Tichys Einblick
Begriffsverwirrung lichten

Corona-ABC

Obwohl die Corona-Krise uns nun schon seit einem halben Jahr begleitet, hat sich die Begriffsverwirrung noch nicht gelichtet. Daher hier eine Zusammenstellung wichtiger Fakten und Fragen.

Credit Fusion Animation

Obwohl die Corona-Krise uns nun schon seit fast einem halben Jahr begleitet, herrscht immer noch Begriffsverwirrung. Man diskutiert über die Problematik, aber weil jeder etwas anderes mein, aber das gleiche sagt, ist man sich uneinig ohne anderer Meinung zu sein. Daher hier ein kleines Corona-ABC.

„Fallzahlen“ von welchen Fällen?

Wenn das Robert Koch-Institut von Fallzahlen spricht, wer ist gemeint? Das RKI unterscheidet zwischen fünf verschiedenen „Typen“ von Corona-Fällen, die gemeldet werden müssen:
1. Klinisch diagnostizierte Erkrankung.
Eine SARS-CoV-2 Infektion wird aufgrund der Krankheitssymptome diagnostiziert. Ein Labornachweis liegt nicht vor.
2. Klinisch-epidemiologisch bestätigte Erkrankung.
Eine SARS-CoV-2 Infektion wird aufgrund der Krankheitssymptome diagnostiziert und die Person hatte Kontakt zu einer Person, bei der eine bestätigte Infektion vorliegt. Ein Labornachweis liegt nicht vor.
3. Klinisch-Labordiagnostisch bestätigte Erkrankung.
Die Person zeigt Symptome einer SARS-CoV-2 Infektion und es wurde ein Labornachweis durchgeführt, der positiv ausfiel.
4. Labordiagnostisch nachgewiesene Infektion bei nicht erfülltem klinischen Bild.
Die Person zeigt keine Symptome einer SARS-CoV-2 Infektion, ein Labornachweis fiel aber positiv aus.
5. Labordiagnostisch nachgewiesene Infektion bei unbekanntem klinischen Bild.
Es liegt ein positiver Labornachweis vor, aber ob die Person auch Symptome zeigt, ist dem RKI nicht bekannt (Informationen nicht übermittelt).

Alle fünf Arten von Corona-Fällen werden dem RKI übermittelt. Die vom RKI täglich veröffentlichten Fallzahlen beinhalten allerdings nur die Fall-Typen 3, 4 und 5. Wenn das RKI also sagt „Es wurde X neue Fälle gemeldet“, liegt für jeden dieser Fälle ein Labornachweis vor, aber nicht jeder Fall zeigt Symptome.
Verkürzt gesagt: Ein Corona-Fall ist eine Person, für die ein positives Testergebnis vorliegt.

Wie wird getestet? Wie gut sind die Tests?

Um eine aktive Corona-Infektion nachzuweisen, werden sogenannte Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktions-Tests (RT-PCR, „C“ für „Chain“ in „Chainreaktion“) eingesetzt. Dabei wird untersucht, ob in einer Probe bestimmte, für das gesuchte Virus einzigartige Gensequenzen (in Form von RNA) vorkommen. Es wird also gezielt nach dem Virus SARS-CoV-2 gesucht. Der Test kann auch zuverlässig zwischen verschiedenen Coronaviren unterscheiden.

RT-PCR-Tests werden auch zum Nachweisen einer HIV-Infektion genutzt, andere Formen von Polymerase Kettenreaktions-Tests können nicht nur zum Erkennen von Viruserkrankungen eingesetzt werden, sondern finden auch bei Vaterschaftstests und Untersuchungen auf Erbkrankheiten Anwendung. Sie gelten als sehr genau und können selbst geringe Mengen an Viren in der Probe mit großer Verlässlichkeit identifizieren.

Zu falschen Positiven kommt es (unter Ausschluss von Durchführungsfehlern wie Kreuzkontaminierungen von Proben) sehr selten. In einer Studie des RKI wurden von teilnehmenden Laboren zwischen 98,8 und 99,7 Prozent der untersuchten Testproben richtig als „Corona-Positiv“ erkannt. Das richtige Erkennen von Proben ist die sogenannte Sensitivität (richtig Positive). Die Rate der richtig negativen (Spezifität) bewegt sich in der gleichen Größenordnung. In 98,6 Prozent der Fälle wurden Proben, die mit anderen Arten von Coronaviren infiziert waren, richtigerweise als „SARS-CoV-2 negativ“ identifiziert.

Bei Proben, bei denen überhaupt keine Virusbelastung vorlag, wurden diese in 99,3 Prozent der Fälle als solche identifiziert. Dabei kam es bei 0,35 Prozent der untersuchten Proben zu einem „falsch Positiven“ Ergebnis und bei 0,35 Prozent zu einem unvollständigen. Hierbei handelt es sich natürlich um Testbedingungen, bei denen eine höhere Sorgfalt als gewöhnlich zu erwarten ist. Vorausgesetzt, die tatsächlichen Testergebnisse haben eine Genauigkeit, die in der gleichen Größenordnung liegt, ist aber davon auszugehen, dass ein Testbefund – sei er positiv oder negativ – im höchsten Maße vertrauenswürdig ist.

Auch sind Testergebnisse keine rein binären Zustände: Sie sind nicht absolut „negativ“ oder „positiv“, sondern können auch schwache oder starke Ergebnisse sein. Wenn zum Beispiel nur eine geringe Virenbelastung vorliegt oder es zu Kreuzkontamination kommt. Liegt ein zu schwaches Ergebnis vor, kann der Test wiederholt werden.

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Das Problem der falschen Positivem ist auf der Ebene einzelner Tests gering. Problematisch wird es aber, wenn eine riesige Zahl von Coronatests bei einer Gruppe von Personen durchgeführt wird, von denen nur wenige tatsächlich infiziert sind. Denn mit den steigenden Zahlen getesteter nicht-Infizierter steigt natürlich auch die Zahl falscher Positiver an. Aus diesem Grund rät das RKI ausdrücklich von Massentests ab. Stattdessen soll nur dann eine Person getestet werden, wenn ein dringender Grund vorliegt – zum Beispiel bei Symptomen, wenn jemand Kontakt zu einem bekannten Fall hatte o.ä.. Insofern ist das Massentesten von (Wieder)Einreisenden an Flughäfen und Grenzübergängen fragwürdig: Die Massentests fördern die Wahrscheinlichkeit falscher Positiver (und sind aufgrund der großen Zahl der zu Testenden möglicherweise von einer weniger guten handwerklichen Qualität). Aber gleichzeitig dienen die Tests dazu, Personen, die sich wahrscheinlich im Ausland angesteckt haben, zu identifizieren.
Wie verhalten sich „aktive Coronafälle“ und „Corona-Positiv Getestete“ und „Fallzahlen“?

Die Bundesländer sind nicht verpflichtet, „genesene“ Corona-Fälle den Gesundheitsämtern und dem RKI zu melden. Eine Verfolgung des Zustands (einschließlich Tests) jedes Corona-Falls würde die Gesundheitsämter auch überlasten. Also wird ein Corona-Fall mit mildem Verlauf, der daher nicht im Krankenhaus liegt, bei dem aber ein Corona-Test innerhalb der letzten 14 Tage vorliegt, als „aktiv“ gezählt, denn aus Erfahrungswerten ist bekannt, dass ein Corona-Fall nach 14 Tagen die Infektion überwunden hat – oder tot ist. Hospitalisierte Corona-Fälle werden in der Regel den Gesundheitsämtern gemeldet, daher ist eine Schätzung bei diesen Fällen zumeist nicht nötig.
Zur Definition eines Falles, s.o.

Haben alle SARS-CoV-2 infizierten Covid-19?

Covid-19 ist die Krankheit, die das Virus SARS-CoV-2 auslöst. Nicht jeder, der einen positiven Test auf das Virus vorweist, äußert dieses Krankheitsbild. Genauso wie nicht jeder HIV-Positive das Krankheitsbild AIDS hat. Trotzdem sind infizierte Personen auch mit leichten oder gar keinen Symptomen ansteckend – was eine unbemerkte Ausbreitung des Virus begünstigt. Das ist zumindest die bisherige Annahme. Es mehren sich allerdings die Hinweise, dass Personen, bei denen die Infektion symptomlos verläuft, sehr selten andere Menschen anstecken. Dies wird mit der vergleichsweise geringen Viruslast, die diese Personen vorweisen erklärt. Gesichert in dieser Hinsicht ist allerdings noch nichts.

Wie viele der Infizierten symptomlos sind, ist noch nicht sicher geklärt. Im Landkreis Heinsberg fand eine Studie unter Leitung des Virologen Hendrik Streek, dass 80 Prozent der Personen, bei denen Antikörper gegen ein Coronavirus im Blut gefunden wurden, keine Symptome gezeigt hatten. Eine Studie des RKI fand in der Gemeinde Kupferzell, das etwas weniger als 75 Prozent der Personen mit Corona-Antikörpern im Blut keine Symptome hatten. Der Unterschied aus den beiden Studien wird unter anderem damit erklärt, dass in der Kupferzell-Studie die Antikörper der vermutlich mit SARS-CoV-2 Infizierten auch einem sogenannten „Neutralisationstest“ unterzogen wurden. Solche Tests sind teuer und aufwendig, stellen aber sicher, dass die gefundenen Antikörper auch tatsächlich gegen SARS-CoV-2 Viren wirksam sind und nicht gegen die in Deutschland schon immer verbreiteten „normalen“ Coronaviren, die nichts weiter als einen Schnupfen auslösen.

Obwohl also wie oben beschrieben nicht jeder SARS-CoV-2 infizierter Symptome zeigt und so mit der Krankheit COVID-19 diagnostiziert wird, werden die beiden Begriffe „Infiziert“ und COVID-19-Fall bzw. erkrankt, oft synonym verwendet – auch vom RKI. Dieses spricht zum Beispiel in seinem Corona-Update von COVID-19 Fällen meint aber SARS-CoV-2-Fälle (also infizierte Personen nach der obigen Definition).
„Todesfälle mit Corona“ – wo sind die Todesfälle an Corona?

Das RKI meldet die Zahl der Verstorbenen, bei denen ein positiver Coronatest-Befund vorliegt (siehe oben). Deswegen werden sie auch als Tote „mit“ Corona bezeichnet. Um sicher sagen zu können, ob jemand „an“ Corona verstorben ist, muss eine Obduktion durchgeführt werden. Obduktionen sind zeitaufwendig – und damit teuer. Das RKI rät außerdem von der Obduktion mit Corona verstorbenen Personen ab.

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Doch ohne Obduktion ist es nicht immer ohne Weiteres möglich, einen Todesfall einer Todesursache zuzuordnen. Wenn ein gesunder junger Mann mit einer Stichwunde ins Herz stirbt, scheint die Todesursache offensichtlich. Aber wie ist es, wenn ein 80-jähriger Mann (und das Durchschnittsalter der mit Corona verstorbenen ist 81 Jahre) an einer Lungenentzündung verstirbt? Was verursachte die Lungenentzündung, an der er starb? Was verursachte die Schäden an Organen, Blutgefäßen usw.?

Der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel beschrieb die Todesursache Corona nur als „der letzte Tropfen“, der das Fass zum Überlaufen brachte. Andererseits machte eine Untersuchung des Bundesverbands deutscher Pathologen bei 83 Prozent von 139 Untersuchten im Zusammenhang mit Corona verstorbenen Personen Corona als die Todesursache aus. Und nicht nur bei den verstorbenen über 80 Jahren, sondern auch bei Personen zwischen 50 und 79 Jahren. Die Untersuchung lässt zu wünschen übrig – es wurden vergleichsweise wenige Personen untersucht, überwiegend Männer und hauptsächlich solche, bei denen schon Vorerkrankungen bestanden. Andererseits: Wer über 50 hat nicht mindestens einen der Risiko-Faktoren von Bluthochdruck, Asthma, Übergewicht, Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen?

Ist das Virus also doch ungefährlich?

Für Deutschland sind vergleichsweise wenige Corona-Todesfälle bekannt – weniger als 10.000 Fälle bei einer Bevölkerung von 83 Millionen. Die Grippewelle 2018 forderte weitaus mehr Todesopfer. Dabei muss aber auch das Vorsorgeparadoxon beachtet werden: Ja, in mancher Grippewelle sterben mehr Menschen. Während Grippewellen werden aber in der Regel auch keine nationalen Anstrengungen unternommen, um Infektionen zu verhindern. Damit sind nicht nur Lockdowns und Maskenpflichten gemeint. Auch der einfache Aufruf, sich gründlich die Hände zu waschen, die Verfügbarkeit von Desinfektionsmitteln in Geschäften und die (Re-)Sensibilisierung der Bevölkerung für Themen der Hygiene haben ihren Teil dazu beigetragen, die Zahlen niedrig zu halten. Möglicherweise sogar einen größeren Teil als der Lockdown, denn die Zahl der Infizierten war schon vor dem Lockdown rückläufig. Nun mag manch einem ein Fokus auf Händewaschen, Nies-Hygiene und so weiter lächerlich erscheinen – aber es sind auch solche relativ einfachen Mittel, mit der noch viel größere Gefahren als SARS-CoV-2 unter Kontrolle gebracht wurden. Krankheitsbekämpfung ist manchmal überraschend banal. Und obwohl in Deutschland vergleichsweise wenige Opfer zu beklagen sind (0,11 pro Tausend Einwohner), sieht die Situation in anderen Ländern schlechter aus:

Das die offiziellen Opferzahlen und die Übersterblichkeit besonders in der weltweiten Hochphase der ersten Welle auseinanderklaffen, ist in vielen Ländern der Fall. In den Niederlanden meldete das Statistikamt eine Übersterblichkeit von 9.000 Personen, die Gesundheitsämter meldeten nur 6.000 Coronatodesfälle. Das liegt auch daran, weil in Spanien, den Niederlanden, aber natürlich auch in Deutschland die Testkapazitäten derart überlastet waren, dass strenge Priorisierungen der Testungen vorgenommen wurden. Zusätzlich noch Tote zu untersuchen, war einfach nicht möglich.

Tatsache ist aber auch, dass in Deutschland momentan vergleichsweise wenige Coronafälle bekannt sind. Zur Zeit werden schätzungsweise 16.700 Corona-Fälle als „aktiv“ eingeordnet. Ein großer Teil davon hat sich wahrscheinlich im Ausland angesteckt und wurde nur aufgrund der intensiven Tests an Flughäfen entdeckt und wäre ohne diese Tests möglicherweise unentdeckt geblieben. Laut dem DIVI-Intensivregister, in dem die Krankenhäuser ihre Intensivbettenkapazitäten melden müssen, befinden sich weniger als 240 Personen aufgrund von Covid-19 in intensivmedizinischer Behandlung (stand 28.08., 17:00). Trotz der steigenden Fallzahlen in den letzten Wochen sind die coronabedingt belegten Intensivbetten sogar noch zurückgegangen. Im Frühjahr waren einige Tausend belegt – aber nie so viele, dass die Kapazitäten überlastet gewesen wäre, wie es in anderen Ländern der Fall war, denn in Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 30.000 Intensivbetten. Zur Zeit sind fast 8.900 Betten frei, der Rest ist mit den üblichen Patienten, die ein Krankenhaus so hat, belegt. Eine akute Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems besteht derzeit also nicht. Fakt ist aber auch, dass sich ein Virus wie SARS-CoV-2 schnell ausbreiten kann. Die Situation ist ein komplexer Balanceakt zwischen einem Unterdrücken der Krankheit und den Freiheiten der Bürger.

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Wie tödlich die Krankheit nun wirklich ist, ist auch noch offen. Wie oben beschrieben, gibt es solche, die argumentieren, dass Corona nur für jene Menschen ein Problem ist, die schon schwerwiegende Vorerkrankungen haben. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass keineswegs nur alte Personen verstorben sind. Außerdem sind die langfristigen Schäden noch nicht vollständig bekannt. Unter anderem wird von Lungenschäden berichtet – manche aufgrund einer invasiven Beatmung, die auch nicht ohne Nebenwirkungen ist, doch viele auch aufgrund des SARS-CoV-2 Virus selbst. Die Folgen: Narben im Lungengewebe überlebender, Atemnot oder Schwierigkeiten.

Bei Toten berichten Ärzte von Lungen so „löchrig wie ein Schwamm“. Eine Untersuchung von 153 Corona-Fällen in Großbritannien, die in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht wurde, fand Demenz-artige Symptome, Psychosen, Schlaganfälle und innere Blutungen bei Covid-19-Patienten. Die oben beschrieben Obduktionen des Bundesverbands deutscher Pathologen fanden Hinweise auf SARS-CoV-2 bedingte Organveränderungen, beziehungsweise Schäden, nicht nur in der Lunge, sondern auch an Leber, Herz, Hirn und Lymphknoten. Andererseits handelt es bei den meisten Berichten von Langzeitschäden und weitergehenden Organschäden eben auch nur um Berichte, die unter Zeitdruck und mit wenig Geld erarbeitet wurden. Tiefgreifende und gesicherte Beweise für oder gegen diese Berichte zu erarbeiten wird noch lange dauern. Und trotz aller Schäden, die manche erleiden: Die meisten Infizierten scheinen ohne sie davon zu kommen. Der großteil der Infektionen bleibt mangels Symptomen unerkannt. Es sind diese zwei unterschiedlichen Seiten – schwere Verläufe auf der einen, viele symptomlose auf der anderen Seite, die es so schwierig machen SARS-CoV-2 einzuschätzen. Schlussendlich muss jeder selbst entscheiden, wie er damit umgeht.

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