Tichys Einblick
Parteistrategische Überlegungen

Weshalb Günther die „Öffnung“ der CDU gegenüber der Linkspartei fordert

Dass der schleswig-holsteinische Ministerpräsident schwer nach links neigt, ist bekannt. Was treibt ihn, gerade jetzt darüber zu reden? Sein Vorstoß hat viel mit einer wichtigen Personalfrage in der Union zu tun.

picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Kaum etwas verlangt den Merz-Mitarbeitern im Adenauer-Haus und den Ost-Landeschefs der CDU so viel Beherrschung ab wie ein neuer Ratschlag des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther für die Parteifreunde. Sie müssen dann immer ihr Bestes tun, um der Wortmeldung des CDU-Linksauslegers nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu verschaffen – weil sie wissen, dass jede heftige Reaktion den Schaden noch vergrößern würde. Gegenüber der FAZ erklärte Günther in der Freitagsausgabe die Grünen zum natürlichen Koalitionspartner der Union nach der nächsten Bundestagswahl: Die Grünen hätten zwar „insbesondere in der bürgerlichen Klientel in den letzten anderthalb Jahren Kredit verspielt“, seien aber trotzdem auf Landes- wie auf Bundesebene „ein Koalitionspartner, mit dem die Union sehr gut regieren kann“.

Parteistrategische Überlegungen
Damit wies er den Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) zurück, eine Koalition mit der SPD anzustreben. Günther meinte in der FAZ: „Markus Söder macht so viele Vorschläge, ich tue mich schwer damit, sie alle zu bewerten. Seine Positionierung kann ja morgen auch wieder eine völlig andere sein.“ Was bei Günther dagegen konstant bleibt, ist neben seiner Zuneigung zu den Grünen seine Sympathie für die Linkspartei. Obwohl die CDU-Landesverbände in Sachsen und Thüringen, wo am 1. September Wahlen anstehen, gegen eine sehr starke AfD kämpfen und sich in beiden Ländern als bürgerliche Kraft der Mitte bis rechts zu empfehlen versuchen, versucht Günther ihnen eine Öffnung ausgerechnet zur umbenannten SED schmackhaft zu machen. In dem FAZ-Interview meinte er:

„Es gibt keine Äquidistanz zur Linkspartei und zur AfD, und Bodo Ramelow ist keine Gefahr für die Demokratie. Er ist ein kluger Mensch, den ich schätze und der in der Ministerpräsidentenkonferenz mit allen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeitet.“

Parteistrategische Überlegungen
Linkspartei und AfD könne man nicht gleichsetzen. Es sei ein Unterschied, ob man es mit einer Partei zu tun habe, die vom Verfassungsschutz in Thüringen und zwei weiteren Ländern als gesichert rechtsextrem beurteilt werde, oder mit einer Partei, die seit vielen Jahren den Ministerpräsidenten stelle. „Weder wurde die Demokratie in Thüringen in den vergangenen zehn Jahren abgeschafft, noch war sie gefährdet. Das ist mit der AfD jetzt anders.“ Worauf er seine Einschätzung stützt, die AfD wolle in Sachsen und Thüringen eine Diktatur errichten, sagte er nicht.

Thüringens CDU-Vorsitzender Mario Voigt schließt eine Koalition mit der Linkspartei aus, der sächsische CDU-Fraktionschef Christian Hartmann ebenfalls. Sollte sich der Eindruck bei den Wählern festsetzen, die Unionsparteien in den beiden Bundesländern seien am Ende doch bereit, in eine überwiegend linke Allparteien-Koalition unter Einschluss der Linken und des BSW gegen die AfD einzutreten, dürfte das viele Wähler von den Christdemokraten weg treiben – zumindest den großen Teil, der ausdrücklich keine linke Regierung in Dresden und Erfurt wünscht.

Im Adenauer-Haus fragen sich die Parteistrategen, was Günther dazu veranlasst, jetzt schon über eine Koalition mit den Grünen und sogar eine Zusammenarbeit mit der in Teilen linksextremistischen Linkspartei öffentlich nachzudenken. Neben der grundsätzlichen Linksneigung Günthers könnte ein Motiv darin liegen, den nordrhein-westfälischen Ministerpräsident Hendrik Wüst bei dessen Ambitionen zu unterstützen, Kanzlerkandidat der Union zu werden. Wüst, der wie Günther mit den Grünen regiert, versucht sich als grün-affiner Spitzenmann der Union für die Bundestagswahl 2025 in Stellung zu bringen.

Bei vielen Medien trägt ihm das Beifall ein. Vor allem in deren Richtung versichert er, deutlich links von dem als „rechts“ beschriebenen Friedrich Merz zu stehen. Um den Gegensatz zu schärfen, verlieh der NRW-Landeschef Angela Merkel 2023 einen hohen Orden, und stellte sie als sein politisches Vorbild dar. Als der CDU-Vorsitzende Anfang 2023 die Bezeichnung „kleine Paschas“ für die Auftritte bestimmter muslimischer Jugendlicher an Schulen gebrauchte, gehörte Wüst zu den Parteimitgliedern, die der darauffolgenden Medienkampagne gegen Merz Futter gaben.

Parteistrategische Überlegungen
Die Chancen von Wüst, sich als Kanzlerkandidat durchzusetzen, stehen nicht schlecht. Er weiß zum einen die Merkelianer hinter sich, die immer noch wichtige Positionen in der Partei besetzen. Während viele Medien und vor allem die Öffentlich-Rechtlichen Merz nach Kräften als „rechts“ und „Sauerland-Trump“ darstellen, sammelt der Schwarzgrüne aus NRW bei ihnen Bonuspunkte. Und CSU-Chef Markus Söder, der auch noch für den Kandidatenposten in Frage käme, genießt seit seinem brachialen Versuch 2021, Spitzenmann der Union zu werden, wenig Rückhalt in der CDU und der Unionsfraktion.

Fallen die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September für die CDU schlecht aus, siegt möglicherweise in einem der Länder sogar die AfD, dann käme der Moment für Wüst, Merz wegen seines angeblich zu „rechten“ Kurses die Schuld dafür zuzuschieben, und sich als Retter anzubieten, der die Partei wieder nach links schiebt. Insofern schadet es ihm nichts, wenn Günther durch die Empfehlung, sich der Linkspartei zu öffnen, die Wahlchancen seiner Parteifreunde in den beiden südöstlichen Bundesländern weiter schmälert. Einem Friedrich Merz schadet er dagegen sehr.

Ein enger Merz-Vertrauter, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei, schlug denn auch umgehend zurück. Am Tag nach der Vorab-Meldung zu dem Günther-Interview in der FAZ sagte Frei der „Rheinischen Post“: „Es ist nicht die Zeit, über Kooperationen nachzudenken. Erst recht nicht mit denen, die ein anderes Land wollen.“

Beim Bundesparteitag der CDU in der kommenden Woche muss sich Merz dem Delegiertenvotum stellen. Schon dann kommt es für ihn darauf an, wie stark die Unterstützung ausfällt. Aber der Moment, der wirklich über seine weitere Karriere entscheidet, dürfte der Abend des 1. September sein.

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