Tichys Einblick
Trump ins Kanzleramt?

Bei Anne Will: Angriff der Mutante auf eine hilflose Politik

War es bisher Corona, das die Menschen in Angst versetzen sollte, so ist es jetzt "die Mutante". Tatsächlich - das sich verändernde Virus stellt gerade wieder die Politik auf den Kopf, die ohnehin schon vor sich hinzappelt und tägliches Staatsversagen bewirkt.

Screenprint: ARD/Anne Will
Nur zum Beispiel Frankfurt, in anderen Städten ist es nicht anders: Der Zoo ist geschlossen; die grüne Lunge der Stadt, der große Palmengarten, abgesperrt, die Straßen in den verschneiten Taunus gesperrt, die dortigen Parkplätze blockiert. Die Menschen leben im Käfig. Mehltau liegt auf der Seele.

Da ist die rhetorische Sende-Frage von Anne Will eine Zumutung:

„Gefahr durch neue Corona-Mutanten – wie viel ‚Zumutung‘ braucht es jetzt?“ Was in diesem Land abläuft, ist eine Zumutung, und ohne es zu wollen, bestätigt Anne Will das: Sie spricht vom „Traum von Lockerung“. In ihrer Debatte geht es daher auch nicht um Lockerung – sondern um noch weitere Blockaden. Sie gibt der ZeroCovid-Phantasie oder auch NoCovid-Ideologie einiger fanatischer Wissenschaftler breiten Raum, die das Virus ausrotten und gleichzeitig die Demokratie ausradieren wollen. Längst wird die Krankheit politisch instrumentalisiert und die Akteuere schließen nahtlos an die gesellschaftsverändernden Strategien der Klimawandler an.  Es ist der Kampf um die Allmacht des Staates und der Politiker. Geholfen hat es bisher wenig.

Killerangriff von Mutante und ZeroCovid-Ideologen

Schließlich: Schutz der Altenheime – funktioniert nicht; die Corona-App der Digitalisierungsbeauftragen Bär – funktioniert nicht; Gesundheitsämter – funktionieren nicht; Impfstoffbestellung, die große Hoffnung, die uns vorgegaukelt wird – Versagen pur. Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, verplaudert sich und erzählt, wie die Bundesregierung bei der EU bettelt, um noch ein paar Dosen zu kriegen. Dabei werden die in ihrer Landeshauptstadt Mainz hergestellt. Aber wie in jeder wirklich großen Bürokratie wird darüber nicht in Mainz, sondern im fernen Brüssel entschieden. Es ist eine weitere ungewollte Offenbarung eines grandiosen Staatsversagens, das ist die eigentliche Zumutung. Helge Braun, der derzeit als Kanzleramtsminister das Versagen ganz oben vorführt, zerstört auch die letzte Hoffnung: Jetzt sei die Mutante nun mal da. Mutante ist das neue Panikwort: Es gibt die brasilianische, die südafrikanische, die britische.

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Da rutscht Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler noch so eine klare Wahrheit heraus: Es gibt viel mehr dieser Corona-Mutanten, auch wenn Helge Braun sein Teddybärenimage pflegen will, wenn er immer von „Der Mutante“ spricht. Es gibt schon 300.000 Mutanten, sagt der Chefarzt und jetzt sei die ganz große Frage, ob die Impfstoffe überhaupt wirken könnten. Puff, schon wieder einer der großen Luftballons geplatzt.

Damit zerstört das neue Panikwort von der bösen Mutante die alte Strategie: Wenn es nicht „die Mutante“ gibt, wie Helge Braun spricht, sondern Hunderttausende mit ganz anderen Wirkmechanismen, dann ist der Kampf dagegen sinnlos, da mag der Helge Braun davon träumen: „Die Mutante soll aus dem Land herausgehalten werden.“ Längst bewegen sich die Politik, ihre Hof-Wissenschaftler und Corona-Astrologen sowie die mit ihr in einer Wertegemeinschaft verbundenen Medien in einem irrwitzigen Wettlauf gegen die Mutante und um die magische Zahl von Null Infizierten. „ZeroCovid“ ist die neue Zumutung – alles auf Null gestellt, Leben, Schule, Arbeit, Wirtschaft. Es ist die Vision, die sich die Bundeskanzlerin zueigen gemacht hat, ihre neue Zumutung an das von ihren diversen Zumutungen ohnehin schon geschundene Land. Das Virus ausrotten, das fröhlich vor sich hin mutiert und wenn es solche hätte: Es würde sich über so viel Naivität ins Fäustchen lachen.

Keine Rolle spielen Tatsachen. Etwa, dass ein harter Lockdown keine nachweisbare Wirkung hat. Etwa, dass es keine Erkenntnisse über Infektionsverläufe in Büros, auf Rodelbahnen und Werkshallen gibt. Die Wirklichkeit wird ersetzt durch Ideologie: „ZeroCovid“. Diese Strategie gibt Politikern endlich die Allmacht, die absolute Herrschaft über jede Lebensäußerung, die Legitimation über Schalten und Walten ohne Grundrecht und sonstige Begrenzung.

Noch schärfer, noch härter – für die Anderen

Und so ist es natürlich wieder eine Journalistin, der es nicht scharf genug sein kann, Vanessa Vu, Zeit Online: Sie fühlt sich als systemrelevant, darf also arbeiten und reisen und kann gemütlich im Homeoffice online ZeroCovid predigen – also Regeln für Andere formulieren: Von der Perspektive vorübergehend einschränken spricht sie, Kraftanstrengungen machen, als ob das nicht längst geschehe. Sie rastet buchstäblich aus und hält dem Industrieverbands-Ökonom Michael Hüther vor, seine vorsichtige Kritik daran sei ein „Schlag ins Gesicht derjenigen, die ihre Angehörigen verloren haben“, Purer Zynismus sei das, wenn nicht alles Leben außerhalb ihres engen Gesichtsfelds auf Null gestellt werde, und ihr Blick endet erkennbar an ihrer Schreibtischkante. So einfach geht das – wer eine andere Meinung hat, ist ein Killer und ZeroCovid die neue Killerphrase.

Und Australien das neue Zero-Wunderland. Alles zumachen. Komplett. Alles andere Wischiwaschi. Sagen sie wirklich.

Zero-Covid ist Zero Grundrechte
Talk im Hangar-7: „Merkel, Kurz und Mutationen: Brauchen wir eine andere Politik?“
Es ist wieder Hüther, der einen realistischen Blick hat: Wiesbaden als „grüne Zone“, in der gelebt, geliebt, gelacht und gearbeitet werden darf, und drüben Mainz, wo alles verboten ist, Arbeit: tot, Leben: tot, Straßen: leer, Fabriken: still – und alle Bürger in ihren Wohnkäfigen? So funktioniert eben Wirtschaft nicht, da mögen die ZeroCovid-Ideologen die Welt in noch so kleine Kästchen aufteilen. Plötzlich sind ja Grenzen wieder möglich, überall. Es prallen wieder zwei Welten aufeinander: Da ist die abgehobene Welt von Redaktionsstuben und Regierungsbüros, die sich an mystischen Zahlenspielen beteiligen, immer neue Kennzahlen mit immer neu erfundener Begründung auffüllen wie Kinder ihre Backformen mit Sand aus der Buddelkiste. Solche Modelle, spottet Hüther, kenne man ja aus der Finanzkrise. Es ist ein schräger Witz an diesem Abend, dass der Ökonom des Bundesverbands der Deutschen Industrie darauf Bezug nimmt. Aber so ist das eben mit Wirklichkeitsbezug. Deshalb fordert Hüther dazu auf, mit der Mutante zu leben, die auch im nächsten Winter Tote kosten werde. Es ist eine realistische Sicht, keine absolute. Es wird gestorben werden, wie schon immer. Vanessa Vu guckt beleidigt.

Und dann ist da die Wirklichkeit ohne ZeroCovid, die erfreulich ehrlich und offen die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin anspricht: Familien, die im Lockdown zerbrechen, Schulkinder, die vor der Glotze und dem Bildschirm erst übergewichtig werden und dann intellektuell verloren gehen. Sie spricht von Existenzvernichtung und Zukunftszerstörung: „ZeroCovid ist nicht realisierbar“, den Menschen fehlen im vierten Monat Lockdown Hoffnung und Perspektive. Das ist nicht nur Einsichtsfähigkeit, die da spricht: Seit zwei Wochen distanzieren sich SPD-Politker von der Koalition. Politik dient nicht dem Gemeinwohl, sondern dem eigenen Wohlergehen, das auf Wählerstimmen fußt. Aber wenn es der Einsichtsfähigkeit dient, soll es gut sein.

Und einzusehen ist Vieles. Im Frühjahr gab es einen Lockdown und eine erwünschte Inzidenz von 50, um die Krankenhäuser nicht zu überlasten. Jetzt wird dieses Ziel von unter 50 Erkrankten je 100.000 Einwohner gefordert, damit die Gesundheitsämter mit der Arbeit nachkommen. Eine Zahl – viele Begründungen mit Buddelkistensand. Es hat bei Anne Will etwas ungewollt komisches, wenn darüber gestritten wird, welches Computer-Programm jetzt in den Gesundheitsämtern eingesetzt werden soll. Es wäre ja Zeit für die Versager-Politiker gewesen, ein Datennetz aufzubauen, aber noch immer ist das modernste Gerät in etwa einem Viertel der Gesundheitsämter Opas gutes altes Faxgerät. Und weil das so ist, jetzt also gleich ZeroCovid? Menschen als Opfer des ständigen und grotesken Politkversagens? Da fällt selbst Anne Will, die in gefühlt Tausendundeiner Sendung Hohn, Spott und Hass über Donald Trump ausgeschüttet hat, plötzlich auf, dass dessen Zahlen in den USA nicht schlechter sind. Sogar viel besser, was die Impferei betrifft, die ja bekanntlich so ziemlich überall besser funktioniert als im Impfstoff-Erfinderland. Überall gibt’s Dosen, aber kaum welche in Mainz.

Nur auf eine Idee kommt sie nicht: Man könnte ja diesen Helge Braun durch Donald Trump ersetzen. Der ist ja jetzt frei. Schlimmer als der Angriff „der Mutante“ auf das Wolkenkuckucksheim kann der Schrecken aller Gutgläubigen auch nicht sein.

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