Tichys Einblick
Wiederholung der Bundestagswahl

Bundesverfassungsgericht entscheidet am 19. Dezember über die Berlin-Wahl

Nach der politisch gewollten Verzögerung soll das Bundesverfassungsgericht am 19. Dezember über die Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin urteilen. Die TE-Fachleute Rupert Scholz und Ulrich Vosgerau kommentieren die anstehende Entscheidung.

IMAGO / Political-Moments
Das Thema „Neuwahlen“ hat die Republik erreicht. Zuerst hatte die AfD nach dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts den Rücktritt der Regierung gefordert. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder forderte Neuwahlen. Dass sich die Grüne Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, öffentlich gegen Neuwahlen aussprechen musste, erfolgte bereits aus dem Zwang, dass man dieses Thema nicht mehr unbeantwortet lassen konnte. Es tut sich etwas in Berlin: Denn wenn auch Parteien der Ampelkoalition über das Stöckchen springen, dann sitzt das Nervenkostüm mittlerweile schief.

Aber die Debatte um Neuwahlen sollte nicht vergessen machen, dass ja immer noch eine Wahlwiederholung aussteht: nämlich die der Bundestagswahl in Berlin. Während sich die Wiederholung der Landeswahl bald jährt, hat Karlsruhe trotz Klagen von Lesern von TE, CDU/CSU und AfD sich immer noch nicht endgültig geäußert. Davor hatte bereits der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages alles Mögliche getan, um eine Entscheidung zu verzögern und abzumildern. Etwa, indem man diese Bundestagswahl nur teilweise wiederholen lässt – während die damals gleichzeitig stattgefundene Chaoswahl im Land Berlin ganz wiederholt wurde.

Das verstehe, wer will. Und das ist der Grund für die Beschwerden. Das Bundesverfassungsgericht wird sich am 19. Dezember zur Klage der Union äußern. Diese Meldung ging im Haushaltstohuwabohu der letzten Woche unter.

Eine ganze Reihe von Staatsrechtlern haben bereits gegenüber der WELT die Wahlwiederholung befürwortet. „Es ist ein Unding, dass das Bundesverfassungsgericht so lange bis zur Urteilsverkündung braucht“, sagte Ulrich Battis, Verfassungsrechtler an der Humboldt-Universität. Sophie Schönberger von der Universität Düsseldorf kritisierte die Funktion des Wahlprüfungsausschusses, der den Prozess verzögert hatte: „Die Vorteile einer Wahlprüfung durch das Parlament selbst haben sich im Grunde historisch erledigt.“ Weil die aktuelle Lage nunmehr eine andere ist als vor zwei Jahren, äußerte Christian Pestalozza von der Freien Universität Berlin Bedenken: „Jede Wahlwiederholung ist ein Problem, ein umso größeres, je später sie stattfindet und je mehr Wähler sie betrifft.“

Gegenüber TE haben sich zwei weitere Juristen zur bevorstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geäußert. Auch Rupert Scholz äußerte sich kritisch angesichts des Verhaltens des Wahlprüfungsausschusses:

„Schon das Berliner Verfassungsgericht hat mit Recht festgestellt, dass die Wahl zum Abgeordnetenhaus und Bundestag insgesamt in einem Ausmaß fehlerhaft sind, dass eine Wahlwiederholung insgesamt notwendig ist. Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags hat dem gegenüber behauptet, dass nur in knapp 300 Wahlbezirken von über zweieinhalbtausend Wahlbezirken definitiv Fehler von einem solchen Ausmaß geschehen seien. Der Wahlprüfungsausschuss hat hier vermutlich in nicht vertretbarer Weise pro bono entschieden“, so Scholz. „Die hiergegen gerichtete Verfassungsklage am Bundesverfassungsgericht, ist nach meiner Auffassung in vollem Umfang begründet und auch die Bundestagswahl muss insgesamt in Berlin wiederholt werden.“

Ulrich Vosgerau gab zu bedenken, dass „selbst bei spektakulär erfolgreichen Wahlprüfungsbeschwerden gegen eine Bundestagswahl immer nur eine kleine Minderheit der Wahlberechtigten“ wählen würden. „Und das wirft wiederum ein Problem der als tragender Wahlrechtsgrundsatz gebotenen ‚Gleichheit der Wahl‘ auf (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG), den die Minderheit, die neu wählen darf, nimmt nicht an der ‚gleichen‘ Wahl teil wie alle übrigen Bürger, sondern wählt ein zweites Mal, diesmal korrektiv, unter völlig veränderten politischen Bedingungen.“ Die verfassungsrechtlichen Probleme seien in ihrer Natur „nicht wirklich lösbar“.

Fazit: Der Wahlprüfungsausschuss, in dem die Regierungskoalition die Mehrheit bildet, die aber zugleich am meisten Nachteile bei einer Wahlwiederholung hätte, hat offenbar seine Macht genutzt, um die Wahlwiederholung zuerst zu verschieben und kleinzureden. Das Bundesverfassungsgericht steht nun vor dem Problem, dass die Wahlwiederholung im Grunde zu spät ist. Sie würde frühestens 2024 stattfinden. Da fiele sie recht passend in den von Markus Söder anvisierten Zeitraum einer möglichen Neuwahl. Warum nicht mal klotzen, statt zu kleckern, und einfach den ganzen Bundestag in einem Rutsch neu wählen? Das wäre vielleicht für alle Beteiligten die sauberste Lösung; wenn auch für die meisten Beteiligten auch die unerfreulichste.

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