Tichys Einblick
Eine denkwürdige Wahl in Thüringen

Bodo Ramelow im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt

Im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit ist Bodo Ramelow von der Linkspartei zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt worden. Er verweigerte dem gratulierenden Fraktionsvorsitzenden der AfD, Björn Höcke, den Handschlag.

Maja Hitij/Getty Images

Ein denkwürdiger Tag im Landtag von Erfurt. Wie zu erwarten wurde Bodo Ramelow von der Linkspartei im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit von 42 von 85 abgegebenen Stimmen gewählt. Aufsehen erregte er, als er dem Thüringer Landeschef und Fraktionschef Björn Höcke, der ihm zur Gratulation die Hand reichte, den Handschlag verweigerte. Er unterhielt sich daraufhin allerdings länger mit ihm als mit allen anderen Gratulanten. In seiner ersten Rede vor dem Landtag ging Ramelow darauf ein: „Ich habe Herrn Höcke eben nicht die Hand gegeben, das kann man als ungehobelte Manieren betrachten… Wenn ich deutlich vernehmen kann, dass die Demokratie im Vordergrund steht, bin ich bereit, auch Ihnen, Herr Höcke, die Hand zu geben.“

Der denkwürdige Ablauf der drei Wahlgänge in chronologischer Erzählung:

Phönix und MDR übertragen live, diverse Internet-Kanäle sind ebenfalls mit dabei zur Wahl in Thüringen, wenn Bodo Ramelow im dritten Wahlgang seine rot-rot-grüne Minderheitenregierung als neuer Ministerpräsident anstrebt. Die Wahl bleibt weiter geheim. Also irgendwie.

Einziger verbliebener Gegenkandidat ist der Thüringer Fraktionsvorsitzende Björn Höcke für die AfD.

Demokratie pervers könnte man sagen, wenn die FDP zunächst überlegt, den Saal zur Wahl zu verlassen, um nicht in Verdacht zu geraten, falsch gewählt zu haben. Pervers, wenn der Linke Ramelow kurz vor der Wahl den CDU-Abgeordneten empfiehlt, sich zu enthalten, die allerdings aus Berlin schon die Weisung bekommen hatten, weder rechts noch links zu wählen.

Die Landtagspräsidentin der Linken erinnert zuvor an die Morde von Hanau. „Große Scham im 75. Jahr der Befreiung vom Nationalsozialismus.“ Hanau wäre eine Schande für unsere Gesellschaft. Es ginge jetzt darum, gegen Rechtsextremismus zusammenzustehen. Der gesamte Landtag erhebt sich zum Gedenken.

Sicher kein Platz jetzt daran zu denken, das LINKE-Chef Bernd Riexinger gerade ein Prozent der Reichen zur Zwangsarbeit verpflichten wollte als Ersatz für Erschießungen, die eine Parteigenossin auf einer Veranstaltung mit Riexinger gefordert hatte „nach der Revolution“. Aber ganz sicher ein echter Dorn auch im Fleisch dieser viel beachteten AfD-Verhinderungswahl.

Der ausgeschiedene Fraktionsvorsitzende der CDU bekommt Dank des Hauses, sein Nachfolger wird begrüßt.

Dann Showdown Ramelow gegen Höcke.

Demokratie heißt heute: Die FDP nimmt an der Wahl nicht teil, die vier Abgeordneten (eine hat sich krank gemeldet) bleiben aber im Raum. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen diskutieren die Moderatoren noch, ob das verfassungsrechtlich erlaubt sei, ist es aber wohl: „Niemand kann gezwungen werden.“

So richtig spannend ist das alles nicht. Eher traurig für die Thüringer Wähler. Spannend wird allerdings, ob im dritten Wahlgang die AfD den linken Ramelow wählt und ihn damit vor die Wahl stellt, diese Stimmen mitzunehmen oder endgültig aufzustecken und Neuwahlen anzustreben.

46 Stimmen sind Pflicht für den ersten Wahlgang, dasselbe gilt für den zweiten Wahlgang. Im dritten reicht die einfache Mehrheit.

Landtagspräsidentin Keller erläutert noch mal die Möglichkeiten für die Abgeordneten auf ihrem Wahlzettel: Ramelow, Höcke oder Enthaltung.

Sie nennen es Stabilitätsabkommen und Stabilitätsmechanismus, wenn die CDU die Wahl der Minderheitenregierung Ramelows duldet. Dann irgendwann soll es Neuwahlen Ende April geben.

Die Wahl beginnt – immer drei Abgeordnete werden einzeln aufgerufen, erhalten ihren Wahlzettel und wählen in provisorischen Kabinen, bevor sie ihre Zettel einwerfen. Links im Saal an einer der großen Fensterfronten wurde der Presse Platz eingeräumt.

Michael Brenner, Verfassungsrechtler der Universität Jena befindet die Wahl nach wie vor als geheim, jenseits eines wahrscheinlich Wahlverhaltens. Aber da muss er selbst ein bisschen schmunzeln in die MDR Kameras.

Ein junger Thüringer wird auf der Straße interviewt und meint, die sollen jetzt mal geraderücken, was sie verbockt haben. So geht also Demokratie aus dem Blickwinkel der jungen Generation, wenn die CDU nicht den Linken-Kandidaten wählen mag.

Der erste Wahlgang ist gezählt. 85 Stimmen. 21 Enthaltungen. Für Ramelow stimmten 42 Abgeordnete. Für Höcke 22 Stimmen.

Keine Überraschungen, jeder hat seine Stimmen bekommen. 21 CDU-Stimmen, 21 Enthaltungen. Kein Gewinner nach § 47 der Geschäftsordnung. Eine Auszeit auf Antrag der Linkspartei von 30 Minuten wird beantragt und bewilligt.

Aber was sollte da jetzt noch zu besprechen sein, außer ein Zigarettchen zu schmoken? Das war bei der Wahl zuvor noch ganz anders, wo eben auf den Gängen und hinter den Türen die Abwahl bzw. die Nichtwahl Ramelows verhandelt wurde.

Die beiden Vorschläge werden aufrecht erhalten, bestätigen die Fraktionen der Linkspartei und der AfD zunächst, neue Bewerber sind keine da, also Durchgang zwei: Ramelow, Höcke oder Enthaltung. Die Abgeordneten werden übrigens alphabetisch zur Wahl aufgerufen.

Während im zweiten Gang abgestimmt wird, überlegen die Fachleute im Studio des MDR, ob eine Bekanntgabe der Stimmabgabe nach Wahl via soziale Medien denn die geheime Wahl an sich gefährden würde, aber auch das ist nicht der Fall, erfährt der Zuschauer.

Zeit vielleicht, kurz drüber nachzudenken, wie verfassungspolitisch bedenklich das eigentlich ist, wenn sich eine Fraktion in einem Landtag weigert, einen Ministerpräsidenten (MP) zu wählen, was doch eine der ersten Aufgaben dieser gewählten Abgeordneten in einer Demokratie ist, wie soll es sonst gehen, wenn der MP nicht direkt vom Volk bestimmt wird?

Bodo Ramelow gibt gerade zum fünften Mal seine Stimme ab. Psychologisch für die möglicherweise kommende Arbeit als MP interessant, denn wie mag sich das anfühlen, wenn man sich fünf Mal hintereinander selbst wählen muss und sogar noch ein sechstes mal, bis es klappt?

Ausgezählt wird von Mitarbeitern der Landtagsverwaltung unter den Augen einiger Abgeordneten. Im Saal auch Presseleute aus Europa und den USA. Mal sehen, ob es einem Abgeordneten langweilig wurde oder ob das Ergebnis identisch ist zum ersten Durchgang.

15:23 Uhr: Alles also wie gehabt, verkündet die Landtagspräsidentin. Es kommt also zum dritten Wahlgang. Aber jetzt beantragt die AfD-Fraktion eine Zigarettenpause von 30 Minuten.

Jetzt also Durchgang drei. Warten auf die einfache Mehrheit. Ramelow bleibt im Rennen, Höcke zieht zurück. Damit ist das einzige Problem auf dem Tisch, dass noch als AfD-Trumpf möglich war, wenn Ramelow nicht mitgewählt werden sollte, nämlich die Frage, ob ein Kandidat eine einfache Mehrheit der Stimmen erlangen kann. So ist die Wahl Ramelows gesichert, aber strittig, weil es tatsächlich eine Auslegungssache ist, was rechtens ist, eine Ja-Stimme oder ob es mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen sein müssen. Würde die AfD anschließend klagen, dann müsste der Thüringer Verfassungsgerichtshof noch ran.

Das Zitronengesicht von Ramelow als Höcke zurückzieht, sagt eigentlich alles, er hätte sich hier Höcke tatsächlich lieber an seine Seite gewünscht.

Der neue Wahlzettel nennt Bodo Ramelow, Ja, Nein oder Enthaltung. Sobald nur ein Kandidat zu wählen ist, besteht also das Problem der Nein-Stimmen. Die Lösung wäre angesichts fehlender Gegenkandidaten das Weglassen der Nein-Option gewesen, aber auch hier hätte das Verfassungsgericht später anderer Auffassung sein können.

Nun bleibt die FDP aber auch hier sitzen und wählt nicht mit. Interssanterweise könnte es diese Entscheidung sein, die am Ende Ramelow auch verfassungsfest machen könnte. Ist das jetzt der endgültige, der finale Kniefall der Freidemokraten? oder wird die CDU jetzt ihre Enthaltungsstrategie fallen lassen?

Die Luft ist raus, wenn nur genug Enthaltungen da sind, dann hat das Verfassungsgericht in Weimar nichts zu tun. Es wird also erneut ausgezählt. Man darf sich in dieser letzten kleinen Pause mit Blick auf die ausländischen Pressekollegen fragen, wie diese das alles ihren Zuschauern und Lesern erklären wollen, was hierzulande schon kaum zu verstehen ist.

Ergebnis also kurz und schmerzlos: Bodo Ramelow bekommt 42 Ja-Stimmen, ausgezählt sind weiterhin 23 Nein-Stimmen bei 20 Enthaltungen. Ramelow nimmt die Wahl zum Ministerpräsidenten an. Er bleibt dabei sitzen.