Tichys Einblick
Cremiger oder schlotziger Kartoffelsalat?

„Kartoffeln“ und Kartoffeln

Die Kartoffel ist eine ungerecht unterschätzte Knolle, findet Georg Etscheit. Obwohl die Deutschen eben nicht die kartoffelhungrigsten Europäer sind, empfindet er den Schmähnamen als Kompliment. Von aufgegessen.info

IMAGO / Panthermedia

Die Kartoffel ist ins Abseits geraten. Sie gilt als unansehnlich, kalorienmächtig, eher langweilig und insgesamt wenig zukunftsfähig, kurz gesagt eine Speise für ältere, weiße Schon-länger-hier-Lebende männlichen Geschlechts. Das kann man schon daran ablesen, dass „Kartoffeln“ ein Schimpfwort geworden ist für Deutsche, die offensichtlich die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben.

Wikipedia schreibt zutreffend, dass das Wort “Kartoffel“ als Stereotyp für Deutsche „in multikulturellen Zusammenhängen“ benutzt werde. Die Bezeichnung lasse sich auf das Vorurteil zurückführen, wonach Deutsche überdurchschnittlich viel und häufig Kartoffeln verzehrten. Doch wie das bei Vorurteilen so ist, entsprechen sie oft nicht der Realität. Tatsächlich liegt Deutschland, den Kartoffelkonsum pro Kopf und Jahr betreffend, im Mittelfeld der EU-Staaten, nach Polen, Rumänien, den Niederlanden, Belgien und Lettland erst an sechster Stelle mit 67,1 Kilogramm im Jahre 2020. Polen führt mit gut 100 Kilo.

Diese Tatsache wird auch von Feldbeobachtungen des Autors gestützt, wonach Kartoffeln hierzulande immer seltener auf den Tisch kommen und, wenn überhaupt, nicht mehr in der Urform der Pell- oder Salzkartoffel, sondern ganz überwiegend als Pommes Frites und Kartoffelchips verzehrt werden, wobei sie als Ausgangsprodukt von Pommes ihrerseits Konkurrenz von der Süßkartoffel bekommen, was wiederum die Annahme stützt, dass die Infantilisierung der Gesellschaft mit ihrem Hang zu den Geschmacksrichtungen süß und knusprig ungebremst fortschreitet.

Dass Kartoffeln eine urdeutsche Speise seien, ist ebenfalls unzutreffend, wie die meisten Stereotype und gewinnt auch dann nicht an Überzeugungskraft, wenn man die Schmähung als einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit sieht für das, was „Kümmeltürken“ und „Spaghettifresser“ von Seiten böser Wirtschaftswunderdeutschen in Sachen Diskriminierung zu erdulden hatten.

Im 18. Jahrhundert jedenfalls mussten die Bewohner deutscher Provinzen beinahe dazu geprügelt werden, Kartoffeln anzubauen, die zu dieser Zeit noch als exotische Zierpflanze galten. Erst Friedrich dem Großen gelang es, die nahrhafte und sättigende Speise südamerikanischen Ursprungs hierzulande als Volksnahrung zu etablieren. Schon bald wurde der Kartoffel in der Gastronomie indes eine hohe Wertschätzung zuteil. In Frankreich war es Auguste Parmentier, der die Vielseitigkeit der Knollen pries und Namensgeber des berühmten Hachis Parmentier wurde, eines schmackhaften Auflaufs aus Rinderhack und Kartoffelpüree, der sich in Deutschland außerhalb von Altenheimen leider nicht durchsetzen konnte.

Dass Kartoffeln eine Delikatesse sein können, ist Deutschen schwer zu vermitteln. Hier haben wieder einmal die Franzosen die Nase vorn. Als Königin aller Speisekartoffeln nämlich gilt die Bonnotte von der Insel Noirmoutier vor der französischen Atlantikküste. Jeden ersten Samstag im Mai werden dort die ersten Exemplare der extrem raren Spezialität geerntet. Das, was hierzulande, importiert aus Afrika oder Zypern, als Frühkartoffel grassiert, ist dagegen wirklich das, wofür die Bauern im 18. Jahrhundert die schrumpeligen Knollen hielten: Viehfutter.

Bonnottes gedeihen auf sehr leichten und sandigen Böden und werden mit Seetang gedüngt, den die Bauern auf ihren Feldern verteilen. Das soll ihnen einen „salzigen“ Geschmack verleihen, was ich persönlich nicht bestätigen kann. Sie werden einfach gebürstet und in Butter gebraten. Man kann dazu gegrillte Sardinen oder Challans-Hühnchen aus der Vendée essen oder gar nichts. Noch ein berühmtes französisches Kartoffelgericht: das Gratin dauphinois, wobei Scheiben festkochender Kartoffeln mit Sahne übergossen und mit Käse gratiniert werden. So einfach wie unwiderstehlich – als fleischlose Hauptspeise oder als Beilage.

In Deutschland gute Kartoffel zu bekommen, ist übrigens nicht mehr ganz so schwer wie noch vor zwanzig Jahren. Meine Lieblingssorten: Linda und Bamberger Hörnchen, beide festkochend und bestens geeignet für Kartoffelsalat, für den ich an dieser Stelle eine Lanze brechen möchte. Wobei Bamberger Hörnchen wegen ihrer verdrehten Form und zahlreicher „Augen“ leider etwas schwer zu pellen sind. Doch die Mühe lohnt sich.

In meiner Kindheit wurde ich immer zum Kindergeburtstag bei einem Klassenkameraden eingeladen, dessen Mutter aus dem Sudetenland stammte. Es gab Würstchen mit Kartoffelsalat, wobei dieser Salat eher die Konsistenz eines Breis hatte, was mich damals ein wenig ekelte. Denn meine aus dem Ruhrgebiet stammende Mutter bereitete ihren Kartoffelsalat mit Mayonnaise, was mir besser schmeckte. Im Westen und Norden Mayonnaise, im Osten und Süden Brühe, so zieht sich der Kartoffelsalat-Äquator durchs Land und scheidet cremig von schlotzig.

Heute ziehe ich den einst geschmähten Brei vor, weil mir ein Mayonnaisensalat zu mächtig ist. Außerdem lebe ich seit Jahrzehnten in Bayern, wo diese Zubereitungsart unbekannt ist. Hier übergießt man die noch warmen Kartoffeln mit Brühe und/oder einer Vinaigrette, damit er beim Herausheben einer Portion mit der Schöpfkelle einen schmatzigen Laut von sich gibt, daher wohl der Begriff schlotzig. Manchmal verwendet man in Süd- und Ostdeutschland auch halbfeste Kartoffeln, die im Zusammenspiel mit der warmen Flüssigkeit wirklich zu Kartoffelbrei zerfallen.

Wolfram Siebeck, den ich hier immer wieder gerne zitiere, weil er für eine gänzlich unideologische Kochkunst stand, präsentiert in seinem Kochbuch „Alle meine Rezepte“ eine mediterrane Variante, angereichert mit hart gekochtem Ei, Anchovisfilets, Kirschtomaten, Oliven und Feldsalat, überträufelt mit einer Vinaigrette aus bestem Olivenöl, Sherryessig, Senf und gehackten Schalotten. Wobei ich die Schalotten immer kurz andünsten oder blanchieren würde. Rohe Zwiebeln sind ein Graus.

Sogar der große Auguste Escoffier führt Kartoffelsalat in seinem Kochkunst Führer auf der Seite 685 unter der Rubrik „Einfache Salate“ auf und rezeptiert, neben der deutschen Variante, auch einen nach Pariser Art. „Man nimmt am besten dazu eine Art, die nicht zerbricht, wie die Vitelotte (festkochende, lilafarbige Urkartoffel, die Red.). In Salzwasser kochen, stopfenartig zuschneiden, wenn lauwarm, in Scheiben schneiden und in trockenem Weißwein (3 Deziliter Weißwein auf 1 Kilo) 15 Minuten marinieren. Dann mit Öl, Essig, Pfeffer, Salz, gehackter Petersilie und gehacktem Kerbel recht vorsichtig anmachen.“

Eindeutig warnen möchte ich vor einem in bodenständigen Gasthöfen immer wieder und vor allem als Beilage zu einem panierten (Wiener) Schnitzel anzutreffenden Kartoffel-Gurkensalat, wobei mit Gurken meist keine Gewürzgurken oder Cornichons gemeint sind, sondern gehobelte Gemüsegurken aus holländischen Gewächshäusern, die in punkto Wässrigkeit und Geschmacklosigkeit die oft ohne Sortenangabe verkauften Kartoffelsorten aus Supermärkten und Discountern noch deutlich übertreffen.

Allein schon wegen ihrer Meisterschaft bei der Zubereitung eines Kartoffelsalates, ob mit oder ohne (welsche) Mayonnaise, sollten die Deutschen stolz darauf sein, als Kartoffeln bezeichnet zu werden. Und in Gottes Namen sollen sich die Leute auch ihre Mägen mit Pommes und Chips zukleistern. Nur eines hat die Kartoffel nicht verdient, nämlich für die Lieblingssuppe einer nun im Ruhestand befindlichen Politikerin in Grund und Boden gekocht zu werden, die diesem Land so vieles eingebrockt hat, was noch Generationen nach ihr werden auslöffeln müssen.


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