Tichys Einblick
Jenseits der Fallzahlen

Corona-Update zum 24. April: Eine Merkelsche Regierungserklärung

Ein nicht-ganz-wahrer Corona-Fahrplan für Deutschland verspricht Hoffnung. Hubertus Heil übt sich in Kindersprache. Der schwedische Sonderweg zeigt Risse. Die Bundeskanzlerin hält eine Regierungserklärung.

imago Images/M. Popow

Anstelle der bisherigen täglichen Fallzahlen erreichte TE ein nicht-ganz-echtes Geheimdokument der Bundesregierung, das einen langfristigen Lockerungsplan der Kontaktbeschränkungen beschreibt:

Die Fallzahlen werden an dieser Stelle zukünftig nur noch zwei mal wöchentlich dargestellt oder bei einer unerwarteten Entwicklung.

Aus Schweden werden Zweifel am dortigen Weg der Nicht-Reaktion auf Corona laut. Nicht nur sind die Todesraten höher als anderswo – laut der österreichischen Zeitung Falter sind dort mit gut 1.500 die meisten Corona-Todesfälle Skandinaviens gemeldet (trotz sehr zurückhaltenden Testens von Verdachtsfällen). In Stockholm soll die Todesrate gar das Doppelte der sonst erwarteten betragen. Besonders betroffen sind neben älteren und vorerkrankten Teilen der Bevölkerung auch Migranten, besonders Somalier, Iraker und Syrer. Eine Anleitung zur Triage in den Krankenhäusern gibt es schon: So sollen im Fall der Fälle Corona-Patienten über 80, Patienten über 70 Jahre mit einer ernsten Vorerkrankung und Patienten über 60 mit zwei Vorerkrankungen nicht mehr auf der Intensivstation behandelt werden. Laut Falter wird diese Regelung trotz großer noch verfügbarer Kapazitäten auf den Intensivstationen schon angewendet. Andere Quellen aus Schweden berichten, dass dies in einzelnen Fällen möglicherweise der Fall wäre, die Regelung aber eigentlich für den Notfall gedacht sei und noch nicht angewendet werden soll.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat die bei Sozialdemokraten beliebte Idee kindischer Gesetzesnamen übernommen. Das passt ganz gut, schließlich fällt unter sein Ressort auch „Soziales“. So stellte er ein „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ vor. Morgen ist gut, das klingt nach Zukunft, auch wenn sie für viele Jobs demnächst vorbei ist. Dabei soll die Veränderung der Wirtschaftsstruktur der Republik für Arbeitnehmer erträglicher gestaltet werden. Auch ein Rechtsanspruch auf eine Finanzierung zum Nachholen eines Berufsabschlusses nach Bewältigung der Corona-Krise ist in dem Gesetz enthalten. Warum man es dann nicht  „Gesetz zur Finanzierung der Nachholung von Berufsabschlüssen“ nennt, ist nicht klar. Vermutlich, weil man dann wüsste, worum es geht.

Hintergründe: Die Regierungserklärung der Kanzlerin

Am 23. April gab Bundeskanzlerin Merkel eine Regierungserklärung ab. Wie bei so vielen Reden zuvor kam sie auch dieses mal nicht ohne Durchhalteparolen aus: „Wir leben nicht in der Endphase der Pandemie, wie werden noch lange mit ihr leben müssen“. Das ist eine Absage an die Hoffnung, das eingefrorene soziale und wirtschaftliche Leben könne sich bald wieder normalisieren, der Lockdown gelockert werden. Sie warnte davor, dass die bisherigen Erfolge im Kampf gegen Corona „sehr  zerbrechlich“ seien. Damit dürfte die schon gefährliche Zukunfts-Unsicherheit weiter wachsen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen auslösen: Ohne nachvollziehbaren Zeithorizont und Perspektive werden Investitionen aufgegeben und Arbeitsplätze gestrichen.

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Merkel nannte die Pandemie eine „Demokratische Zumutung“; Demokratische Zumutung kann man es wohl nennen, wenn wegen der Pandemie der Bundestag noch spärlicher als sonst besetzt ist. Die Geschäftsordnung des Bundestages wurde so geändert, dass das Parlament schon als beschlussfähig gilt, wenn nur ein Viertel der Abgeordneten persönlich oder auf elektronischem Wege (per Zuschaltung also) anwesend ist. Deutschland hat immer mehr Abgeordnete, aber braucht immer weniger Parlamentarier, um Gesetze zu verabschieden. Warum man nicht mittels Zuschaltungung dafür sorgt, dass alle Parlamentarier in dieser wichtigen Zeit an allen Sitzungen teilnehmen, ist auch nicht klar. Offensichtlich ist ein guter Abgeordneter der, der gar nicht erst am Parlamentsbetrieb teilnimmt oder gar abstimmt.

Weiter sagte Merkel: „Eine solche Situation ist nur akzeptabel und erträglich, wenn die Gründe für die Einschränkungen [der persönlichen Freiheiten der Bürger] transparent und nachvollziehbar sind, wenn Kritik und Widerspruch nicht nur erlaubt, sondern eingefordert werden – wechselseitig.“ Das sind starke Worte einer Kanzlerin, die Diskussionen über die Lockerungen von Einschränkungen als „Öffnungsdiskussionsorgien“ betitelte. Auch diese Aussage steht im Widerspruch zum Handeln einer Regierung, bei der bisher jede Aussage zu Corona zurückgezogen werden musste. Die Maskenpflicht ist dabei zu erwähnen; doch auch die Aussage, man wolle die Freiheiten der Bürger nicht einschränken, wurde nur Tage später durch die Einführung von Kontaktsperren Lügen gestraft. Die Gefahreneinschätzung der Regierung wurde mehrmals revidiert; und die Aussage, man sei gut vorbereitet, erwies sich durch den (nach wie vor) eklatanten Mangel an Schutzausrüstung als Illusion.

Merkel bezeichnete persönliche Schutzausrüstung als strategisches Gut, dessen Herstellung auch in Deutschland und in Europa erfolgen müsse. Dieser Unwille der Regierung, irgend etwas mal alleine erledigen zu müssen und nicht auf die europäische Ebene wegzudelegieren – quasi einen nationalen Alleingang wählen zu müssen – zieht sich durch die ganze Rede. So erteilt sie zwar Eurobonds und  gemeinschaftlicher Haftung für Schulden in EU-Europa eine Absage, doch nicht, weil die Regierung gegen solche Bonds wäre, sondern weil es zu lange dauern würde sie einzuführen. Für Merkel ist die EU „Teil der deutschen Staatsraison“ und schon ist Corona die Begründung, warum die  EU-Zusammenarbeit in so unterschiedlichen Feldern wie der Migrationspolitik, beim Klimaschutz, oder der Europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiter vertieft werden müsse: Man staunt, wozu alles so ein Virus herhalten muss.


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