Tichys Einblick
Corona-Update 13. September 2021

Pfleger für den Gesundheitsschutz entlassen? Corona-Politik wird absurd

Die Corona-Maßnahmen sind von ihrem Zweck entkoppelt wurden. Mehr noch: Der Gesundheitsschutz wurde in sein Gegenteil verkehrt.

IMAGO / Westend61

Corona, so könnte man in diesen Wahlkampftagen meinen, ist vorbei. Keine größere Partei plakatiert zu dem Thema, im Wahltriell spielt es kaum mehr eine ernsthafte, inhaltliche Rolle. Alle Kandidaten schließen ja ohnehin einen weiteren Lockdown aus. Und eigentlich hat keiner der drei ein großes Interesse gezeigt, das leidige Thema wieder groß zu machen.

Es scheint, als pendele sich ein Normalzustand ein – die Frage lautet nur, wie dieser aussieht. Denn keiner der drei Kandidaten scheint den Status quo verändern zu wollen: Das bedeutet 3G fast in allen Lebensbereichen auf absehbare Zeit. Die Maßnahme gilt allgemein zwar als mild und gemäßigt, hindert aber weite Teile der Bevölkerung de facto am öffentlichen Leben teilzuhaben. Denn natürlich können Ungeimpfte weiterhin ins Restaurant, aber eben nicht mehr ohne zusätzlichen Aufwand – Zeit und womöglich anfallende Kosten für einen tagesaktuellen Test, schränken sie erheblich ein. Und die Kandidaten wollen sogar weiter gehen: Scholz liebäugelt mit 2G, Annalena Baerbock schließt eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen explizit nicht aus und Armin Laschet möchte, dass Arbeitnehmer künftig ihren Impfstatus angeben müssen.

Die Vision von einer Rückkehr zur echten und vollständigen Normalität kommt bei den Dreien hingegen nicht vor – der Ausnahmezustand ist also zur neuen Normalität geworden. Dass es für die Einschränkungen keine plausible Begründung mehr gibt, schert kaum noch jemanden. Warum funktioniert das?

Es ist genau das erzwungen worden, was alle Kandidaten gebetsmühlenartig zu verhindern vorgeben: Die Spaltung der Gesellschaft. Denn die Impfung ist nicht mehr nur eine individuelle, gesundheitliche Entscheidung – sie ist zusätzlich dazu ein politisches Signal geworden, die erste Frage im Gespräch, das Messer, das Freundschaften zerschneidet.

Viele Menschen, die zuvor genug hatten vom Lockdown und sich deshalb haben impfen lassen, halten den Ungeimpften nun vor, sie könnten sich doch einfach auch impfen lassen. Und die Regierenden verbreiten das Narrativ, zur Verhinderung eines weiteren allgemeinen Lockdown, müssten eben jetzt die Ungeimpften längerfristig ausgesperrt werden. Und das wird in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert.

Ungeimpfte sind dadurch zu einer Art Grundgesetz-Berechtigte auf Bewährung geworden. Es wird als eine Art Gnadenakt betrachtet, dass sie überhaupt noch auf die Straße dürften. Dass dieses Zerrbild standhält, ist bemerkenswert. Denn klar ist: Wenn Geimpfte geschützt sind, gefährden Ungeimpfte nur noch sich selbst. Warum sollte man ihnen das verbieten? Und wenn die Impfung nicht so schützt wie behauptet, gibt es erst recht keinen Grund, Ungeimpfte unter Druck zu setzen.
Doch diese einfache Schlussfolgerung dringt im öffentlichen Diskurs nicht durch, denn eine sachliche Debatte findet kaum mehr statt. Corona-Politik ist zu einer von der Sache losgelösten Frage der Legitimation, Rechtfertigung und moralischer Vorwürfe geworden.

Endgültig ad absurdum geführt wird die Corona-Politik in der Frage der immer öfter geforderten Impfpflicht für medizinisches Personal, wie sie etwa in Frankreich oder Italien bereits beschlossene Sache ist. Aus den „Helden der Pandemie“ wurden schnell Täter und dann Menschen, denen man auch ihren Job verbieten könnte. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sprach es kürzlich offen aus: Entlassungen von umgeimpftem Pflegepersonal hält er für möglich.

Im Lewis County General Krankenhaus in New York musste nun die Geburtsstation schließen, weil mehrere Mitarbeiter wegen der dort bereits geltenden Impfpflicht gekündigt haben. Hier zeigt sich, wie die ursprüngliche Intention der Corona-Politik auf den Kopf gestellt wurde. Denn was die Pandemie tatsächlich zeigte: Infektionskrankheiten aller Art sorgen in unserer alternden Gesellschaft für erhebliche Probleme und unser Gesundheitssystem ist dafür nicht gerüstet.

Über ein Jahr lang ging es um kurzfristigen Maßnahmen von Testpflicht bis Lockdown. Aber die eine langfristige Maßnahme ist eigentlich unstrittig: Die Stärkung und der Ausbau des Gesundheits- und insbesondere des Pflegewesens. Und wenn jetzt nach 16 Monaten Corona-Pandemie ernsthaft die Idee aufkommt, man müsse zum Zwecke des Gesundheitsschutzes ein paar Pfleger entlassen, dann ist die Absurdität eigentlich offensichtlich.

Die Ziele, die einst erreicht werden sollten, werden gar nicht mehr gesehen, die Corona-Maßnahmen haben sich verselbstständigt. Und dass das keiner der Kanzlerkandidaten diese Verkrustung durchbricht und eine Vision skizziert, wie man schlichtweg den Normalzustand unserer verfassungsmäßigen Ordnung wiederherstellt, gehört zum Wahnsinn dieses Wahlkampfes.

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