Tichys Einblick
Skandal bei RBB und ARD

Die ARD verstößt den RBB wegen Ansteckungsgefahr

In der ARD-Senderfamilie fällt ein Dominostein nach dem anderen: Die RBB-Rundfunkratsvorsitzende tritt zurück, ARD-Chef Buhrow entzieht dem RBB sein Vertrauen – obwohl man in der ARD schon lange von den Sonderzahlungen und Boni der Kollegen wusste. Aber das Korruptionsvirus hat sich längst verbreitet.

IMAGO / Jürgen Ritter

Immer mehr bestätigt sich, dass die angebliche Affäre Schlesinger in Wirklichkeit nicht nur eine Affäre des RBB, sondern ein ausgewachsener Skandal des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. Am Samstagmorgen trat die RBB-Rundfunkratsvorsitzende Friederike von Kirchbach von ihrem Posten zurück. In einer Erklärung teilte sie mit:

„Der rbb steht vor einem Neuanfang. Nach zehn Jahren als Vorsitzende des Rundfunkrates möchte ich dazu einen Beitrag leisten und stelle mein Amt zur Verfügung. Unser Gremium hat mit der Abberufung von Patricia Schlesinger als Intendantin den Weg für neue Strukturen und Personen im rbb frei gemacht. Für alles, was jetzt kommt, sehe ich neue Verantwortliche in der Pflicht, deshalb trete ich zurück.

[…]

In der aktuellen Debatte um den rbb und das öffentlich-rechtliche System soll es nicht um Personen gehen, für mich steht die Sache im Vordergrund. Dazu gehört die selbstkritische Betrachtung unserer Arbeit im Rundfunkrat in der Vergangenheit. Diese Diskussion jetzt noch mit angestoßen zu haben, ist mir wichtig. Ich bin andererseits nicht bereit, meine berufliche Integrität als Pfarrerin und Seelsorgerin in Frage stellen zu lassen, das geschieht öffentlich und ist für mich nicht hinnehmbar. Die Geschicke des rbb werden in neue Hände gelegt. Meine Verantwortung war es, diesen Prozess einzuleiten, das ist getan und ich ziehe einen Schlussstrich.“

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Der Rundfunkrat sei eine zentrale Institution des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Aufgabe habe sie als bereichernd empfunden, die Aufgabe der Vorsitzenden gerne übernommen. Kirchbach stand dem Gremium seit Januar 2013 vor, sie war seit 2007 Mitglied des Rundfunkrates. Entsandt wurde sie von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Kommissarisch soll der stellvertretende Rundfunkratsvorsitzende Dieter Pienkny den Rat leiten.

Der Name Kirchbach tauchte in den letzten Tagen auch in der Causa Patricia Schlesinger auf. Nachdem Hagen Brandstäter nach dem Aus Schlesingers als Intendant provisorisch nachrückte, folgte ihm die bisherige Personalchefin Sylvie Deléglise auf seinem Posten als Verwaltungsdirektor nach. Dabei kam heraus: Deléglise ist Ehefrau der unverändert amtierenden Juristischen Direktorin Susann Lange. Dass zwei miteinander verheiratete Führungskräfte im obersten Gremium sitzen, spricht Bände über angebliche Kontrollmechanismen. Und dass es Kirchbach war, die beide traute, ist ein eindeutiges Indiz, dass sie davon wusste. Kontrolleure und Kontrollierte geben sich die Klinke in die Hand.

Der Fall Kirchbach war aber nicht das einzige Ereignis dieses denkwürdigen Samstags. WDR-Intendant Tom Buhrow brach öffentlichkeitswirksam mit der RBB-Führungsspitze. „Wir haben große Sorge, dass jede neue Zuspitzung beim RBB auch die ARD als Ganzes beschädigt, wenngleich wir in anderen Anstalten über sehr stabile Strukturen verfügen“, warnte er gegenüber dem Magazin Focus. „Leider zeigen die Vorfälle in Berlin, dass einzelne Personen auch das große Ganze der Senderfamilie gefährden können.“ Buhrow versucht den RBB zu isolieren und in die Quarantäne zu schicken. Aber der Virus von Korruption, schamloser Selbstbedienung und Missachtung des Sende-Auftrags hat längst auch die anderen ARD-Anstalten infiziert. Jeden Tag werden aus dem Reich der ARD neue Skandale bekannt; es geht um Selbstbedienung und Manipulation der Berichterstattung. Ob es da reicht, den kleinen RBB zum alleinigen Sündenbock zu erklären?

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Dem Abgang Kirchbachs zollte Buhrow „Respekt“, der Abgang solle ein „Signal für einen tiefgreifenden Neuanfang“ sein. „Aktuell ist unser Vertrauen erloschen“, erklärte der kommissarische Chef der neun Landesrundfunkanstalten. Gremiensitzungen auf ARD-Ebene werde man vorerst ohne RBB-Repräsentanten durchführen. Zugleich wolle man helfen, den Sender zu stabilisieren. „Die Strukturen innerhalb der Anstalt fangen schon jetzt an, sich aufzulösen. Das kann uns als Senderfamilie nicht kaltlassen.“ Man sehe die Affäre mit „großer Betroffenheit“.

Doch in der Vogelperspektive erscheint dies vielmehr als Manöver, um die Affäre bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten zu einem reinen RBB-Problem zu degradieren. Denn die dekadenten Zustände im RBB waren für die große Mutter der Sendeanstalten kein Geheimnis. Das ZDF-Magazin Frontal21 hat aufgedeckt, dass das Bonussystem bei der ARD bekannt war. Mitglieder der Geschäftsleitung bekamen ein „Grundgehalt“ und ein „Basisgehalt“. Bei Erfüllung der eigenen Ziele winkte ein zusätzliches Bonusgehalt von 20 Prozent, bei „Übererfüllung“ eines mit 25 Prozent. Brandstäter hatte als Nachfolger von Schlesinger noch im Brandenburgischen Landtag behauptet, ein solches System existiere nicht.

Laut Frontal21 war man in der ARD schon vor Monaten über diese großzügige Selbstbedienungspraxis informiert worden. RBB-Top-Manager hätten zu diesem Zeitpunkt seit vier Jahren von der Regelung profitiert. Im April habe eine Personalchefin das Modell dann schließlich auf einer Personalleiterkonferenz der ARD vorgestellt. An die Intendanten sei es nicht herangetragen worden.

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Gegenüber der ZDF-Sendung teilte die ARD zur Verteidigung mit, dass die einzelnen Rundfunkanstalten „autonom“ handelten. Das Modell sei bei der ARD „deutlich kritisch diskutiert“ worden. Getan hat man in der ARD aber offenbar nichts. Man ließ die Kollegen vom RBB gewähren. Christian Koch von der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer sprach gegenüber dem ZDF und sah darin „das ganze Führungsversagen der ARD“. Ein Freier Mitarbeiter des RBB sagte: „Oben herrscht beim RBB eine Selbstbedienungsmentalität und unten müssen wir den Gürtel immer enger schnallen.“

Dem kann man hinzufügen: Das gilt nicht nur für RBB-Mitarbeiter. Der Skandal um Schlesinger ist nur die Spitze des Eisbergs.

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