Tichys Einblick
Bundesverfassungsgericht zum türkischen Wahlkampf

Türkische Minister in Deutschland: Das Recht als Feigenblatt der Politik

Die Bundesregierung muss Einreise und Auftritte ausländischer Regierungsmitglieder in Deutschland genehmigen. Jetzt tritt erstmals seit langem das Bundesverfassungsgericht mit einem Warnruf der Merkel-Regierung entgegen. Warum handelt Berlin nicht?

© Sean Gallup/Getty Images

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat klargestellt, dass Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen, „in deren Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten eine solche Entscheidung gemäß Art. 32 Abs. 1 GG fällt.“ Es handele sich um Tätigkeiten von Amtsträgern ausländischer Regierungen, die sich insoweit nicht auf Grundrechte wie die Meinungsfreiheit berufen könnten.

In der Sache wird die Entscheidung vielen Bürgern aus der Seele sprechen, bemerkenswert ist jedoch vor allem, dass das Gericht diese Ausführungen zur Sache überhaupt gemacht und diese veröffentlicht hat, obgleich das Gericht die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hat.

Jedes Jahr werden ca. 6.000 Verfassungsbeschwerden erhoben, von denen die überwiegende Mehrzahl nicht zur Entscheidung angenommen wird. Konkret wurden im Jahr 2014 6.606 Verfassungsbeschwerden erhoben, wobei 6.155 – ähnlich wie die obige Sache – nicht zur Entscheidung angenommen wurden. Im Folgejahr wurden bei einem etwas geringeren Eingang 5.769 durch Nichtannahme erledigt, erfolgreich waren lediglich 1,89 % aller Verfassungsbeschwerden.

Wird eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, ergeht ein Beschluss, der oft nicht einmal eine Begründung enthält, geschweige denn sich mit der Sache befasst. Warum auch, das wäre reine Zeitverschwendung. Diese Entscheidungen sind das typische „Butter und Brot – Geschäft“ und werden natürlich nicht veröffentlicht.

Ganz anders in diesem Fall. Hier hat man den Eindruck, dass das Gericht die Chance einer rechtlichen Stellungnahme freudig ergriff.

Weshalb die Begründung und warum öffentlich?

Das BVerfG genießt eigentlich hohes Ansehen in der Bevölkerung und wird als Retter in höchster Not begriffen. Von vielen (sogar sehr vielen) wurde es bedauert, dass sich das BVerfG um die Entscheidung bezüglich der Euro-Rettung  durch Einschaltung des Europäischen Gerichtshofs „drückte“, obwohl es selbst ernstliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit hegte.

Nachdem es sich so als „zahnloser Tiger“ präsentierte, wurde es in der Migrationskrise mit der Rechtsfrage der Asylgewährung nicht befasst. Es blieb ehemaligen Verfassungsrichtern überlassen, darauf hinzuweisen, dass nach Art. 16a Abs. 2 GG kein Asylrecht genießt, wer aus einem Staat der EU oder aus einem sicheren Drittland einreist. Die Immigranten kommen aus Österreich und der Schweiz nach Deutschland, damit ganz zweifelsfrei entweder aus der EU oder einem sicheren Drittland. Dennoch wurde und wird teils noch heute mit Hinweis auf das Asylrecht behauptet, es gäbe eine Rechtspflicht Deutschlands, diese aufzunehmen. Man muss es klar sagen, dass es sich bei diesen Immigranten um illegal Einreisende handelt, das Recht aber – natürlich! – kein Recht auf illegale Einreise kennt.

Viele dieser Diskussionen zeichnen sich aus durch eine diffuse Vermischung von Meinung, Moral und dem Verstecken hinter dem vermeintlichen Recht. Die Politik sucht schöne Bilder und positive Schlagzeilen, versucht, schwierigen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen und versteckt sich bei Gegenwind hinter angeblichen Rechtspflichten.

So auch in Bezug auf Wahlkampfauftritte türkischer Politiker. Man lässt türkische Regierungsmitglieder gewähren, wenn Kritik der Bürger – übrigens auch mancher türkischer oder türkischstämmiger Mitbürger – laut wird, kommen vollmundige Hinweise auf das Demokratieprinzip, auf die Grundrechte und als Trost wird dann unsere Stärke bemüht: Wir sind eine starke Demokratie, wir halten das aus! Die Frage, die sich viele Bürger jedoch stellen, ist, warum sie das überhaupt aushalten sollen? Man ist ja gerne bereit, die Zähne zusammenzubeißen und sich zusammen zu reißen, aber doch nur, wenn es wirklich sein muss. Hier muss es aber gar nicht sein. Dass wir eine Demokratie sind, ist richtig, aber was hat das mit dem türkischen Referendum zu tun? Rein gar nichts.

Merkwürdiges Toleranzverständnis
Wahlkampf gegen türkische Demokratie in Deutschland?
Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, welches Thema der türkische Wahlkampf hat, der wesentliche Punkt ist, dass es der Wahlkampf eines anderen Staates ist. Selbst wenn die türkische Regierung für die Umwandlung der Türkei in ein Wellness-Resort werben würde, müsste die Bundesregierung Wahlkampfauftritten in Deutschland zustimmen und wäre gut beraten, dieses nicht zu tun. Andernfalls kommt man nämlich in die unschöne Lage, die Entscheidung davon abhängig zu machen, ob einem die jeweilige Politik genehm ist, man also als Regierung für oder gegen die Politik des fremden Staates ist. Das aber ist dann tatsächlich eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes. So ist es ebenso eine Einmischung, wenn man derzeit Regierungsmitglieder der AKP reden lässt und die hiesigen Anhänger dieser Politik damit stärkt. Gegner der AKP haben selbst bei uns oft Angst, ihre Meinung offen zu sagen, auch diese stehen aber unter unserem Schutz.

Mit manchen Dingen fängt man besser erst gar nicht an, um nicht auf eine schiefe Ebene – den „slippery slope“ – zu kommen.

Das BVerfG jedenfalls hat der Regierung das Feigenblatt des Rechts, hinter dem sie sich so gerne versteckt, ganz bewusst weggezogen. Es hat etwas eigentlich Selbstverständliches unmissverständlich klargemacht: Die Regierung muss politische Entscheidungen treffen, dafür ist sie verantwortlich.

Entscheidet sie sich wie bisher dafür, die Wahlkampfauftritte zuzulassen, muss ihr bewusst sein, dass die Akzeptanz dieser Entscheidung im Volk äußerst gering ist. Nicht jeder lädt gern Fremde ein, die einen fortwährend beleidigen, die masochistische Ader ist sogar beim deutschen Volk begrenzt. Das Problem lässt sich nicht weg moderieren, im Gegenteil wird ein derartiges Verhalten zunehmend als reine Schwäche angesehen. Das Beharren auf der angeblichen Wertschätzung der Meinungsfreiheit wirkt angesichts der Tatsache, dass der Regierung nunmehr vom Verfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben wurde, ein solches stünde ausländischen Regierungsvertretern gar nicht zu, allenfalls trotzig.

Rechtsanwältin Annette Heinisch ist selbst im Verfassungsrecht tätig.