Tichys Einblick
"Mit Hochdruck" neu bauen

Brücke völlig unbrauchbar – Sauerlandlinie auf Jahre gesperrt

Im Dezember wurde die Rahmedetalbrücke gesperrt. Nun ist klar: Die Brücke ist so schwer beschädigt, dass sie abgerissen werden muss. Der Neubau soll "mit Hochdruck" erfolgen – und dennoch fünf Jahre dauern.

Baumaßnahme mit Not-Verstärkung an der maroden und gesperrten Talbrücke Rahmede der Autobahn A45 Sauerlandlinie

IMAGO / Hans Blossey

Die Verkehrskatastrophe ist vollends da: Die Rahmedetalbrücke auf der A 45 bei Lüdenscheid darf nicht mehr befahren und muss abgerissen werden. Sie ist so stark beschädigt, dass sie nicht mehr repariert werden kann. Zu diesem Schluss sei in der vergangenen Woche eine Expertenrunde gekommen, verkündete die bundeseigene Autobahn GmbH. Die Beulen in den Blechen der Hauptträger hätten sich so stark vergrößert, dass die Brücke auch nicht so weit wiederhergestellt werden könne, dass zumindest Pkws darüber fahren können. Zudem seien erhebliche Korrosionsschäden und Risse an den Stahlträgern aufgetreten.

Stattdessen soll die alte Brücke jetzt abgebrochen und an derselben Stelle und im selben Linienverlauf eine neue Brücke gebaut werden. Noch nicht einmal mehr Baufahrzeuge dürfen die Brücke befahren; sie ist abgeriegelt, es besteht Einsturzgefahr. Nicht auszudenken, die Brücke wäre bei vollem Verkehrsfluss zusammengebrochen.

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Diese Brücke musste am 2. Dezember des vergangenen Jahres plötzlich gesperrt werden, nachdem bei einer Untersuchung die schweren Schäden entdeckt wurden. Schon zuvor war die Brücke nur noch einspurig befahrbar. Damit ist die wichtige Sauerlandlinie für den Nord-Süd-Verkehr gesperrt – eine Katastrophe für die oft mittelständische Industrie der Region, die auf funktionierende Transportmöglichkeiten angewiesen ist. Schnell eine neue Brücke bauen, fordert deshalb die Wirtschaft.

Doch nein, so schnell geht es nun auch wiederum nicht, lässt sich die Leiterin der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH, Elfriede Sauerwein-Braksiek, vernehmen. »Mit Hochdruck bauen wir dann die neue Brücke. Wir hoffen, dass sie dann in fünf Jahren steht«, beteuert sie und fügt hinzu, das sei schon schnell. »Hochdruck« heißt also fünf Jahre. Die Aussage »fünf Jahre« sorgt allenthalben für Entsetzen. Merkwürdig: In Genua gelang es, nach jenem spektakulären Einsturz der Autobahnbrücke in knapp zwei Jahren eine lange neue Brücke zu errichten. Und eindrucksvolle Youtube-Videos zeigen, wie schnell chinesische Brückenbauer neue Brücken errichten können.

Erst einmal müssten Planfeststellungsverfahren und eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemacht werden, meinte Sauerwein-Braksiek erschrocken. Umweltverträglichkeitsprüfung bei einer Brücke, die bereits existiert und deren Verlauf feststeht? Und überhaupt, so schnell geht schon gleich gar nichts. Erst einmal müssen Baugrunduntersuchungen angestellt werden – und dann die EU: EU-weit müssten die Arbeiten ausgeschrieben, die planungsrechtlichen Auflagen berücksichtigt werden. Das dauert, da müssen eine Menge Papiere vollgeschrieben werden. Nein, beim besten Willen nicht schneller. Außerdem sei ja noch Corona. »Unser Ziel bleibt fünf Jahre. Dann hätten wir schon eine Rekordzeit erreicht«, sagte sie.

Eine Brücke geht nicht von heute auf morgen kaputt. Tatsächlich sind die Schäden bei fast allen Brücken in Deutschland den Fachleuten seit Langem bekannt. Sie rechneten in der Regel auch ziemlich genau aus, wie lange eine Brücke noch hält. Seit 2014 ist bekannt, dass die Rahmedetalbrücke erneuert werden muss. Bereits bei einer Brückenprüfung 2011 hatte sie die Note »nicht ausreichend« bekommen.

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Doch dann kommt Politik ins Spiel, und es wird peinlich. Lange Jahre regierten die Genossen in NRW und kümmerten sich um Radwege, vergaßen Straßen und vor allem Brücken. Kaum eine funktionsfähige Brücke führt mehr über den Rhein. Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen wurde nach dem Machtwechsel am 30. Juni 2017 der jetzige Ministerpräsident Hendrik Wüst. Der zeigte sich gern auf einem Liegendrad und betonte, wie sehr »Radschnellwege« ausgebaut werden müssten. Immerhin hatte er noch betont, die wachstumsstarke Wirtschaft in Südwestfalen benötige eine gute Anbindung. Doch praktisch geschehen ist nichts.

Früher waren Planung, Bau und Unterhalt von Autobahn Ländersache; seit 1. Januar 2021 ist diese Aufgabe der bundeseigenen Autobahn GmbH übertragen worden. Stolz verkündete das NRW-Verkehrsministerium, wie gut dieser Übergang vonstatten gegangen sei. Es mussten rund 2.250 Mitarbeiter des Landesbetriebes Straßenbau.NRW zur Autobahn GmbH wechseln. »Neue Büros werden angemietet, Verträge ausgearbeitet, Arbeitsgeräte müssen erfasst und dem Bund übergeben werden – vom Schneeräumfahrzeug bis zur Kettensäge. Gleichzeitig müssen Bau- und Sanierungsprojekte reibungslos weiterlaufen.«

Wüst, damals noch als Verkehrsminister: »Wir alle – Land und Bund gemeinsam – wollen, dass diese Umstrukturierung schnell und reibungslos funktioniert. Dafür haben viele Menschen schon in den vergangenen Monaten sehr hart gearbeitet, und es wird auch weiterhin viel zu tun sein.« Und: »Die Erfolgsgeschichte des Bauhochlaufs in Nordrhein-Westfalen muss auch in Zukunft weitergeschrieben werden.« »Wir können und wollen uns in Nordrhein-Westfalen keine Verzögerungen bei Bau und Sanierung erlauben« , sagte Hendrik Wüst. »Wenn der Bund das Ruder am 1. Januar übernimmt, muss es genauso zügig weitergehen wie bisher. Wir werden ganz genau darauf achten und bieten dem Bund gern unsere Unterstützung an!«

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»In Nordrhein-Westfalen steht die Infrastruktur weiterhin vor großen Investitionslücken und hat erheblichen Reparaturbedarf. Um diese Rückstände zu beheben, fließen Rekordsummen in Höhe von fast 50 Milliarden Euro in Sanierung, Modernisierung und Ausbau der Infrastruktur. Darüber hinaus wurden mehr Planer und Planerinnen zur Umsetzung von Bau- und Sanierungsprojekten eingestellt. Dank dem ‚Masterplan Bundesfernstraßen‘, dem elementaren Planungs- und Steuerungsinstrument für die Straßenbau- und Sanierungsprojekte, gibt es mehr Transparenz und Fortschritt«, tönte es unter Wüst aus dem Ministerium.

Das Bundesverkehrsministerium wollte einst noch einen Baubeginn einer neuen Brücke im Jahr 2017. Doch die alte Straßen.NRW hatte die Rahmede-Brücke in der Prioritätenliste nach hinten verschoben. Ein Fehler, so Sauerwein-Braksiek laut come-on.de heute. Und: Seit 2017 sei planerisch nicht wirklich etwas passiert.

Der aufgeschreckte Landrat des Märkischen Kreises, Marco Voge, fordert jetzt Klarheit über die anderen Brücken der Sauerlandlinie, die sich wahrscheinlich in einem ähnlich schlechten Zustand wie die Rahmedetalbrücke befinden. Sie sind alle zur gleichen Zeit errichtet worden. »Wir müssen so schnell wie möglich erfahren, wie sicher die anderen Brücken sind«, sagte er der Zeitung. Sauerwein-Braksiek: »Uns sind keine weiteren Brücken bekannt, bei denen wir akut handeln müssen.« Noch nicht, fügen wir an dieser Stelle hinzu.

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