Tichys Einblick
Was haben wir heute?

Dönerdämmerung

Wenn heute manche Gazette Peter Altmaier eine „moderate Tonlage“ Akif Çağatay Kılıç gegenüber bescheinigt, dann dürften das jene hierzulande, die nicht nach wenigen Minuten umgeschaltet haben, viel mehr als eine große unwürdige Kriecherei empfunden haben.

Snapshot ARD

Was dem einen sein Kater, ist dem anderen ein klarer Kopf – für beides ist Peter Altmaier verantwortlich. Der Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts traf gestern bei Anne Will auf den türkischen Sportminister Akif Kilic. Für den Kater sorgte die Erkenntnis, dass Integration wohl selbst für die Millionen hier in zweiter und dritter Generation lebenden Türken nicht so gelungen ist, wie sich das manch einer vorgestellt und erhofft hatte. Jedenfalls dann, wenn wahr sein sollte, das dieser türkische AKP-Minister stellvertretend auch für viele mit türkischen Wurzeln in Deutschland spricht. Und für den klaren Kopf sorgte die gleiche Erkenntnis. Immerhin das ist Anne Will – ganz unbeabsichtigt -gelungen aufzuzeigen.

Aber schnell weg von diesem auf so befremdliche Weise immer dann in die türkische Sprache wechselnden Ministers, wenn es beispielsweise darum ging, Unsinn zu erzählen über Deutschlands Geschichte und über die Demokratie in der Türkei unter Erdogan. Wenn nun heute manche Gazette Minister Altmaier eine „moderate Tonlage“ bescheinigen will, dann dürften das jene hierzulande, die nicht nach wenigen Minuten umgeschaltet haben, viel mehr als eine große unwürdige Kriecherei empfunden haben.

Wem die besondere Nähe Altmaiers zur Kanzlerin gegenwärtig ist, den gruselte dieser Offenbarungseid. Nein, dieser Altmaier wollte sich gegenüber Kilic nicht einmal „anmaßen“, ein Urteil darüber abzugeben, ob mit Erdogans sogenanntem Präsidialsystem der „Abschied von der Demokratie“ in der Türkei bevorstehe. Frei nach dem Motto: Wird schon alles nicht so schlimm da hinten in der Türkei, Hauptsache Erdogans Faustpfand Deniz Yücel kommt bald frei. Nein, hier wurden gar nicht mehr die Beziehungen unseres Landes zur Türkei verhandelt, die Meta-Ebene ist längst eine ganz andere: Die Beziehung zu den hier lebenden Türken steht zur Diskussion. Also ein innerdeutscher Diskurs.

Das alles war dann sogar einem Jan Böhmermann zu viel, der twitterte: „Wenn die offiziellen diplomatischen Gespräche zwischen Deutschland und der Türkei nur im Ansatz so ablaufen wie gerade bei #annewill wundert gar nichts mehr.“

Eines müssen wir aber ebenfalls konstatieren: Wenn es um Integration oder gar um Assimilation geht, haben wir Deutsche uns nicht mit Ruhm bekleckert. Wollten wir vielleicht auch gar nicht.

Wer in den letzten Jahrzehnten mit offenen Augen durchs Land gegangen ist, weiß um die schwer zu erobernden Herzen und ahnt den Zustand der deutschen Seele. Wer sich für den Moment in so eine türkische hier lebende Familie hineindenken mag, der würde möglicherweise auch damit hadern, die türkische Nationalität mal eben ganz abzulegen, um eine Art deutsche zweiter Klasse anzunehmen.

Wer ist wessen Geisel?
Von den Niederlanden lernen
Natürlich: Eine Wohlstandsumarmung und eine des üppigen Sozialsystems hat stattgefunden. Eine der Deutschstämmigen und Türkischstämmigen auf Augenhöhe jedenfalls nicht. Von beiden Seiten nicht. Und das gilt bis heute. Stellvertretend dafür mag die aktuelle Meldung stehen, dass sich jetzt ein paar Schützenvereine durchringen konnten, Menschen mit muslimischem Hintergrund aufzunehmen, was ihnen noch vor zwei Jahren nicht über die Lippen kam. Ironie der Geschichte, dass man nun künftig Muslime und Homosexuelle in einem Atemzug aktiv sogar in katholischen Schützenvereinen mitmachen lässt. Das jedenfalls hat die Vertreterversammlung des Bunds der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften in Leverkusen beschlossen.

Noch bitterer, dass hier offensichtlich ein erhoffter Deal die Grundlage des Einschwenkens ist: „Die historischen Schützen Europas würden gern von der Unesco ins immaterielle Weltkulturerbe aufgenommen werden. Bislang wurde dies verweigert, weil nicht jeder mitmachen darf.“ Erstaunlich allenfalls, dass bei diesem traditionellen Mummenschanz überhaupt ein Muslim oder ein Schwuler oder ein schwuler Muslim mitmachen will.

Was gab es noch? Ach ja, Schützenbruder Jens Spahn, Präsidiumsmitglied der CDU, immerhin bemüht sich um so etwas, wie Tacheles, wenn er gegenüber der heutigen Ausgabe der Rheinischen Post erklärt, dass die Idee der SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen, die Vorbereitungen für ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer einzuleiten, nach den Vorfällen in den Niederlanden „nur noch absurd“ sei.

Aber ob das alles etwas nutzt, wenn ein Bundesminister für besondere Aufgaben bei Anne Will in so einem merkwürdigen Karnevalskostüm der Deeskalation auftritt?