Tichys Einblick
Oder wieder nur heiße Luft?

Die Liberalen proben den Aufstand in der Ampelkoalition

Vier verlorene Wahlen, schlechte Stimmung an der Basis. FDP-Chef Christian Lindner steht mit dem Rücken zur Wand. Doch nun geht seine Partei in die Offensive - zumindest versucht sie es. Von unten.

Christian Lindner auf dem FDP-Landesparteitag NRW in Bielefeld, 22.01.2023

IMAGO / Sven Simon

Eine von vielen Niederlagen der FDP war bisher für jeden sichtbar, der einen Zug bestieg: Dort mussten und müssen die Menschen immer noch Masken aufziehen, während das in Flugzeugen nicht mehr nötig ist. Das war gleich im doppelten Sinn eine Niederlage für die FDP. Zum einen ließ sich mit den ungleichen Regeln für Zug und Flugzeug kaum noch das „Narrativ“ aufrechterhalten, die Corona-Maßnahmen beruhten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Zum anderen hatte Justizminister Marco Buschmann das Ende dieser Maßnahmen für den März versprochen – den März 2022. Dann hat er sich aber von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) über den Tisch ziehen lassen und dem faulen Kompromiss zugestimmt.

Nun endet die Maskenpflicht im öffentlichen Fernverkehr zum 2. Februar. Ein erster Erfolg in der Gegenoffensive der FDP. Aber er zeigt auch, wie klein diese Siege noch ausfallen. Das Datum zum Beispiel ist ein Beleg dafür, dass sich die Bundesregierung in der Corona-Politik längst von jeder Wissenschaftlichkeit verabschiedet hat. Es sei denn, Karl Lauterbach gräbt in seinem Weinkeller eine Studie aus, die belegt, dass der Virus am 1. Februar um 23.58 Uhr noch tödlich durch jeden ICE wütet, sich aber um Mitternacht so pünktlich zurückzieht wie ein Beamter in die Mittagspause.

In der Gegenoffensive der FDP ist das Ende der Maskenpflicht aber vorerst der einzige haptische Sieg. Der Rest der liberalen Mühen besteht bisher aus Forderungen sowie aus Protest gegen die Politik, die sie in der Ampel mittragen. Bisher klaglos. Etwa in der Migrationspolitik. Während immer mehr Bürgermeister und Landräte – auch aus den eigenen Reihen – klagten, der ungebremste Zustrom könne vor Ort nicht mehr bewältigt werden, erhöhte die Ampel die Anreize für Auswanderung nach Deutschland: höhere Sozialleistungen, niedrigere Hürden zum Zugang zu den Sozialleistungen ebenso wie zur Einwanderung selbst.

Nun sagt der bayerische FDP-Chef und Wahlkämpfer, Martin Hagen, in der Bild: „Deutschland braucht mehr legale Migration in den Arbeitsmarkt, aber deutlich weniger illegale Migration in den Sozialstaat.“ Noch vor wenigen Monaten galt das als AfD-Position und wurde von Innenministerium, Verfassungsschutz oder Facebook als „Hass und Hetze“ verfolgt. Asylverfahren müssten zügiger abgewickelt und Abschiebepflichtige konsequenter abgeschoben werden, fordert Hagen. Es gehe auch darum ein Zeichen ins Ausland zu senden und setzen, dass Deutschland nicht nach mehr unkontrolliertem Zustrom strebe – sondern mit dem bisherigen überfordert sei. Vor allem in den Kommunen.

Auch in der Energiepolitik möchte die FDP einen Richtungswechsel herbeireden: „Wir werden den Weg in die Deindustrialisierung nicht mitgehen.“ Das stellte der Hamburger Bundestagsabgeordnete Michael Kruse ebenfalls in der Bild klar. Was nötig war. Denn bisher ließ die FDP Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) machen, wie er wollte, selbst wenn der Kinderbuch-Autor bei Maischberger palaverte, die Unternehmen müssten nicht in die Insolvenz gehen, wenn sie rechtzeitig aufhören würden zu produzieren.

Nun hat die FDP öffentlich ein Gutachten angezweifelt, das Habeck vorgelegt hat. Es besagt, dass Atom-Aus, Schwarzkohle-Aus, Braunkohle-Aus und Gasverzicht die Versorgungssicherheit nicht gefährdeten. Und weil die Versorgungssicherheit nicht in Gefahr ist, kündigte der grüne Netz-Verantwortliche Klaus Müller fast zeitgleich in der FAZ an, dass der Strom bald rationiert werden könnte, um Engpässe zu vermeiden. Dieser brüchigen grünen Logik – samt verbalem Kleister, der diese „Logik“ zudecken soll – scheint die FDP zumindest nicht mehr so ganz folgen zu wollen.

„Eine Stromrationierung macht Deutschland zum energiepolitischen Entwicklungsland“; sagt Kruse in der Bild. Eine staatliche Strom-Planwirtschaft sei ein Albtraum, den er nicht erleben wolle. Allerdings zeigt das Thema Stromversorgung, dass die Probleme der FDP an ihrem Kopf beginnen: Während aus der Partei immer mehr Forderungen kommen, die Laufzeiten der letzten drei Atomkraftwerke zu verlängern, erklärte der Vorsitzende Christian Lindner, dass er dieses Ziel aufgegeben habe, weil es unrealistisch sei. Es passt, dass er sich damit anonym und nicht namentlich zitieren ließ. Jener Christian Lindner, der mal damit geworben hat, die FDP stünde für Mut.

Apropos nicht gehaltene Versprechen. Das Versprechen, das die FDP am häufigsten ab- und aufgegeben hat, sind Steuersenkungen. Lindner hat die Absicht nun erneuert. Unter vier Augen. Gegenüber einem Bild-Mitarbeiter. Auf dem Klo. Welch‘ hübsche Symbolik. Als was geht Lindners Versprechen künftig in die Geschichte ein? Als Scheißhausschwur? Von unten erhöhen Liberale den Druck und fordern eine neue FDP-Politik – doch ob Christian Lindner dabei der richtige Mann für oben ist, bleibt zu bezweifeln.

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