Tichys Einblick
Politiktheater

Rekordsteuereinnahmen, Rekordabgaben, Rekordverschuldung – und Habeck will noch höhere Steuern

Politik oder Posse? Ein Briefwechsel ist aufgetaucht, der einen Streit in der Ampel offenbart. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) fordert höhere Steuern, Finanzminister Christian Lindner (FDP) besteht auf Haushaltsdisziplin. Wer kann Habeck stoppen?

IMAGO / Fotostand

Wenn Menschen anfangen, sich schriftlich zu unterhalten, ist ihre Kommunikation bereits gestört. Wer im Büro arbeitet, kennt das: Erst seufzt die Kollegin passiv-aggressiv, wenn sie wieder mal die Spülmaschine einräumen muss. Am nächsten Tag hängt dann über der Maschine ein Zettel: „Das Geschirr gehört in die Maschine und nicht darauf!“

Ähnlich passiv-aggressiv gehen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) miteinander um. Auch sie verkehren in Briefform miteinander und sprechen sich dabei mit „Sehr geehrter Herr Kollege“ an. Das klingt ein wenig nach Loriots berühmten „Herr Müller-Lüdenscheidt“ und „die Ente bleibt draußen“; ist ähnlich lustig, läuft aber nicht annähernd auf Loriots Niveau ab.

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Um es kurz zu machen: Der Grüne Habeck weigert sich, die „Schuldenbremse“ anzuerkennen, fordert höhere Steuern und ärgert sich über Lindner, der Steuererleichterungen versprochen hat. Der Liberale Lindner hält dagegen, dass die Schuldenbremse im Grundgesetz stehe, die Ampel den Haushalt so beschlossen habe, wie er ist und jetzt für Solidität stehen müsse.

Das eigentlich Spannende an diesem Briefwechsel findet sich in den Details: Wenn man den Angaben Habecks und Lindners glaubt, dann stammt der erste Brief vom Dienstag, die Antwort vom Mittwoch und Donnerstag, veröffentlicht das alles ein Journalist, dem der vertrauliche Briefwechsel der „Sehr geehrten Herrn Kollegen“ zugespielt wurde. Das eskalierte schnell. Ob der Zuschauer dieses Berliner Dramas wirklich einer echten politischen Debatte beiwohnt oder nicht doch eher einer Hanswurstiade im Stile des 16. Jahrhunderts bleibt aber offen.

Manchmal sagen Zahlen mehr als Worte: Fünf Mal haben Deutsche seit der Bundestagswahl ihre Landtage gewählt; zwei Mal flog die FDP aus der Regierung, zwei Mal aus dem Landtag und einmal blieb sie, wo sie schon vorher war – nämlich draußen. Um dann doch noch nach Worten zu suchen, die Lindners Lage beschreiben und die den komplexen Vorgang hinter dem Briefwechsel vereinfachen: Die FDP ist erledigt.

Dafür lassen sich viele Gründe nennen: Die Art, wie die FDP rot-grünen Themen hinterherläuft und die Beschlüsse dazu mitträgt. Die Verantwortungslosigkeit, in der die FDP rot-grüne Wirtschaftspolitik akzeptiert. Oder die Konzeptionslosigkeit, mit der die FDP dem drohenden Wohlstandsverlust Deutschlands gegenübersteht. Von der Sympathieträgerin der Partei, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, gar nicht zu sprechen. Doch um diesen Strauß an Gründen geht es hier nicht. An dieser Stelle soll etwas ausführlicher die Rede von dem strategischen Dilemma sein, in das der oberste Liberale Lindner seine Partei gebracht hat.

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Die FDP hat sich traditionell in Regierungen das Außen- und das Wirtschaftsministerium gesichert. Mit Politikern wie Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Martin Bangemann, Jürgen Möllemann, Otto Graf Lambsdorff, Rainer Brüderle oder Guido Westerwelle konnte sie in diesen Ämtern punkten. Sie hatten ihre Schwächen, ihre Niederlagen und sogar ihre großen Fehler – aber sie verstanden es doch, die FDP aus Tiefen und zu guten Wahlergebnissen zu führen.

Christian Lindner hat sich für das Finanzministerium entschieden. Außen und Wirtschaft gingen an die Grünen. Das Finanzministerium hat einen großen Vorteil, es ist ein „Querschnittsministerium“. Das heißt: Seine Entscheidungen wirken sich auf alle anderen Ministerien aus, wirken in alle anderen Ministerien rein. Allerdings hat das Finanzministerium einen großen Nachteil: Kein Mensch interessiert sich dafür. Wenn’s gut läuft. Dann verkündet der Minister einen ausgeglichenen Haushalt und der Wähler bekommt das so lange mit, wie es dauert, bis er zu Rosamunde Pilcher oder dem Dschungelcamp umgeschaltet hat.

In schlechten Zeiten fällt einem Minister das Finanzministerium auf die Füße: Das Land ist pleite und muss Leistungen einstellen. Der Staat ist pleite und muss seinen Bürgern noch tiefer in die Tasche greifen. Oder die Wähler fühlen sich verkohlt, weil der Minister einen Haushalt ohne Schulden verkündet und verspricht – aber das nur, weil er die Schulden in „Sondervermögen“ umgetauft hat. Womit sich der Kreis zu Christian Lindner schließt.

Lindner hat den Wählern nichts zu bieten außer dem ausgeglichenen Haushalt. Die einen kaufen ihm den nicht ab – die anderen interessieren sich nicht dafür. Der Mann steht so nackt da wie seine Partei am Wahlabend ab 18 Uhr. Also beginnt ein Dreitagebriefwechsel zwischen sehr geehrtem Herrn Kollege Lindner, sehr geehrtem Herrn Kollege Habeck und sehr geehrtem Herrn Kollege Journalist – und das Werk wird auf der Berliner Bühne aufgeführt.

Doch nichts spricht gegen ein gutes Theaterstück. Und in Deutschland überlebt auch schlechtes Theater – die Subventionen sind schließlich hoch genug. Also danken wir den Herren Lindner und Habeck. Applaus, Applaus. Aber nicht zu viel. Ein Vorhang reicht. Abtreten und damit eins klar ist: Die Ente bleibt draußen.

Bei soviel Drama darf aber nicht übersehen werden: Es geht um Geld, viel Geld. Trotz inflationsbedingter Rekordsteuereinnahmen, Rekordverschuldung, und rekordverdächtig hoher Sozialabgabenlast reicht das Geld der Steuerzahler immer noch nicht für Robert Habecks grüner Monstertransformation in eine Klimastaatswirtschaft. Ob Lindner steht?

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