Tichys Einblick
Wie Borna fast zum zweiten Sebnitz wurde

Skandal um Borna: Originalartikel wegen „Ungenauigkeiten“ umformuliert

Der Versuch der Haltungspresse und verbundener Polit-Größen, die alte Mär vom rechtsextremen Osten wiederzubeleben, ist gescheitert, das selbstgesetzte Ziel aber vorerst erreicht: Wir reden nicht mehr von der Massenmigration und ihren sichtbaren negativen Folgen. Die Geschichte eines Ablenkungsmanövers.

Rathaus mit Brunnen auf dem Marktplatz, Borna, Sachsen, Deutschland

IMAGO / Hanke

War da was? Ein Presseskandal? Oder hat diese Art der Berichterstattung, egal ob aus Deutschland oder dem Ausland, nicht doch System? Lars Klingbeil hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt, als er aus zweieinhalb Presseberichten den Vorwurf konstruierte, in Görlitz und Hildburghausen trieben sich rechtsextreme Gruppen herum, die „unter lauten Sieg-Heil-Rufen“ Unruhe stifteten. Doch das war ganz und gar ausgedacht. Genau genommen, geht es um einen Komplex aus Medien und Politikern, kurz den politisch-medialen Komplex der herrschenden Kreise, der in sich selbst kreist und von nichts außer sich selbst abhängig sein, also sozusagen absolut herrschen will.

Ablenkungsmanöver, zweite Stufe
Lars Klingbeil und das virtuelle „Sieg Heil“ von Borna, Görlitz und Hildburghausen
Das Ausdenken begann schon mit dem ersten Presse-Artikel, den der Leipzig-Redakteur des Portals t-online über einen Silvestervorfall in Borna verfasste, diesen mit sanften Strichen zur rechtsextremen Silvesterrandale umgestaltend. Gute Dienste leisteten ihm dabei einige Online-Kommentare, die er nach Belieben zitierte, aber nicht nachrecherchierte. Fast die gesamte meinungsführende Presse übernahm – obwohl oft selbst mit Vertretern in Leipzig ausgestattet – den Bericht des Online-Journalisten. Das sind Regionalkorrespondenten, die sich nicht lohnen. Ergebene oder einfach nur träge Systemmedien arbeiteten so der Regierungspartei SPD zu, um die Sache auf ein „toxisches“ Niveau zu heben und zu trimmen.

Tatsächlich haben sich in der sächsischen Kreisstadt bislang Unidentifizierte an Weihnachtsbaum und Rathaus vergangen, schossen am Ende gar mit Pyrotechnik auf die Polizei und beschädigten so neben dem Rathaus einen Streifenwagen. Die frisch sanierte Rathausfassade weist, wie eine Polizeisprecherin gegenüber TE bestätigte, mehr als 100 Beschädigungen auf, allerdings keine kaputten Fensterscheiben. Bisher verbindet nichts diese Randale mit dem fast anekdotischen Bericht einer Anwohnerin, die in der Silvesternacht eine Gruppe gehört haben will, die vor ihrem Fenster eine eindeutige Parole benutzte.

Nun musste Klingbeil also zurückrudern: Er hatte sich „auf andere Meldungen verlassen“, „Sorry“ fürs Nicht-Nachfragen, mit vielem Dank für die Recherche. Auf vergleichbar sanfte Ausdrücke eigenen Irrens wird man bei anderen Beteiligten – etwa Serap Güler (CDU) oder Helge Lindh (SPD) – lange warten. Sie hatten sich nicht stark genug hervorgetan, nur ihren Vers zum allgemeinen Singsang geboten. Auch gelöscht wird da nichts und wieder nichts.

Auch von Franziska Giffey ist, wie in allen Lebenslagen so auch hier, sicher keine Umkehr zu erwarten.

Sein selbstgesetztes Ziel haben Klingbeil & Co. aber trotz Sorry-Gesäusel erreicht. Es bestand darin, von den Großstadt-Randalen deutlich anderen Kalibers abzulenken. Sicher ist es in allen Lagen verwerflich, Polizisten oder andere Einsatzkräfte mit Pyrotechnik anzugreifen. Aber an den Neuköllner Kleinkrieg mit gezieltem Abfeuern von Schreckschusspistolen können Kleinstadtpossen wie die von Borna nicht herankommen. Auch nicht an die gelegten Hinterhalte, in die Berliner Feuerwehrleute gelockt wurden. Zudem filmten sich die migrantischen Täter oft genug selbst und veröffentlichten die Schnipsel auf TikTok und anderen Plattformen, was von ihrer Schamlosigkeit zeugt. So entstand ein ziemlich klares Täterprofil.

Wer die Randalierer von Borna waren, wissen wir noch immer nicht mit Sicherheit. Zumindest einige sollen vermummt gewesen sein, was ebenso gut auf linke Anarchisten hindeuten könnte. Im Netz findet sich vereinzelt Verständnis von dieser Seite für die Randalierer, wo auch die „200 Randalierer“ noch einmal ins Spiel gebracht werden, direkt unter einem Besserungs-Tweet des Autors Andreas Raabe.

Ein Sorry für das neue Sebnitz

Mit einem lapidaren „Sorry“ Klingbeils, das noch nicht einmal richtig adressiert ist, soll die Sache nun also erledigt sein. Der SPD-Chef schrieb es – ausgesprochen hat er es nicht – an die Journalistin, die für die Zeit in Borna war und durch ihre Recherche jene Fakten bestätigte, deren äußeres Gerüst TE bereits am Montag nach einem Anruf bei der Leipziger Polizeidirektion berichten konnte. Aber erst nach dem Zeit-Besuch schlugen die Fakten in einer Presselandschaft ein, die sich bis dahin unkritisch an einen einzigen Online-Artikel gehängt hatte – weil der wohl irgendwie ins Schema passte.

Das alte Sachsen-Stereotyp drohte sich erneut auf breiter Front durchzusetzen. Ähnlich wie im November 2000, als eine Meldung aus Sebnitz bundesweit für Schlagzeilen sorgte: Ein Sechsjähriger mit fremdländischem Namen war angeblich drei Jahre zuvor (im Sommer 1997) von deutschen Jugendlichen im Sebnitzer Freibad ertränkt worden. Dass der Junge an einem angeborenen Herzfehler litt und ohne fremdes Zutun starb, fiel der Mutter erst drei Monate später, im Januar ein.

Die Folgen für Sebnitz waren drastisch. Nicht nur blieben verstörte Familien zurück, auf denen die Last des falschen Verdachts gelegen hatte. Auch die Familie des verstorbenen Sechsjährigen wollte nur noch wegziehen und dazu ein Wohnhaus und eine Apotheke verkaufen. Die Grundstückspreise waren durch den Skandal erheblich gesunken, die Stadt sollte einspringen. Wenn man Pressemeldungen aus jener Zeit liest, merkt man aber auch, dass das Geld damals noch relativ locker saß. Der Kreisstadt sollte aus Landesmitteln geholfen werden, wo es nur ging. Ministerpräsident Biedenkopf hatte die Sache zur Chefsache gemacht. Sebnitz hatte seine Fürsprecher noch nicht eingebüßt. Die Presse wütete umso stärker – bis sich alles in Luft auflöste.

Heute ist die Republik noch etwas zerfaserter, ihr Innenleben stärker angegriffen. Zu den Behauptungen Klingbeils kamen so die haltlosen Verdächtigungen des Spiegel hinzu, der weitere Städte und Kommunen in den Strudel des Rechtsrandale-Verdachts hineinzog. Alles nur, um vom eigentlichen Silvesterproblem abzulenken. Zwischen den Zeilen dieser Publikationen konnte man auch die links-grüne Überzeugung herauslesen, dass die ausgelassene Jahresendfeier ja ohnehin nicht gerade umweltverträglich sei und lieber unterlassen werden sollte, um Aufräumarbeiten zu umgehen.

Renommierte Medien malten falsche Aussagen mit Fleiß aus

Wo bleibt aber die Entschuldigung Klingbeils bei den wirklich Geschädigten? Also den rechtschaffenen Bürgern von Borna, Görlitz und Hildburghausen, die er ohne Not in sein rechtsextremes Framing hineindrückte. Wo bleiben auch die Entschuldigungen so scheinbar renommierter Medien wie der Süddeutschen Zeitung, von Spiegel, Tagesspiegel und ntv, die die falschen Aussagen über Borna nicht nur weitgehend ungeprüft übernahmen, sondern sie auch gerne weiter ausmalten? Inzwischen haben die meisten ihre Texte und Überschriften dezent korrigiert. Von öffentlicher Abbitte auch hier keine Spur. Man hat sich eben „auf andere verlassen“, deren Ruf als fleckenrein galt.

"rechtsradikales" Framing in Medien
Borna: Vermutlich nicht 200 Sachsen, sondern eher 30 Randalierer unklarer Identität
Der Anfang dieses Skandals ist beim Ursprungsartikel auf t-online zu suchen, wo sich virtuelles Hörensagen und die oberflächliche Lektüre eines Polizeiberichts in unguter Weise ergänzten. Auch das Portal hat nun eine Richtigstellung vorgenommen, die aber auf halbem Wege stecken bleibt. Der Artikel vom 7. Januar wurde umformuliert und mit einem zwischen Selbstkritik und Rechtfertigung schwankenden Zusatz versehen. Darin ist von zahlreichen „Ungenauigkeiten“ die Rede, die man zu entschuldigen bitte.

Ein zweiter Text auf dem Portal schlägt denselben Ton an. Darin heißt es, die Aussage, dass in Borna „an Silvester etwa 200 Personen heftig auf dem Marktplatz randaliert“ hätten, sei „so nicht haltbar“. Wie viele randalierten und Polizisten angriffen, sei vielmehr unklar, was man eigentlich schon beim Lesen der Polizeimeldung wissen konnte – es sei denn, man (der verantwortliche Leipzig-Redakteur Andreas Raabe) traute diesen Sachsen grundsätzlich alles zu. Welche Ungenauigkeiten also? Der Artikel war doch im Grunde die Frucht der Phantasie seines Autors.

Auch die ursprüngliche Überschrift „Mit Böllern und ‚Sieg Heil‘ gegen Rathaus und Polizei“ sei „durch die Faktenlage“ nicht gedeckt gewesen, so das Portal, und sei nun geändert worden, weil es „bislang nur eine unbelegte Zeugenaussage für entsprechende Rufe gibt“. Die vermeintliche Zeugin kann wiederum nicht belegen, dass die vermeintlichen Sieg-Heil-Rufer vor ihrem Schlafzimmerfenster zu den Randalierern gehörten. Das hatte sie allerdings auch nie behauptet. Nur, dass dieselben Knaller dabei gehabt hätten und sie sich von Überwachungskameras mehr Aufklärung über so etwas erhofft.

„Versteht ihr euer Handwerk nicht, oder hat das System?“

Weitere „Ungenauigkeiten“ finden sich auch in der neuen Artikelfassung mit der Überschrift „Randalierer in Borna greifen Rathaus und Polizei an“. So konnten die Schäden am Rathaus noch nicht mit den 200 Feiernden auf dem Marktplatz verbunden werden, auch nicht mit einer Untergruppe. Es bleibt bei der Formulierung in der Polizeimeldung vom 6. Januar: „Möglicherweise  wurde aus der gleichen Personengruppe heraus das Rathaus mit Pyrotechnik beworfen und dadurch die Fassade beschädigt.“ Sicher ermittelt ist also auch dieses Detail der Randale nicht.

Im zugehörigen Tweet heißt es: „In unserer ersten Berichterstattung zu Silvesterkrawallen in Borna sind uns Fehler unterlaufen.“ Man habe nun alles korrigiert und „transparent aufgearbeitet“. Doch das geht vielen nicht weit genug. Vor allem die „unterlaufenen“ Fehler werden den Machern von t-online nicht überall geglaubt. Eher geht man von Absicht aus. Der Verdacht bleibt bestehen, dass Berichte und Online-Kommentare so ausgesucht wurden, dass das Ergebnis ins eigene Weltbild passte. Das entstandene Produkt war offenbar so beliebt, dass es von anderen Redaktionen reihenweise nachgebaut wurde. Ein neues Sebnitz wurde so nur knapp umgangen. In Borna wird man sich sicher schon gefragt haben, wie man aus dieser Mühle wieder herauskommt, um den entstehenden Schaden zu begrenzen. Im Hintergrund steht der heute weitverbreitete Haltungsjournalismus, bei dem die Botschaft wichtiger ist als die Fakten.

Auf Twitter begrüßten zwar einige den Mut, eigene Fehler zuzugeben. Aber eine Vielzahl von Nutzerkommentaren zeigt, wie weit der Unmut über solchen Journalismus reicht. „Recherche ist anscheinend unmodern geworden“, meint etwa die Nutzerin DaggiFfm. „Weil Medien nicht mehr selbst recherchieren, sondern einer vom anderen abschreibt“, lautet das Verdikt von El Conductor. Das ist in etwa die kürzeste Zusammenfassung des Geschehenen. Ein anderer Nutzer fragt: „Versteht ihr euer Handwerk nicht, oder hat das System?“

Anzeige