stoppen sein wird. Ist Annegret Kramp-Karrenbauer diejenige, die die Partei aus dem Sumpf ziehen kann? Na, wer’s glaubt. Wer sonst? So einfach. Abstieg ist nicht leicht zu bremsen. Bescheidenheit ist eine Zier: Annegret Kramp-Karrenbauer sieht ihr Wahlziel (mit Abstand stärkste Partei) erreicht – mit 27,5 Prozent. Weit kommt man damit nicht.

Für die AfD ein durchwachsenes Ergebnis; für eine komplett zerstrittene Partei ein trotziges Ergebnis in Bremen. Es sind Protestwähler. Auf EU-Ebene gewinnt sie dazu, aber ihre Bäume wachsen nicht in den Himmel. Zwei Faktoren sind dafür maßgeblich: Die letzten Wochen waren ein massiver gemeinsamer Auftritt der anderen Parteien, die sich selbst geriert haben wie Blockparteien – den Begriff haben sie sich redlich verdient. Und die Angst vor dem Weltuntergang wirkt. Noch. Auf Dauer wohl nicht. Und: Da es im EU-Parlament keine 5-Prozent-Hürde gibt, hatten die Protestwähler reiche Auswahl. Selbst die Bayernpartei wurde zur politischen Kraft, gemessen an ihrer eigentlichen Klientel, und Tierschützer zur politischen Bewegung. Es sind Protestwähler, denen die AfD unheimlich ist oder unheimlich gemacht wurde.

Die FDP konnte ihre Chance nicht nutzen, weil sie sie nicht nutzen will. Wer Opposition eher als wahlweise Anpassung an den Einen oder die Andere betreibt, entwickelt kein Profil. „Die Musik hat nicht bei uns gespielt“, sagt da Christian Lindner. Stimmt. Wer hat die Noten ausgewählt?

Die weitere Sensation ist Österreich.

Dass Sebastian Kurz mit seiner ÖVP so massiv dazu gewinnt, die FPÖ trotz Strache so mäßig verliert, ist doch sehr überraschend. Vor allem, weil die SPÖ nicht dazu zu gewinnen scheint. Es hat sich nicht gelohnt, sich auf dieses seltsame Video zu verlassen. Offensichtlich sind die Österreicher trotzig. Dazu fällt mit nur ein Vergleich ein: So, wie Russland die Eigenständigkeit der Ukraine einfach nicht akzeptieren kann, so wenig kann Deutschland es ausstehen, wenn das Bundesland Nr. 17 anders wählt als die hiesigen Eliten es für Österreich für richtig halten.

Mit der EU-Wahl hat das alles wenig zu tun. Warum auch?

Ob ein paar CDUler oder SPDler mehr oder weniger in diesem Parlament vertreten sind, ist grad gleichgültig, außer für die betreffenden Spesenritter. Von den 751 Abgeordneten kommen 96 aus Deutschland. Ob ein paar CDUler mehr oder weniger drin sitzen, die AfD ein paar Sitze gewinnt oder nicht und wie weit die SPD abstürzt, ist damit belanglos. Die Wahl entscheidet nichts. Kein Schicksal, nirgendwo. Das Parlament ist überflüssig wie ein Kropf, bloß teurer. Wer was wählt in Malta und Zypern, in Griechenland oder in Frankreich – was weiß man schon davon? Das Parlament ist so unübersichtlich, so wenig klar in seinen Linien und verdient den Begriff Parlament ohnehin nicht.

Ab Montag wird EU-Europa sowieso wieder auf die Seite gelegt, das Drama endet, die Plakate werden abgerissen – nur die Spaltung bleibt. Und die deutsche Innenpolitik. Sie bewegt sich, endlich. Wenn jetzt nicht alle wieder zu Kreuze kriechen. Für die SPD jedenfalls wird es eng in der GroKo, und für die CDU mit Merkel.

Daher stellt sich der CDU die Frage: Ist es nicht besser, jetzt einen Nachfolger für Merkel zu bestellen? Seine oder ihre Aufgabe wäre es, nach dem dann möglichen Ausscheiden der SPD eine neue Regierung zu bilden.

Rein rechnerisch könnte es dann doch zu Jamaika kommen, der Koalition mit FDP und Grünen. Aber die Grünen würden viel fordern, weit mehr Minister als die FDP – denn sie haben zwar wenige Abgeordnete, aber nach einer vorgezogenen Neuwahl des Bundestags könnten es doppelt so viele sein. Das weckt Begehrlichkeiten.

Kommt es zu einer Übergangs-­Minderheitsregierung? Die Wahl für Straßburg und Brüssel könnte Berlin aus seiner Lethargie des „Weiter so“ wecken.

 

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