Tichys Einblick
Kurzserie: Was bleibt von Helmut Kohl?

Der Ludwigshafener Kohl und der Mannheimer Müller-Vogg

Das Verhältnis von Mannheim zu Ludwigshafen ist wie das von Köln zu Düsseldorf. Ein wenig hilft es dem Mannheimer, eine Mutter aus Ludwigshafen zu gaben. "HMV" erzählt.

Das erste Mal live erlebte ich Helmut Kohl Ende der sechziger Jahre in Mannheim. Da war er der rebellische Star der rheinland-pfälzischen CDU, ich der politisch wache Pennäler, der für eine Lokalzeitung schrieb. Richtig kennengelernt haben wir uns erst später.

1988 war ich FAZ-Korrespondent in New York. Als meine Berufung zum FAZ-Herausgeber bekannt wurde, war er einer der ersten, der mir telefonisch gratulierte. Sein Kommentar: „Da muss der Heilige Geist die anderen Herausgeber erleuchtet haben, dass sie einen Mannheimer in ihren Kreis berufen haben.“

Apropos Mannheim. Das Verhältnis meiner Vaterstadt zu Ludwigshafen ist wie das von Köln zu Düsseldorf. Allerdings stammte meine Mutter aus Ludwigshafen. Wann immer wir uns sahen, bekam ich deshalb zu hören: „Das Beste an Ihnen ist Ihre Mutter aus Ludwigshafen.“ Meine Standard-Antwort: „Mit einer Mutter aus Ludwigshafen und einem Vater aus Mannheim bin ich ein richtiger Kurpfälzer – im Gegensatz zu einfachen Ludwigshafenern.“

Helmut Kohl war Stammgast beim „Ball des Sports“ in Wiesbaden. Dort lernte er auch meine Frau kennen. Ich war plötzlich Luft für ihn, er unterhielt sich nur mit ihr. Dann sagte er mit seinem typischen spöttischen Grinsen zu mir: „So eine Frau hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.“ Ich fasste es als Kompliment auf.

Seit 1991 laden meine Frau und ich zwischen dem 3. Oktober und 9. November zu einem „Saumagen“-Essen nach Bad Homburg ein – Freunde, Politiker, Journalisten, Manager. Es ist unsere private Einheitsfeier. Auch Helmut Kohl war einige Male dabei. Als er unter den Gästen die frühere HR-Chefredakteurin und spätere PDS-Abgeordnete Luc Jochimsen entdeckte, grummelte er: „Was Sie aber auch für Leute einladen.“ Als er später bemerkte, dass Frau Jochimsen am Gehen war, sagte er halb im Ernst, halb im Spaß zu mir: „Als ordentlicher Gastgeber sollten Sie die Dame auch entsprechend verabschieden.“ Das war charakteristisch für den Altkanzler: in seinen spöttischen Bemerkungen steckte auch immer ein Kern Ernsthaftigkeit. In diesem Fall: Respekt vor dem politischen Gegner.

Nichts traf Helmut Kohl härter als aus seiner Sicht unfaire Kritik von Menschen, denen er vertraute. Im Frühsommer 1998 – Kohls Stern befand sich im Sinkflug – schrieb ich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen kritischen, nach meiner Überzeugung aber zutreffenden Kommentar über den Zustand der CDU. Ein paar Tage später kam ein schroffer, bitterböser Brief aus dem Bundeskanzleramt: Mit mir wolle er nie wieder etwas zu tun haben. Ein paar Monate später sprach mich ein gemeinsamer guter Bekannter an: Ob wir nicht in Bonn zu dritt essen gehen wollten. Es wurde ein langer, fröhlicher Abend. Auch das war Helmut Kohl: Wenn sein Ärger verraucht war, siegte sein Harmoniebedürfnis.