Tichys Einblick
Eine Momentaufnahme

Die AfD ringt um die Spitzenkandidaten

Joana Cotar soll zusammen mit Tino Chrupalla das Spitzenduo bilden, wünschen führende AfD-Politiker. Für die Fraktionschefin Alice Weidel wird es eng.

IMAGO/Futureimage, Christian Spicker

Während alle Augen auf das Drama des Abstiegskampfs der CDU gerichtet sind, sortiert sich derweil die AfD für den Bundestagswahlkampf. Dort werden offenbar die Karten derzeit neu gemischt. Überraschend haben sich mehrere Mitglieder des AfD-Bundesvorstands für die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar als Spitzenkandidatin neben Tino Chrupalla, den Co-Parteichef aus Sachen, ausgesprochen. Manchen erscheint das als gute Lösung: Mann und Frau, Ost und West, der rechts-soziale Flügel und das bürgerlich-freiheitliche Lager würden zusammengeführt. So hat es das Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf aus Hamburg angeregt.

Joana Cotar hat gegenüber der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ grundsätzlich ihre Bereitschaft erklärt, Teil eines Spitzenduos zu sein: „Ich bin tatsächlich gefragt worden, ob ich kandidieren würde und grundsätzlich stehe ich auch bereit dafür. Allerdings ist das ein Vorgang, der tief in die Partei hineinwirkt und der integrativ sein sollte.“ Gespräche dazu liefen derzeit.

Fragt sich nur, ob die Fraktionschefin Alice Weidel mitspielt. Sie gilt als ehrgeizig, doch ist die Zustimmung zu ihr in der Partei stark gesunken. Sie hat viele enttäuscht. Weidel wird in der Fraktion nach TE-Informationen Führungsschwäche vorgeworfen.

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Es gibt Vorwürfe, sie fehle bei wichtigen Sitzungen, sowohl im Bundes- und Fraktionsvorstand als auch bei den Länderparteichef-Telefonkonferenzen. Viele in der Partei waren bass erstaunt, als jüngst herauskam, dass Weidel Einladungen zu TV-Runden von Markus Lanz mehrfach ausgeschlagen hat, während die Partei klagt, sie komme im Fernsehen kaum vor. Es könnte tatsächlich eng werden für Weidel, wenn sie versucht, nochmal die Spitzenkandidatenposten zu bekommen.
Chrupalla, der Handwerksmeister aus Ostsachsen, gilt als „gesetzt“ – er hat die Unterstützung des Flügel-Lagers. Fehlt aber noch ein weiblicher Tandempartner aus dem Westen.

Noch ist vieles unklar. Am Wochenende nach Ostern kommen etwa 600 Delegierte zum AfD-Bundesparteitag in Dresden zusammen. Aus den Ost-Landesverbänden gibt es Anträge, auf diesem Parteitag Spitzenkandidaten zu wählen. Aber zuvor hatten die Mitglieder in einer Mitgliederabstimmung zu mehr als 80 Prozent dafür gestimmt, die Spitzenkandidaten in einer Urwahl zu küren. Allerdings nahm nur knapp ein Viertel der 30.000 AfD-Mitglieder an der Befragung teil, das Ergebnis ist nicht bindend. „Ich möchte das Mitgliedervotum respektieren“, sagt Cotar dazu.

In der Partei ist sie bei den Aktiven bekannt, ein Problem für sie ist ihre noch geringe Bekanntheit in der breiteren Öffentlichkeit. Für sie spricht, dass sie als starke und sympathische Rednerin gilt. „Sie kommt gut rüber“, sagt ein hessischer AfD-Fraktionsfunktionär. Cotars Bekanntheitsgrad könne schnell wachsen. Im Gespräch gibt sich Cotar freundlich, kann aber auch knallhart reagieren, wenn sie mit dem Vorgehen der Bundesregierung in Sachen Corona abrechnet.

Ungewöhnlich ist Cotars Lebensweg. Sie kam 1973 in Rumänien zur Welt, ihre Mutter gehörte zur historischen deutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen. Die Ceausescu-Zeit war fürchterlich für die Familie. „Mein Vater saß sechs Jahre als politischer Häftling im Gefängnis“, erzählt sie. „Immer wieder kam danach die Securitate und hat meine Eltern verhört.“ 1978, als Cotar fünf Jahre alt war, konnte die Familie nach Westdeutschland übersiedeln. Mit zwei Koffern kamen sie in Hessen an.

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In Bad Nauheim ging sie zur Schule, studierte dann in Mannheim Politik und Germanistik. Zeitweise arbeitete sie als freie Journalistin, danach für eine Bank in der Schweiz, wo sie ihren Mann kennenlernte, und dann wieder in Deutschland, zuletzt erfolgreich als Selbständige im Projektmanagement. Die Schweizer Art gefiel ihr auf die Dauer doch nicht. Was ihr aber gefällt, ist die Direkte Demokratie mit Volksabstimmungen zu wichtigen Fragen. „Wir brauchen mehr Demokratie in Deutschland“, sagt Cotar. „Und wir müssen die Macht der Parteien und des Lobbyismus begrenzen.“ Die Corona-Krise habe das gezeigt.

Ihre Leitidee sei das Thema Freiheit, sagt sie im Gespräch. „Der Staat soll die Bürger nicht bevormunden.“ Zur AfD kam sie einen Tag nach der ersten Großveranstaltung in Oberursel im April 2013. Zuvor war das ehemalige CDU-Mitglied schon mit selbstgedruckten Flugblättern gegen die Euro-Währungsunion, die Euro-Rettung und die damit verbundene Haftung für fremde Staatsschulden losgezogen. Seitdem hat sie mit der Merkel-Regierung komplett abgeschlossen.

Aktuell sieht Cotar die Freiheitsrechte in der Corona-Krise schwer gefährdet. „Wesentliche Freiheits- und Grundrechte gehen verloren und jeder, der das kritisiert, wird in die rechte Ecke gestellt“, sagt sie. Merkel nennt sie eine „wandelnde Abrissbirne der parlamentarischen Demokratie“. Seit dem Zweiten Weltkrieg sei die Freiheit noch nie so mit den Füßen getreten worden. „Das muss man sich mal vor Augen halten. Wir leben in einem Land, in dem Unternehmen und Menschen darum bangen und betteln müssen, leben und Umsatz machen zu dürfen“, sagt sie zu den neuen verschärften Lockdown-Maßnahmen. Cotar will als Stimme von Mittelstand und Marktwirtschaft gelten. Unerträglich findet sie auch die Selbstbereicherung einiger Unions-Abgeordneter. „Diese Pandemie ist für die Union ganz schön lukrativ“, twitterte sie ironisch.

Im Bundestag hat sich Cotar als digitalpolitische Sprecherin vor allem gegen Zensur in Sozialen Medien wie Facebook und Twitter und im Internet allgemein engagiert. Uploadfilter, Urheberrechte etc. sind Themen, die eine jüngere Generation stark bewegen.

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Das Hauptthema vieler in der AfD ist und bleibt die Asyl-Massenmigration der letzten Jahre. „Wir müssen die unkontrollierte Zuwanderung stoppen“, sagt Cotar. „Was wir brauchen, ist eine geregelte Einwanderung. Fachkräfte ja und politisch Verfolgte, sonst nicht.“ Immer wieder hat sich Cotar kritisch über den Islam und eine schleichende Islamisierung geäußert. Es drohe eine Unterwerfung unter den Islam, schrieb sie kürzlich, als in England ein Lehrer wegen Drohungen nach Mohammed-Karikaturen untertauchen musste.

Die Lage der AfD ist derzeit nicht komfortabel. In den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat sie schwere Niederlagen erlitten. Den Zustand ihrer eigenen Partei sieht Cotar nüchtern, aber nicht hoffnungslos. Sie hat sich gegen den Höcke-Flügel positioniert und den Ausschluss des Brandenburger Ex-Landeschefs Andreas Kalbitz befürwortet. Die AfD müsse für Bürgerliche wählbar bleiben, sagt sie. Derzeit hat sich die Partei in einigen Umfragen wieder leicht erholt und steht bei 10 bis 12 Prozent, vom Absturz der Union profitieren vor allem die Grünen, zum Teil aber auch FDP und AfD.

Aber die permanenten Streitigkeiten zwischen den AfD-Flügeln schaden. Cotar verspricht, dass sie integrativ wirken wolle. „Wenn wir Deutschland retten wollen“, sagt sie leicht pathetisch. „müssen wir wieder stark in den Bundestag einziehen. Das geht nur mit vereinter Kraft. Ich wünsche, dass wir aufhören, uns mit uns selbst zu beschäftigen, und dass wir wieder den Hauptgegner, die Merkel-Regierung, angreifen.“

Schon über die Ostertage wird sich wohl entscheiden, wer am Parteitag oder in der Mitglieder-Urabstimmung für die Spitzenkandidatur kandidieren wird. Alice Weidel hält sich bislang merkwürdig bedeckt. Beide Seiten versuchen derzeit, hinter den Kulissen zu sondieren.

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