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Verfassungsbeschwerde

“Bin am Ende meiner finanziellen Kräfte”: Friseurmeisterin zieht vor das Bundesverfassungsgericht

Eine Unternehmerin sieht ihre letzte Hoffnung im Bundesverfassungsgericht. Tausende Friseure sind in einer ähnlich prekären Lage, sagt ein Branchenvertreter.

IMAGO / HärtelPRESS

Eine Friseurmeisterin weiß nicht mehr weiter. Wie rund 80.000 andere Friseure in Deutschland ist Sandra Siemert durch die Zwangsschließungen hart getroffen. Nun erhebt sie Verfassungsbeschwerde gegen das Infektionsschutzgesetz beim Bundesverfassungsgericht, wie das Haarkosmetikunternehmen Wild Beauty am Dienstag mitteilte, das Siemert bei der Beschwerde unterstützt. Wegen der Zwangsschließung habe sie keine Rücklagen mehr, um den Lebensunterhalt für ihre Familie zu bestreiten, sagt Siemert und fügt hinzu: “Nach diesem zweiten Lockdown bin ich am Ende meiner finanziellen Kräfte.”

Siemert führt in der 8.000-Seelen-Gemeinde Biederitz in Sachsen-Anhalt einen Friseur- und Kosmetiksalon. Ihre fünf Mitarbeiter musste sie im Frühjahr 2020 und vom 16. Dezember bis Ende Februar nach Hause schicken. Das Problem: Während ihre Angestellten Kurzarbeitergeld erhalten, geht Siemert leer aus. Sie bekommt ihren Unternehmerlohn, der ihr durch die Zwangsschließung entgeht, nicht ersetzt.
Zwar erhielt Siemert im zweiten Lockdown – nach monatelanger Verzögerung – die sogenannte Überbrückungshilfe III. Doch die kompensierte nur einen Teil der Fixkosten. Einen Ausgleich für den Unternehmerlohn sieht die “Hilfe” nicht vor, heißt es in der Mitteilung.

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Doch es kommt noch schlimmer: Im Frühjahr 2020 zapfte die Friseurmeisterin ihre privaten Ersparnisse an, um einer Insolvenz zu entgehen. Und um staatliche Hygiene-Auflagen zu erfüllen, damit sie im Sommer wieder öffnen durfte. Im Dezember dann der Schock: Siemert musste erneut dichtmachen. Dass sie bislang noch nicht insolvent gegangen ist, liegt einzig an einem KfW-Förderkredit. Den muss sie aber mit Zinsen zurückzahlen, wenn der Lockdown irgendwann vorüber sein sollte.

Laut der Mitteilung sieht das Infektionsschutzgesetz keinen Ersatz für den Unternehmerlohn vor. Die Bundesregierung verweist nur auf die sogenannte Neustarthilfe, die bis zu 7.500 Euro für sechs Monate beträgt, heißt es. Das Geld bekommen aber nur Selbstständige, die keine Überbrückungshilfe III beziehen. Wem das alles nicht ausreicht, dem rät die Bundesregierung demnach, soziale Grundsicherung zu beantragen – also Hartz 4.

Mit der Klage will Siemert feststellen lassen, dass das Infektionsschutzgesetz verfassungswidrig ist. Es verstoße gegen die Garantie auf Eigentum aus Artikel 14, die garantierte Berufsfreiheit aus Artikel 12 und den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3, insoweit das Gesetz keine finanzielle Entschädigung für die Betriebsschließungen vorsehe. Außerdem hat sie Zahlungsklage gegen das Land Sachsen-Anhalt erhoben, um den Unternehmerlohn ersetzt zu bekommen.

Die Hoffnung gibt die Friseurmeisterin nicht auf. Dennoch ist ihr bewusst, dass bislang alle Zivilgerichte eine Entschädigung abgelehnt haben, wie es in der Mitteilung heißt. “Unabhängig davon, wie die Gerichte entscheiden, werden die Entscheidungen nicht nur für Sandra Stiemert, sondern für alle Friseurbetriebe richtungsweisend sein”, erklärt Noah Wild, der die Initiative “#Friseure in Not” angeregt hat und Siemert unterstützt. Viele tausend Frieseure befänden sich in einer ähnlich prekären Lage wie Siemert, sagt er.

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