Tichys Einblick
Demonstration in Erding

Sie zielen auf die Grünen – aber es trifft die FDP

Gegen die Grünen haben in Erding weit über 10.000 Menschen demonstriert. Treffen tut das aber vor allem die FDP. Die Liberalen haben sich diesen Koalitionspartner ans Bein gebunden - und drohen mit ihm unterzugehen.

IMAGO/Smith
Die beste Sprachregelung der FDP ist, dass sie das Schlimmste in der Ampel verhindere. Mit dieser Sprachregelung versuchten die Liberalen unter anderem die Verlängerung der Corona-Maßnahmen schön zu reden. In ihr steckt schon die liberale Erkenntnis, dass die Grünen eine antiliberale Politik betreiben, halt etwas Schlimmes, das die FDP aber mindere. Nur die entscheidende Frage kann die Partei Hans-Dietrich Genschers nicht beantworten: Warum soll jemand eine Partei wählen, die den Grünen zur Macht verhilft, wenn er erkannt hat, dass eben diese Grünen etwas Schlimmes sind?

Zusammen mit den Grünen rennt die FDP nun schon seit anderthalb Jahren in eine Politik, die eine bürgerlich-liberale Wählerschaft nur abstoßen kann: immer mehr Staat statt Markt, anlasslose Überwachung rechtstreuer Bürger im Internet oder Strafen für die falsche Ansprachen von Menschen, die eine oder mehrere Neudefinitionen ihres Geschlechts hinter sich haben. Um nur diese „Highlights“ zu nennen.

In der Heizungsfrage inszeniert die FDP nun Härte. Wie die Augsburger Allgemeine Zeitung berichtet hat, sollen Bürger von Vizekanzler Robert Habecks (Grüne) Heizungsverbot ausgenommen werden, wenn sie ans Fernwärme-Netz angeschlossen sind. Es lässt auf ein Comeback von: „Wir haben das Schlimmste verhindert“ schließen. Kein Zufall ist, dass diese Meldung vorab in der Augsburger Allgemeinen erscheint. Vieles lässt darauf schließen, dass die FDP den Inhalt des Kompromisses lanciert hat: Die FDP sympathisiert mit der bayerisch-schwäbischen Lokalzeitung, seit diese an Weihnachten Justizminister Marco Buschmann (FDP) als mutigen Freiheitskämpfer feierte. Parteien verfolgen zwei Zwecke, wenn sie Informationen vorab exklusiv an ein Medium geben: Sie halten sich dieses gewogen. Vor allem aber wissen sie, dass die Meldung so einen ihnen genehmen Dreh erhält. Das ist umso wichtiger in einer Medienlandschaft, in der die meisten Journalisten die Inhalte anderer nur noch unreflektiert übernehmen. Die FDP scheint also zu hoffen, dass der Fernwärme-Kompromiss in der Heizungsfrage zu ihrem Befreiungsschlag wird.

Nötig hätte sie diesen Befreiungsschlag, wie das Wochenende gezeigt hat. An diesem demonstrierten laut Polizei weit über 10.000 Menschen in Erding gegen die Grünen. Eine eindeutige Aussage gegen nur eine Partei, wie sie Deutschland seit langem nicht mehr gesehen hat. Doch das macht auch die Funktionäre in der FDP nervös. Zum Beispiel Konstantin Kuhle.

Kuhle packte gegen die Demonstranten in Erding das ganz große Besteck aus: „Es gibt keine Demokratie ohne Demokraten.“ Demokratische Parteien dürften „die Radikalisierung der bürgerlichen Mitte und ihre Entfremdung von den Institutionen der liberalen Demokratie“ nicht befördern und anheizen. Damit zielte Kuhle gegen CSU und Freie Wähler, traf aber seinen wahlkämpfenden Parteifreund Martin Hagen, der auch in Erding sprach. In Zeiten der Krisen hält die Hand halt nicht mehr so ruhig.

Wie sich Kuhle vor seinen Koalitionspartner stellt, zeigt nicht nur, wie sehr die Schicksale der beiden Mehrheitsbeschaffungsparteien miteinander verknüpft sind. Es zeugt auch von Kuhles fehlender Fähigkeit, Leute akzeptieren zu können, die der eigenen Politik kein gutes Zeugnis ausstellen. Und von der fehlenden Bereitschaft, einfach bessere Politik machen zu wollen. Stattdessen hat Kuhle schon die Ignoranz der Grünen übernommen, die aus jeder, wirklich jeder Kritik „Hass und Hetze“ oder noch Schlimmeres machen: Wenn einen die Bürger nicht gut finden, liegt das nicht an einem selbst, sondern an einer „Demokratie ohne Demokraten“, in der sich die bürgerliche Mitte radikalisiere und von den Institutionen entfremde. Das erspart einem selbst – wie angenehm – jegliche Selbstkritik. Etwa für das Ergebnis in Niedersachsen, wo es seit letztem Jahr einen Landtag ohne Freidemokraten gibt.

Gegen die Grünen haben die Leute in Erding demonstriert. Aber zuerst und härter treffen sie die FDP. Denn in der Menge von weit mehr als 10.000 Bürgern haben ihre potentiellen Wähler gestanden. Momentan allerdings eher ihre Ex-Wähler. Jene, für die Grüne das Schlimmste sind – und eben etwas, das die FDP nicht verhindert, sondern ermöglicht.

Ihre Wähler laufen der FDP in unterschiedliche Richtungen davon. Manche gehen nicht mehr zur Urne, andere überwinden die „Brandmauer“ zur AfD. Doch selbst unter denen, die diese „Brandmauer“ noch respektieren, tut sich etwas. In Bremen fusionieren die „Bürger in Wut“ nun wie erwartet mit dem Bündnis Deutschland. Damit sitzt die neue bürgerliche Partei, die sich erst im November gegründet hat, erstmals in Fraktionsstärke in einem deutschen Landesparlament.

Die Freien Wähler sind schon in zwei Landesparlamenten vertreten. Neben Bayern auch in Rheinland-Pfalz. Dort wäre die FDP 2021 fast trotz Rückenwind aus Berlin aus dem Landtag geflogen. Der Aufwärtstrend der Freien Wähler dort zog nicht nur die FDP fast in den Abgrund, sie brachte auch der CDU ihr historisch schlechtestes Ergebnis in Rheinland-Pfalz ein. Das bürgerliche Lager sortiert sich neu.

Die stärkste Fraktion der Freien Wähler sitzt im bayerischen Landtag, der im Herbst zur Neuwahl ansteht. Deren Chef Hubert Aiwanger war mit seiner klaren Positionierung gegen die Grünen der Held von Erding, während Hagen Robert Habeck verteidigen musste. Keine dankbare Aufgabe: Die FDP steht in den Umfragen bei fünf Prozent. Die Faustregel der letzten Wahlen lautet: Melden die Institute die FDP knapp über der Fünf-Prozent-Hürde, landet sie am Ende tatsächlich darunter. In der zu erwartenden Polarisierung zwischen bürgerlichem Lager und rot-grüner Politik braucht die FDP in Bayern mit – „Wir verhindern das Schlimmste“ – gar nicht erst anzutreten.

Im Osten hatte es bürgerliche Politik lange schwer. Ein Erbe der sozialistischen DDR. Brandenburg versteht es aber geschickt, die Anziehungskraft der Bundeshauptstadt auszunutzen – ebenso wie die Verwahrlosung von deren Verwaltung. Das Speckgürtel-Land feiert einen wirtschaftlichen Aufschwung. Damit blüht auch eine bürgerliche Bewegung in Brandenburg auf. Davon profitiert aber wieder nicht die FDP, sie steht bei kümmerlichen vier Prozent in den Umfragen. Sondern die BVB, die ebenfalls eng mit den Freien Wählern zusammenarbeitet. Es scheint in Deutschland ein Bedürfnis nach bürgerlichen Parteien zu geben. Aber kein Bedarf nach einer Partei, die das Schlimme ermöglicht und behauptet, das Schlimmste zu verhindern. Deren Funktionäre beleidigt reagieren wie Konstantin Kühle und die dann die enttäuschte Mitte unter Pauschalverdacht stellen – und ihr den Status der Demokraten absprechen. Um eine solche FDP ist es nicht schade. Geht sie mit den Grünen unter, gilt der alte Satz: Der Markt regelt das.

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