Tichys Einblick
Zweijährige Untersuchungsphase

Digitaler Euro: Kritiker erwarten, dass Bargeld weitestgehend verschwinden wird

Die EZB hat am Mittwoch verkündet, eine 24-monatige Testphase zum digitalen Euro zu starten. Liberale Ökonomen warnen, dass dies den Abschied vom Bargeld bedeute – und damit zusätzliche Macht für den Staat.

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IMAGO / Christian Ohde

Der EZB-Rat hat am Mittwoch zugestimmt, einen Digitaleuro über zwei Jahre hinweg zu testen. In der Untersuchungsphase gehe es um „Schlüsselfragen des Design und der Distribution”, teilt die EZB mit. Ein digitaler Euro müsse die Bedürfnisse der Europäer erfüllen, illegale Aktivitäten verhindern und unerwünschte Auswirkungen auf die finanzielle Stabilität und Geldpolitik vermeiden. „Ein digitaler Euro würde Bargeld ergänzen, aber nicht ersetzen”, heißt es in einer Mitteilung.

Der E-Euro brächte eine große Neuerung mit sich: Erstmals hätten die Bürger Zugriff auf digitales Zentralbankgeld – bislang konnten sie Zentralbankgeld nur in Form von Münzen und Scheinen halten. Ein Kunde verfügt auf seinem Konto nur über sogenanntes Giralgeld, das die Geschäftsbanken per Kreditvergabe schöpfen. Sie operieren nämlich mit einer Teilreserve – das heißt, die Kreditvergabe ist nur zu einem Bruchteil mit realen Werten wie Wertpapieren oder Edelmetallen gedeckt. Dabei hält der Kunde im Fall des Giralgelds eine Verbindlichkeit gegen die Geschäftsbank, beim Bargeld und künftig beim E-Euro aber gegen die Zentralbank. Das soll der große Vorteil des Digitaleuro sein, wirbt EZB-Chefin Christine Lagarde. Bürger und Unternehmer sollen „im digitalen Zeitalter Zugang zur sichersten Form des Geldes, dem Zentralbankgeld, haben”. TE berichtete.

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Liberale Ökonomen sehen das kritisch. Sie sehen im Bargeld geprägte Freiheit. Und sie fürchten, dass ein digitaler Euro nur der erste Schritt in eine bargeldlose Gesellschaft sein könnte. „Es bleibt zu befürchten, dass Politik und Banken den digitalen Euro als Argument nutzen, um Bargeld zurückzudrängen. Dann wird gesagt: Jetzt habt ihr Zugang zu Zentralbankgeld und braucht das Bargeld nicht mehr”, sagt etwa Gerald Mann von der FOM Hochschule in München. Der VWL-Professor und sein Co-Autor Ulrich Horstmann warnten bereits im Jahr 2015 vor einem Bargeldverbot in einem gleichnamigen Buch. Den digitalen Euro sieht Mann mit gemischten Gefühlen: „Ich erwarte, dass zunehmend Anreize gegen Bargeld gesetzt werden – etwa Preisrabatte beim elektronischen Bezahlen im Supermarkt. Bargeld wird zumindest weitestgehend verschwinden.”

Gleichwohl sieht er auch Positives. Die Schaffung eines digitalen Zentralbankgelds, das für jedermann zugänglich sei, sei „technologisch und geldpolitisch folgerichtig”. Privatleute hätten eine bargeldlose Möglichkeit, Zentralbankgeld zu halten – das sei bislang nur Banken möglich gewesen. „Außerdem müssen die Notenbanken den Kryptowährungen etwas Eigenes entgegensetzen, um diese ungeliebte Konkurrenz nicht nur administrativ und regulativ zu bekämpfen, sondern auch durch ein vordergründig gleichartiges Angebot”, sagt der Professor.

Laut Mann gibt es keine klaren Bekenntnisse der Politik und der EZB zum Bargeld. „Würde Bargeld wirklich nachhaltig und umfassend befürwortet, müssten aktuelle Pläne der EU-Kommission, Bargeldzahlungen über 10.000 Euro zu verbieten, bei Notenbankern und Politikern einen Sturm der Entrüstung auslösen”, erklärt er. Mann erwartet, dass die Politiker und Notenbanker angesichts der rückläufigen Nutzung von Bargeld irgendwann „verbal umschalten” und Bargeld grundsätzlich infrage stellen – nach dem Motto, es brauche ja kaum noch jemand. „Dann werden sicher auch die klassischen Anti-Bargeldargumente wie Erleichterung von Steuerhinterziehung, Terrorismus, Schwarzarbeit, organisierter Kriminalität intensiv bemüht”, sagt der Professor.

Erst Mitte April kam es zum Bruch zwischen der EZB-Arbeitsgruppe European Retail Payments Board (ERPB) und dem ESTA. Der europäische Verband der Bargeldunternehmen verließ die Gruppe, die sich mit Zahlungsweisen im Einzelhandel auseinandersetzt, „als Reaktion auf die Unmöglichkeit, die Diskussion über eine Reihe von Hindernissen für die Akzeptanz von Bargeld zu fördern”, heißt es in einem ESTA-Bericht vom Juni. Es sei kaum zu erwarten, dass die Arbeitsgruppe sachgemäß das Bargeldthema angehe, da der Fokus der Mitglieder in großem Maß sei, “Bargeld loszuwerden”.

Die EZB erklärt indes, Bargeld nicht abschaffen zu wollen. Auf die Frage, ob es „bald” kein Bargeld mehr gebe, antwortet die EZB auf ihrer Internetseite mit einem entschiedenen „nein” und fährt fort: „Bargeld wird auf absehbare Zeit das gängigste Zahlungsmittel bleiben.” Gleichwohl spielte EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta am Mittwoch in einem Blogbeitrag mit dem Gedanken: „Unsere Experimente ergaben, dass die bestehende Infrastruktur (…) skaliert werden könnte, um die rund 300 Milliarden Einzelhandelstransaktionen pro Jahr im Euro-Raum abzuwickeln”, schreibt der Italiener über die Experimente zum E-Euro.

„Central Bank Digital Currency“
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Die EZB hat auch deswegen einen Anreiz, Bargeld zurückzudrängen, weil sie die Einlagenzinsen noch weiter ins Negative drücken könnte, erklärte der Ökonom Hans-Werner Sinn bereits im Jahr 2016. Damals betrugen die Einlagenzinsen, die Banken an die EZB zahlen mussten, um ihr Geld bei der Zentralbank zu parken, minus 0,3 Prozent. Würden die Zinsen weiter fallen, wäre es für die Banken günstiger, Bargeld in Tresoren einzulagern, erklärte Sinn. Ohne 500-Euro-Schein, den die EZB seit 2019 nicht mehr herausgibt, könnte der Einlagenzins hingegen auf minus 0,75 Prozent sinken. Das wäre für die Deutschen keineswegs angenehm, meinte Sinn, denn Deutschland sei das „Land der Sparer”.

Die Notenbank hat offenbar noch nicht entschieden, ob der E-Euro wie Bitcoin auf der Blockchain-Technologie basieren soll. Die Zentralbank teilt mit, dass das Eurosystem Target Instant Payment Settlement und die Blockchain fähig seien, 40.000 Transaktionen pro Sekunde abzuwickeln. Fabio Panetta schreibt, der E-Euro garantiere Privatsphäre gegen kommerzielle Nutzung der Daten und ungerechtfertigtes Eindringen. Eine transparente Governance-Struktur „würde gewährleisten, dass die Daten nur legitimen Behörden zugänglich sind”, schreibt er.

Gerald Mann hält dagegen: „Bei allen Beteuerungen, dass der Datenschutz beim elektronischen Zahlen zum Beispiel mit dem digitalen Euro gewahrt werde, ist doch eines klar: Der beste Datenschutz ist das Nichtentstehen von Daten. Und genau das bietet Bargeld.”

Er warnt vor der bargeldlosen Welt: Nicht nur könne die Politik den Bürger besser überwachen, steuern und besteuern, es sei auch ein Leichtes, Preiskontrollen einzuführen – etwa um die Inflation bei Lebensmittelpreisen im Zaum zu halten. Auch das Konsumverhalten von Privathaushalten lasse sich leicht überwachen, zum Beispiel hinsichtlich Gesundheit oder ökologischem Bewusstsein. „Ganz sicher gibt es politische Kräfte, denen das gefallen würde”, sagt er.

Derweil möchte die EZB erst in zwei Jahren entscheiden, ob sie einen digitalen Euro entwickeln wird. Die Entwicklung soll dann drei Jahr dauern. Frühestens käme der digitale Euro demzufolge also im Jahr 2026.