Tichys Einblick
Zum Tag der "Diversity"

Szenen aus dem kulturellen Bürgerkrieg: Deutschland hasst sich

70 Prozent der Deutschen sagen, dass sich der soziale Zusammenhalt verschlechtert hat. Dabei gibt die Politik vor, sich nichts stärker zu wünschen als eben diesen. Doch es sind Volksvertreter wie der Bundespräsident, die ihn verderben, indem sie dem Land Hass auf sich selbst verschreiben.

IMAGO / Jochen Eckel

Rund um die Johannisnacht feierten die Humeser früher ihr „Dorf und Gaudifest“. Das denkwürdigste fand am 22. Juni 1986 statt. Deutschland spielte seinerzeit im Viertelfinale der Fußball-Weltmeisterschaft gegen Gastgeber Mexiko. Tief in der Nacht – etwa gegen 3 Uhr – kam es zum Elfmeterschießen. Toni Schumacher hielt zwei Elfer, die Deutschen trafen viermal und zogen ins Halbfinale ein. Jeden deutschen Erfolgsmoment begleiteten laute Freudenschreie vom Festgelände aus. Der Fußball schweißte mitten in der Nacht ein Dorf zusammen. 20 Jahre vor der Erfindung der „Fanmeile“.

Diese verbindende Wirkung hatte Fußball immer wieder. Viele Zeitzeugen berichteten, dass das „Wunder von Bern“ 1954 für sie das erste Mal gewesen sei, wieder Stolz auf ihr Land empfunden zu haben – nach dem Krieg und nach dem Menschheitsverbrechen der Shoa. In ostdeutschen Gefängnissen sollten die politisch Inhaftierten das Finale schauen. Die Wärter rechneten fest mit einem Sieg des kommunistischen Ungarns. Als es anders kam, konnten sie das Absingen der Nationalhymne nur unter drastischen Strafen unterbinden.

24 Milliarden Gründe für Zensur
Auf dem Flohmarkt findet der Kampf gegen Woke statt
Wo immer Menschen in Gemeinschaften zusammenleben, brauchen sie beides: zusammenschweißende Momente und gemeinsame Symbole. Die Geschichte ist voll mit Beispielen dafür – und es gibt dafür kaum ein Gegenbeispiel. Das deutsche Symbol ist die schwarz-rot-goldene Fahne. Sie steht für die erfolgreichen Momente der Demokratie in Deutschland – auch für die ehrenwerten, aber gescheiterten Versuche auf dem Weg dorthin. Letztlich waren es Briten und Amerikaner, die Demokratie mit Waffengewalt nach Deutschland bringen mussten. Erst die Ostdeutschen haben mit der Friedlichen Revolution dafür gesorgt, dass in ganz Deutschland Einigkeit und Recht und Freiheit gelten. Die Werte, für die Schwarz-Rot-Gold steht und die wir in der Nationalhymne besingen.

Doch hinter Schwarz-Rot-Gold steht nicht mehr das ganze Land. Als zum Beispiel 2019 in Dresden für „Solidarität statt Ausgrenzung“ demonstriert wurde, erklärten die Veranstalter die Fahne für unerwünscht. Als sich in Liverpool die europäischen Nationen zum Liederwettstreit ESC trafen, ließen sich 25 Teilnehmer des Finales mit ihren jeweiligen Fahnen fotografieren. Nur Deutschland scherte aus. „Lord of the Lost“ posierten stattdessen mit einer Art Regenbogenfahne.

Eine, die in Richtung „One Love“-Fahne ging, die wir kennen, seitdem die Nationalmannschaft in Katar demonstrierte, dass sie in ihrem Kampf für die Werte der Regenbogenfahne zu allem entschlossen ist – außer einen Preis zu zahlen, der einen Cent über Gratismut liegt. Die gleiche Nationalmannschaft hatte zuvor das „National“ aus ihrem Namen gestrichen. Angeblich der Werte wegen. Als der neue Name aber weniger Geld in der Vermarktung einbrachte, zogen die Verantwortlichen ihn zurück und zeigten, welchen Werten sie wirklich verpflichtet sind.

Folge der Politik Angela Merkels
Alte sind in Deutschland stärker von Armut bedroht als in anderen EU-Ländern
Die Regenbogenfahne haben Aktivisten dieses Jahr zum „Diversity Tag“ vor dem Reichstag ausgerollt. Diversity heißt Vielfalt, auf Deutsch scheint der Begriff den Machern aber zu einfältig zu sein. Die Handwerkskammer Stuttgart, der Industrieverband BDI und andere Politaktivisten zeigten sich an diesem Diversity-Tag ebenfalls in der neuen Vielfalts-Einheit. Während Schwarz-Rot-Gold auf Demonstrationen verboten werden kann, mag man sich kaum den Aufschrei vorstellen, der durch das politisch-mediale Deutschland ginge, würde die Regenbogenfahne verboten.

Dieses politisch-mediale Deutschland ist es, das die Regenbogenfahne verordnet. Wie viele sich tatsächlich hinter ihr versammeln können oder wollen, ist fraglich. Nimmt man die Statistiken, sind etwa zehn Prozent der Menschen homosexuell und zwei Prozent divers. Nimmt man ihre Präsenz in den Medien, müsste die Zahl bei 98,7 Prozent liegen – oder deutlich drüber. Es ist eine verordnete Bewegung. Keine, die von Massen getragen wird.

Kaum ein Wort haben Politiker und Journalisten in den vergangenen Jahren derart überstrapaziert wie Solidarität. Kein Wort haben Politiker und Journalisten in den vergangenen Jahren derart überstrapaziert wie „gesellschaftlicher Zusammenhalt“. Der oberste Priester des „gesellschaftlichen Zusammenhalts“-Kult ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD). Würde Steven Spielberg Steinmeiers Amtszeit verfilmen, könnte der Titel lauten: „Apparatschik Jones auf der Suche nach dem verlorenen Zusammenhalt“.

In Chemnitz zeigte Steinmeier, wie er sich Zusammenhalt vorstellt. Dort unterstützte er ein Konzert für Solidarität, Toleranz und gegen Hass. Es spielte die Band Feine Sahne Fischfilet und sang auf der Bühne von Polizisten und Journalisten, denen sie das Gesicht zertrümmern wollten. In der Konsequenz kam eine Gemeinschaft zusammen, die sich unter dem Schlagwort der Toleranz vereinte und als Zeichen dieser Vereinigung Gewalt gegen Polizisten und Journalisten pries. Wer diesem Paradox nicht folgte, war Rechts und es wurde zur Staatsräson ihn bekämpfen und aus der Gemeinschaft ausschließen zu wollen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt, den Steinmeier beschwört, bedeutet nur, dass sich alle in eine Welt einreihen sollen, wie er sie sich vorstellt – inklusive Feine Sahne Fischfilet.

Das funktioniert nicht. Eine Gesellschaft, die die Symbole aller in Frage stellt. Eine Gesellschaft, die gezwungen werden soll, ihre Symbole durch die Symbole einer Minderheit zu ersetzen. Eine solche Gesellschaft kann nicht funktionieren. Sie jubelt, wenn ihre „Nationalmannschaft“ in der ersten Runde der Weltmeisterschaft ausscheidet. Sie freut sich darüber, wenn sich ihr Beitrag bei einem Liederwettbewerb auf dem letzten Platz blamiert.

Das ist mehr als ein Gefühl, wie Forsa im Auftrag der DAK-Gesundheit herausgefunden hat. Nach einer repräsentativen Umfrage sind 61 Prozent der Deutschen der Meinung, dass „das soziale Miteinander in Deutschland eher schlecht oder sehr schlecht“ ist. 70 Prozent der Deutschen sind demnach der Meinung, dass soziale Miteinander habe in den vergangenen drei Jahren gelitten. Trotz der Beschwörungen der Politik, allen voran des Bundespräsidenten. Oder vielleicht auch gerade deswegen. Weil es zu den größten Errungenschaften der deutschen Demokratie gehört, dass 17 Millionen Menschen 1989 erkannt haben, dass ein gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht erstrebenswert ist, wenn damit die Vorstellung gemeint ist, dass sich alle hinter den Ideen der jeweils Mächtigen vereinen sollen.

An den Taten sollt ihr sie erkennen, fordert Jesus von Nazareth in seiner Bergpredigt. Der Zeitraum von drei Jahren, den die Forsa-Umfrage auswählt, ist alles andere als willkürlich. In diesen drei Jahren hat in Deutschland eine staatlich organisierte Ausgrenzungs-Kampagne stattgefunden, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Ungeimpfte sollen eingesperrt, entlassen, ausgesperrt, des Führerscheins enthoben werden und so weiter. Die sadistische Phantasie deutscher Mächtiger und ihrer Stichwortgeber in den Medien bahnte sich einen Weg, wie er 70 Jahre nicht mehr gesehen worden war. Und trotzdem finden 70 Prozent, dass sich in der Zeit der Zusammenhalt verschlechtert hat? Trotz alledem sind 61 Prozent der Meinung, dass der Zusammenhalt hierzulande schlecht ist? Badauz. Eigentlich sollte es vor dem Hintergrund eher erstaunen, dass ihn 39 Prozent noch als gut empfinden.

Besagter Jesus von Nazareth hat der Menschheit eine wichtige Lehre mitgegeben: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst!“ Aus diesem Satz nehmen viele nur mit, dass sie ihren Nächsten lieben sollen. Was ehrenwert ist – aber für das Zusammenleben nicht reicht. Man muss sich auch selbst lieben, sonst ist Jesus‘ Satz nichts wert. Wer sich selbst hasst und den anderen so liebt wie sich selbst, der hasst auch den anderen.

Deutschland hasst sich. Es befindet sich in einem kulturellen Bürgerkrieg. Erklärt haben diesen Krieg die, die so gerne vom gesellschaftlichen Zusammenhalt reden. Die wissen, dass sie die Mehrheit nicht hinter sich haben und daher die Mehrheit hinter sich zwingen wollen. Die keinerlei Rücksicht darauf nehmen, was es für ein Land bedeutet, wenn eine Mehrheit sich nicht ein Weltbild aufzwingen lassen will – und sei es mit noch so noblen Vokabeln geschildert.

Im vergangenen Jahr hat zum Diversity-Tag die Regenbogenflagge auf dem Reichstag geweht. Auch so ein Symbol für die deutsche Demokratie. Für ihren Sieg letztlich ebenso wie für den beschwerlichen und oft unerfreulichen Weg dorthin. Dieses Jahr weht sie nicht auf dem Reichstag. Das kann vielerlei bedeuten: Bürokratische Schusseligkeit ist in Deutschland nie ganz auszuschließen. Vielleicht ist es nur noch für abgehängte PR-Arbeiter wie denen des BDI und der Handwerkskammer Stuttgart eine Sensation, wenn irgendwo die Regenbogenfahne weht. Progressivere haben erkannt, dass es mittlerweile eher eine Nachricht ist, wenn sie eingeholt wird.

Am Ende hat aber vielleicht in der Politik ein Umdenken stattgefunden: Dass eine Nation Symbole braucht, um zusammenzuhalten. Und dass es kaum Symbole sein können, die von einer Minderheit kommen, für eine Minderheit stehen und von einer Minderheit der Mehrheit aufgezwungen werden sollen. Schwarz-Rot-Gold ist eine gute Fahne, Einigkeit und Recht und Freiheit sind gute Werte. In einem Land, in dem sie gelten, ist es völlig ok, vor dem Reichstag die Regenbogenfahne auszurollen. Wir verteidigen auch ihre Freiheit. Vor dem Reichstag. Nicht drauf.

Um Einigkeit und Recht und Freiheit steht es schlecht: Die Einigkeit ist in der Pandemie staatlich befohlen angegriffen worden. Das Recht steht in Frage, wenn politisch Unliebsame neun Monate wegen Betrugs in Untersuchungshaft sitzen. Und die Freiheit ist in Gefahr, seit ein liberaler Justizminister mit einer sozialdemokratischen Innenministerin zusammenarbeitet, die zusammen die Beweislast umkehren und die digitalen Gespräche Unschuldiger ausspionieren wollen. Wenn wir uns alle hinter dem Ziel zusammenfinden, Einigkeit und Recht und Freiheit gegen solche Angriffe verteidigen zu wollen, dann klappt es vielleicht auch wieder mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Anzeige