Tichys Einblick
Ein Überblick

Corona-Update zum 24. November: Die Pandemie als Wundertüte

Die 7-Tages-Inzidenz hat sich stabilisiert, doch die Zahl der täglichen Todesfallmeldungen steigt weiter. Die Pandemie stellt sich immer mehr als Wundertüte heraus, mit der Politiker Forderungen durchsetzen können, die vor der Pandemie scheiterten.

imago Images/Ralph Peters

Die 7-Tages-Inizidenz stagniert. Wie das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) meldete, betrug sie zum Sonntag 154 Fälle und schwankt auf diesem ungefähren Niveau schon seit dem 16. Dezember. Das RKI meldet ähnliches, aber auf einem Inzidenz-Niveau von ungefähr 140 Fällen pro hunderttausend Einwohner in den sieben vorhergehenden Tagen. Dem ECDC zufolge wurden in der Woche zum Sonntag, den 22. November, 1.537 weitere Todesfälle im Zusammenhang mit Corona gemeldet. Damit wurden bisher insgesamt mehr als 14.000 Todesfälle an und mit Corona gemeldet.

Quelle: Europäisches Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten, eigene Berechnungen

Wie ist die Situation in den Krankenhäusern?

Das DIVI-Intensivregister meldete zum Sonntag 5.689 freie Intensivbetten für Erwachsene. Die freien Kapazitäten sinken, aber langsam: Noch am 15. November waren 5.851 Betten verfügbar. Doch die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen steigt. So wurden am Sonntag 3.709 Coivd-19 Patienten auf den Intensivstationen gemeldet. Davon wurden 2.132 beatmet. In der Vorwoche waren es noch 3.400 Patienten, am 9. November waren es 3.000. Dass die Zahl der Covid-19 Patienten auf den Intensivstationen schneller steigt, als die Zahl der freien Betten sinkt, erklärt sich durch das Verschieben nicht dringend eingestufter medizinischer Eingriffe. Wobei das nicht folgenlos ist: Bei vielen Krankheitsbildern wirkt sich eine verschobene Behandlung oder Operation deutlich negativ auf die Überlebenswahrscheinlichkeit aus.

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Es gibt zwar eine Notfallreserve von gut 12.000 Krankenhausbetten, die im Notfall innerhalb von sieben Tagen aktiviert werden können. Aber bei vielen dieser Betten handelt es sich nicht um eingelagerte Notfall-Krankenhäuser für den Pandemie-Notfall, wie der Name „Notfallreserve“ impliziert. Tatsächlich sind viele dieser Betten reguläre Intenisvbetten, für die im normalen Betrieb einfach das Personal fehlt. Sie der „Notfallreserve“ zuzurechnen, ist in Wirklichkeit eine Täuschung. Denn woher sollen plötzlich die Pfleger kommen, um die Betten auch nutzen zu können? Man könnte Pfleger und Ärzte aus anderen Stationen an diese Betten verlegen – aber das zu dem Preis, dass andere Bereiche des Krankenhauses mit weniger Personal auskommen müssen. Auch müsste man den sowieso chronisch überarbeiteten Pflegern ihre freien Tage streichen und sie Überstunden arbeiten lassen. Ein solches selbstzerstörerisches Abarbeiten des medizinischen Personals ist auf lange Sicht auch keine Lösung und wird den Personalmangel in der Pflege mittelfristig nur verschlimmern. Ärzte und Pfleger sind die Dummen: Ihr Einsatz wurde von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nur benutzt, um auch für Beamte und Sachbearbeiter im trauten Stübchen daheim extrem hohe Einkommenssteigerungen herauszuschinden. Für die wirklich hart Arbeitenden bleibt dann keine Prämie. So geht eben Gesundheitspolitik. Man kann sie für Vieles nutzen, tut es nur nicht für Kranke und Helfer.
Corona als Wundertüte

Die Corona-Pandemie erweist sich immer mehr als Wundertüte für Politiker, die all das durchsetzen können, was sie sich schon lange wünschen, aber nie der Öffentlichkeit vermitteln konnten.

In diesen Tagen ist wieder mal ein Verbot von Silvesterfeuerwerken aller Art im Gespräch. Verbotswütige Politiker bringen ein solches Verbot immer wieder ins Gespräch, jedes Jahr mit neuen, fadenscheinigen Argumenten. Es würde Flüchtlinge und Haustiere (re-)traumatisieren, furchtbar viel Feinstaub verursachen und sei insgesamt zu laut, zu schmutzig, zu gefährlich. Ganz so, als sei Feuerwerk nicht sowieso schon an 364 Tagen im Jahr verboten. Doch in diesem Jahr werden die Verbotsforderungen möglicherweise Erfolg haben. Privates Feuerwerk soll verboten werden, weil es zu viele Verletzungen verursacht, welche die Krankenhäuser noch zusätzlich überlasten könnten. Doch die meisten Verletzten rund um Silvester gehen auf das Konto von Alkohol und Fahrzeugunfällen. Die Zahl der notfallmedizinisch behandelten Patienten durch Böller und anderes Feuerwerk ist so gering, dass die Gesellschaft für Unfallchirurgie diese gar nicht als Kategorie in ihren Statistiken erfasst. Das berichtet zumindest der SWR.

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Überhaupt: Verletzungen durch Pyrotechnik sind oft Verbrennungen und abgesprengte Finger. Diese Verletzungen müssen chirurgisch behandelt werden – die Chirurgien werden durch Corona-Patienten aber nicht erwähnenswert belastet. Oder anders formuliert: Jemand, der sich den Finger absprengt oder dessen Trommelfell reißt, nimmt einem Covid-19-Patienten kein Beatmungsgerät weg. Wieso also Böllern verbieten? Nach dieser Logik müsste alles, was zu einem erhöhten Unfallaufkommen führt, verboten werden: Also Skifahren, Haushaltsarbeiten, glatte Straßen. Das ist weder zielführend, noch durchsetzbar.
Der neue alte Soli

Gut, ob man Böllern möchte oder nicht, ist Geschmackssache. Aber auch (für die meisten) abgeschaffte Steuern kommen wieder auf den Plan. So fordern die SPD-Ministerpräsidenten einem Bild-Bericht zufolge die Einführung eines Corona-Solidaritätszuschlags. Dieses Geld soll dann in die überforderten gesetzlichen Krankenkassen fließen, damit ihre Beiträge nicht steigen müssen. Das ist zwar nicht mehr als ein buchhalterischer Taschenspielertrick, wenn die Krankenkassenbeiträge nicht steigen, aber dafür ein Soli eingeführt wird. Hauptsache, die SPD darf Steuern erhöhen und eine Steuersenkung, die sie bekämpft hatte, rückgängig machen. Der Corona-Soli soll zwar zeitlich begrenzt sein, mit der Abschaffung wird man sich aber – sollte er wirklich kommen – voraussichtlich genauso viel Zeit lassen wie mit der Abschaffung des Wiedervereinigungs-Soli. Der übrigens auch nur für die unteren 90 Prozent der Steuerzahler abgeschafft wurde und nun de facto eine Sondersteuer für hohe Einkommen darstellt.

Corona-Bonds

Eine Vergemeinschaftung von Schulden in der EU war bisher der nicht erreichte Traum der EU-Politiker. Doch im Rahmen eines Corona-Hilfspakets nimmt die Europäische Union nun erstmals selbst Schulden auf: 750 Milliarden Euro. Dieses Geld wird in Form von Zuschüssen und gering verzinsten Krediten dann an die Mitgliedstaaten ausgeschüttet. Zurückgezahlt werden die Schulden über die nächsten Jahre von den Mitgliedsstaaten anteilig zur Größe ihrer Volkswirtschaften und mit EU-Steuern, wie einer Abgabe auf Plastik, die ab 2021 kommen soll, und Einfuhrzöllen aus dem Nicht-EU-Außland. Wer haftet für die Schulden? Theoretisch die Mitgliedsstaaten. Da aber die südeuropäischen Staaten schon Probleme haben, ihre eigenen Schulden zu bedienen, ist klar, dass in Wirklichkeit die Nordeuropäer haften und die südeuropäischen Regierungen querfinanzieren, die notwendige Reformen nach wie vor verschleppen. In Relation zu ihrer Wirtschaftskraft erhalten die ost- und südosteuropäischen Staaten sogar die höchsten Zuschüsse. So denkt die deutsche Regierung offen über Steuererhöhungen nach, derweil die Regierung Italiens über Steuersenkungen sinniert.

Auch wenn die EU den Begriff der Euro-Bonds vermeidet: Faktisch sind sie nun da. Und auch wenn die Corona-Hilfen eine einmalige Sache sein sollen, wird die EU auch in Zukunft weitere Schulden aufnehmen und die Politik diese Schulden für Wahlgeschenke nutzen. Denn was in Brüssel passiert, kriegen die meisten Bürger nur peripher mit. Da kann man sich leicht verschulden, ohne dass es in der Heimat zu größeren Protesten führt, und auf Pump Politik machen. Die Rechnung wird dann in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren präsentiert werden: Wenn die Finanzmärkte nicht mehr glauben, dass die nordeuropäischen Staaten die gesamteuropäischen Schulden zurückzahlen können. Oder weil die fleißigen Ameisen umziehen. Oder den Beruf wechseln – von der Ameise zur fröhlich fiedelnden Grille. Corona wird dann längst überwunden sein – die Folgen der Politik nicht. Und die Verantwortlichen nicht mehr im Amt.

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