Tichys Einblick
Satyrspiel

Eine SPD zum Davonlaufen?

Der Oberbürgermeister von Freiberg hat sich aus der SPD zurückgezogen. In seiner Heimat will er das Notwendige für seine Stadt leisten. In seiner Partei fühlt er sich fremd. Viele in der CDU übrigens auch.

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Wenn der über Facebook publizierte Austritt aus der SPD des Freiberger Oberbürgermeisters Sven Krüger es sogar in die überregionalen Nachrichten schafft, dann zeigt das, wie angespannt die Lage in der SPD ist, wie sehr es in der Partei rumort. Krüger moniert, dass die versprochene Aufarbeitung der desaströs verlaufenen Bundestagswahl und ein „Neuanfang“ in der SPD nicht stattfinden. „Nichts von dem wird auch nur ansatzweise umgesetzt.“ Er kommt zu dem Fazit: „Schaut man diese Tage nach Berlin, drückt das Wort „Fremdschämen“ nicht einmal ansatzweise aus, was ich derzeit empfinde.“ Die SPD von Willy Brandt und Helmut Schmidt existiert seiner Ansicht nach nicht mehr.

Die GroKo in Berlin findet Krüger nur noch zum Lachen, während er der sächsischen Landesregierung attestiert, „einen gute Job“ zu machen, weil sie Probleme im Land anpackt.

Im Februar 2018 hatte der SPD-Oberbürgermeister einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge in Freiberg gefordert: „Die Aufnahme von Flüchtlingen muss sich nach der Integrationsfähigkeit der Städte und Gemeinden richten, und die ist in Freiberg schlicht und einfach nicht mehr vorhanden.“

Das erinnert an einen anderen Fall. Am 14. Oktober 2015 trat der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper aus der SPD aus wegen Differenzen mit der Landesvorsitzenden seiner Partei, Katrin Budde, die zugleich auch Spitzenkandidatin ihrer Partei war und sich eigentlich schon als Ministerpräsidentin in Sachsen-Anhalt sah. Der Magdeburger Oberbürgermeister hatte darauf hingewiesen, dass Magdeburg mit der Unterbringung der Flüchtlinge überfordert wäre. Die SPD erlitt in der Landtagswahl eine herbe Niederlage.

Auch wenn Sven Krüger den Auslöser für seinen Austritt in den Querelen der GroKo sieht und die Personalie Maaßen als Affront empfindet, so liegt die Entfremdung viel tiefer.

Partei ohne Bodenhaftung
Viel bleibt der SPD nicht mehr: Kein Stolz, keine Wähler und die Bürger vergrault
Diejenigen in der SPD, die im kommunalpolitischen Bereich tätig sind und mit den praktischen Problemen vor Ort umzugehen haben, werden in einen Spagat getrieben, den sie immer weniger zu meistern vermögen. Denn die SPD-Führung hat sich nicht nur von der sozialen Frage verabschiedet, ihre Flüchtlings- und Europapolitik widerspricht diametral den Interessen derjenigen, die zu großen Teilen bisher die SPD gewählt haben. Davor verschließt aber der Apparat der SPD, die Führungsebene der Partei die Augen. Ein Teil der Wähler wandert zu den Grünen, weil die SPD nicht mehr attraktiv ist, der weit größere Teil dürfte entweder nicht wählen oder zur AfD gehen, und das um so mehr, um so stärker die AfD ihr soziales Profil schärft.

Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn Bürgermeister den Bürgern nicht mehr erklären können, wofür ihre Partei steht.

Sven Krüger vermisst den großen Diskussionsprozess, der in einer Programmpartei wie der SPD dringend erforderlich ist. Bedingung dafür wäre allerdings, von Lebenslügen Abschied zu nehmen.

Ich habe einmal von historischer Paradoxialität gesprochen: wenn eine Partei oder Regierung auf der schiefen Ebene angelangt ist, dann wird sie ins Rutschen geraten – und alles, was sie unternimmt, wird diesen Prozess verstärken, selbst das, was sie richtig macht.

Die SPD nähert sich diesem Punkt. Die Causa Maaßen entwickelt sich vom bürgerlichen Heldendrama zum Satyrspiel einer Regierung, die nichts verbindet und die, wie es ausschaut, auch nur noch eins will, Regierung bleiben.

Das, was sich vor unseren Augen abspielt, ist an Irrsinn, nicht mehr zu überbieten. Ein Regierungssprecher behauptet, dass in Chemnitz Hetzjagden stattgefunden haben, die Bundeskanzlerin übernimmt diese Formulierung zum Schaden Deutschlands, zum Schaden Sachsens, zum Schaden der Stadt Chemnitz. Einige Medien nutzen diese Vorlage, um einen Kampagnejournalismus zu betreiben, den man nur aus Diktaturen kennt. Als Beweis diente eine kurze Video-Sequenz, die unklarer Herkunft ist und die auch nicht den Vorwurf der Hetzjagd belegt. Nicht nur der Sächsische Generalstaatsanwalt, nicht nur der sächsische Ministerpräsident dementieren diese Nachricht. Für die Medien, die sich in diese Kampagne hineingesteigert hatten, und für die Bundeskanzlerin bedeutete das eigentlich ein Desaster. Doch es kommt noch schlimmer. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sagt im Interview: „Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz werden von mir geteilt. Es liegen dem Verfassungsschutz keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben“ und macht auf die Fragwürdigkeit des Video als Beweis für die Hetzjagden aufmerksam.

Verdurstet doch
Wahrheit ist wie Wasser
Von diesem Moment an wird eine ungeheure Kampagne, wenn man so will, Hetzjagd auf einen fähigen Behördenleiter von Journalisten und Politikern entfesselt. Es geht ums Recht haben, es geht darum, dass niemand, schon gar nicht ein Beamter der Bundeskanzlerin und der Tagesschau widersprechen darf. Man spekuliert über Fehler, man versucht sogar ihn zu psychopathologisieren, man insinuiert fleißig, dass er ein heimlicher Förderer des AfD ist, ohne den wirklichen Beweis anzutreten, im Vertrauen darauf, dass schon etwas hängen bleiben wird. Der kleinste Radiomoderator erfindet noch einen Maaßen-Witz, denn auch er lechzt danach, sich an der Hetzjagd beteiligen zu dürfen.

Die SPD-Vorsitzender versteigt sich zu der Aussage: „Herr Maaßen muss gehen, und ich sage Euch, er wird gehen.“ Das war vermutlich der größte politische Fehler, den die Politikerin Andrea Nahles in ihrem ganzen Politikerleben getan hat, denn damit hat sie die Causa Maaßen, die eine Angelegenheit der beteiligten Medien und der Bundeskanzlerin war, zu einer Sache der SPD gemacht. Hat die Partei nichts Wichtigeres zu tun?

Als Sven Krüger seinen Post schrieb, in dem er seinen Austritt aus der SPD bekanntgab, wusste er noch nicht, dass Andrea Nahles nun noch einmal nachverhandeln will. Dass 290 „Kulturschaffende“ – übrigens ein Begriff, der im Dritten Reich und in der DDR Konjunktur erlebte – nun den Rücktritt des Innenministers Horst Seehofer fordern, soll vermutlich als Zeichen des Volkszorns oder des Kulturschaffendenzorns gelten.

Geht der „Offene Brief“ von Kulturschaffenden, die sich am Vormittage ihrer Apotheose wähnen, über das Wählervotum?

Frau Nahles schreibt in ihrem Brief: „Die Durchweg negativen Reaktionen aus der Bevölkerung zeigen, dass wir uns geirrt haben.“ Woher will sie das wissen? Von Umfragen, die man immer dann zur Hand hat, wenn man sie braucht. Inwieweit kann die „Bevölkerung“ die Fähigkeit und die Diensterfüllung eines Geheimdienstchefs beurteilen? Aus den Verlautbarungen der Medien? Hier schließt sich der Kreis.
Gilt Vernunft, gilt Rationalität, gilt Objektivität, gilt eine Verpflichtung zur Wahrheit hierzulande noch etwas?

Offenbarungseid
SPD und CDU geben sich selbst Note sechs, die Wähler auch
Möglich, dass Söders CSU, die ein Regierungsbündnis mit den Grünen bereits einzuplanen scheint, den Minister Seehofer aus der Regierung zurückberuft und einen anderen dafür entsendet, möglich, dass Hans-Georg Maaßen in den Ruhestand versetzt wird, doch wird das die Wogen nicht glätten. Eines ist sicher, das Land ist in Unruhe – und es wird unruhiger werden. Es geht um grundsätzliche Entscheidungen, wohin sich die Republik entwickelt. Einige halten sie für gefällt, viele hingegen für nicht.

Der Oberbürgermeister von Freiberg hat sich aus der SPD zurückgezogen. In seiner Heimat will er das Notwendige für seine Stadt leisten. In seiner Partei fühlt er sich fremd. Viele in der CDU übrigens auch.

Wie ihm gelingen wird, zum Wohle Freibergs zu wirken, hängt letztlich auch daran, was in Berlin entschieden wird.

„Seit heute gehöre ich keiner Partei mehr an. Künftig werde ich mich als parteiloser Oberbürgermeister um die Geschicke unserer Stadt kümmern.
Fast genau vor einem Jahr brachte die letzte Bundestagswahl für die SPD ein historisch schlechtes Wahlergebnis. Danach wurde viel diskutiert und vor allem ein Neuanfang versprochen. Mehr miteinander reden, mehr einbeziehen, mehr auf das hören, was die Menschen und die Mitglieder bewegt.

Leider muss ich feststellen, dass fast nichts von dem auch nur ansatzweise umgesetzt wurde. Schaut man diese Tage nach Berlin, drückt das Wort „Fremdschämen“ nicht einmal ansatzweise aus, was ich derzeit empfinde.
Ich bin seit fast 20 Jahren Mitglied der SPD und war lange stolz darauf, einer Partei von Helmut Schmidt und Willi Brandt anzugehören. Einer Partei, die oft Haltung bewiesen und sich für die Menschen in unserem Land eingesetzt hat. Wenn ich nun allerdings in mich hineinhöre, stelle ich für mich fest: Es gibt diese SPD nicht mehr! Deswegen habe ich mir die Frage gestellt: Ist es noch richtig, dieser Partei anzugehören?

Ich bin durch Zufall in die Politik gekommen, es war nicht mein Ziel, es hat sich so gefügt. Ich bin sehr glücklich mit meiner Aufgabe und den Herausforderungen als Oberbürgermeister der schönen und traditionsreichen Universitätsstadt Freiberg. Politik für die Menschen unserer Stadt zu machen und nur Dinge zu tun, von denen man wirklich überzeugt ist – das ist mein Anspruch. Daran hat sich nichts geändert, seit ich vor fast 10 Jahren als Finanzbürgermeister in die Kommunalpolitik eingetreten bin. Und vielleicht war auch das der Grund, weswegen mir die Freibergerinnen und Freiberger 2015 ihr Vertrauen zur Oberbürgermeisterwahl geschenkt haben.

Es fühlt sich für mich nicht mehr richtig an, dieser Partei anzugehören. Deswegen habe ich mich entschlossen, mit dem heutigen Tag aus der SPD auszutreten.“